3. November 2022

Freiwilligendienste

"Ich bin Teil eines bunten Teams"

Gudrun Wilbert macht einen Freiwilligendienst in einem Koblenzer Krankenhaus, dem Evangelischen Stift St. Martin. Im Interview mit der Diakonie RWL erzählt die 58-Jährige, warum sie das macht und was sie dort erlebt. Ihre Arbeit empfindet sie als so sinnvoll, dass sie sich dort nach ihrem Freiwilligenjahr weiter ehrenamtlich engagieren will.

  • Gudrun Wilbert und ihr Team vom Evangelischen Stift St. Martin in Koblenz.
  • Eine junge Hand hält eine alte Hand.
  • Außenansicht des Evangelischen Stifts St. Martin in Koblenz.

Frau Wilbert, Sie machen Ihren Freiwilligendienst in einem großen Krankenhaus. Wo sind Sie da genau?

Gudrun Wilbert Ich arbeite auf einer geriatrischen Akutstation. Die Patientinnen und Patienten sind in der Regel Menschen ab einem Alter von 65 Jahren, oftmals in der letzten Lebensphase, deren selbstständige Lebensführung häufig durch akute und chronische Mehrfacherkrankungen bedroht ist. Als Freiwillige bin ich Teil eines bunten Teams, in dem Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen und Psychologen, andere Therapeutinnen und Therapeuten und der soziale Dienst zusammenarbeiten. Das Team ist auch vom Alter und der Nationalität sehr gemischt. Ich erlebe viel Teamgeist und großen Einsatzwillen für unsere Patientinnen und Patienten.

Gudrun Wilbert

Gudrun Wilbert sagt: "Es ist mir eine Herzensangelegenheit, mich in der Zusammenarbeit mit anderen zum Wohle hilfsbedürftiger Menschen einzusetzen."

Wie verlaufen die Tage für Sie?

Im Krankenhaus ist der Tag in drei Schichten eingeteilt. Ich bin im Früh- oder im Spätdienst, also von 6:00 Uhr morgens bis 14:15 Uhr, oder im Spätdienst von 13:15 Uhr bis 21:00 Uhr. Die Aufgaben, bei denen ich das Pflegeteam unterstütze, sind sehr vielfältig: Körperpflege, Toilettengänge, An- und Auskleiden oder Essen und Trinken. Ich übernehme auch kleinere Botengänge. 

Neben diesen pflegeunterstützenden Tätigkeiten liegt ein ganz wesentlicher Aspekt meiner Arbeit jedoch im intensiven menschlichen Austausch mit den Patientinnen und Patienten. Das reicht vom Spiele spielen und dem Vorlesen von Geschichten und dem gemeinsamen Blick in die Zeitung über ein tröstendes, oft sehr intensives und persönliches Gespräch, eine wohltuende Massage bis hin zur intensiven Beschäftigung mit demenziell erkrankten Patienten. 

In der Pflege ergeben sich immer auch intime, durch die Krankheit bedingte Situationen, etwa wenn ein Patient sich einnässt. Uns ist es dann immer wichtig, dem anderen die Scham zu nehmen und das Einnässen eines Bettlägerigen als die natürlichste Sache der Welt sehr behutsam, respektvoll und unaufgeregt zu behandeln. Dieser liebevolle Umgang mit solchen und vielen anderen zutiefst menschlichen Situationen schafft ein Vertrauensverhältnis. So ist es dann auch ganz normal, wenn sich Patienten manchmal mit intimen Themen und Geschichten öffnen. Daraus ergeben sich oft sogar schöne Gespräche. Nach solchen Erlebnissen gehe ich mit dem Gefühl nach Hause, einem anderen Menschen einen vielleicht schwierigen Moment etwas leichter gemacht und ihm so wirklich geholfen zu haben.

Gerade für die Patientinnen und Patienten auf der Geriatrie sind die Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote in der Corona-Zeit eine ungeheure Belastung gewesen. Diese älteren, oft beeinträchtigten Menschen haben den direkten Kontakt zur Familie sehr vermisst, und die bedrohliche Corona-Situation spült sehr oft alte, verdrängte Kriegserlebnisse aus der Kindheit hoch. Da ist es gut, wenn jemand zusätzlich einfach da ist, Zeit und ein offenes Ohr hat. Das hilft dann oft, Verzweiflung Raum zu geben und am Ende auch der Zuversicht und dem Blick auf Schönes.

Das Evangelische Stift St. Martin in Koblenz.

Das Evangelische Stift St. Martin in Koblenz ist ein großes Krankenhaus. Dort absolviert Gudrun Wilbert ihr Freiwilligenjahr.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich für einen Freiwilligendienst entschieden haben?

Ich war in meinem "früheren Leben" Beamtin bei der Deutschen Post und hatte dort am Ende eines langen, erfüllten Berufslebens die Möglichkeit, am Modell des  sogenannten Engagierten Ruhestands teilzunehmen. Ich habe mich bewusst für dieses Modell entschieden, da es mir die Möglichkeit eröffnet hat, nach einer spannenden Arbeit in einem großen, heute globalen Konzern noch einmal etwas komplett Neues im Dienst der Allgemeinheit kennenzulernen.

Es ist mir eine Herzensangelegenheit, mich in der Zusammenarbeit mit anderen zum Wohle hilfsbedürftiger Menschen einzusetzen.

Auf Zetteln stehen die verschiedenen Angebote, die zu einer Seminarwoche gehören können.

So kann der Ablauf einer Bildungsseminar-Woche aussehen.

Zum Freiwilligendienst gehören auch Bildungstage. Wie erleben Sie die Seminare?

Die Bildungsseminare erlebe ich als willkommene Ergänzung zur praktischen Stationsarbeit. Besonders die Themenarbeit zu Demenz, zum Umgang mit Tod und Sterben oder zum Führen von Beratungsgesprächen haben mir viel gegeben. Generell finde ich es immer wieder spannend, von den Erfahrungen anderer in ähnlichen oder ganz anderen Einsatzfeldern zu hören. Der offene Austausch mit den anderen ist für mich eine tolle Horizonterweiterung und Inspiration, sowohl für meine Arbeit wie auch für meine ganz persönliche Weiterentwicklung als Mensch.

Hände halten sich fest.

Es gibt viele Momente im Freiwilligendienst, die Gudrun Wilbert berühren. 

Welches Erlebnis Ihres Freiwilligendienstes hat Sie bisher am meisten berührt?

Die Tage auf der Station sind stets prall gefüllt mit verschiedensten Erlebnissen – Freude, Lachen, aber auch Schmerz, Leid und manchmal Tod. Da ist es schwer, ein einzelnes Erlebnis des Freiwilligendienstes herauszugreifen. Vielleicht sind es die kleinen Momente, in denen ich spüre, dass ich einem Patienten Freude bereiten konnte, die mich am meisten berühren. Sei es eine ältere, fast blinde Patientin, der ich während ihres Aufenthalts jeden Tag eine kleine Geschichte vorgelesen habe und die unser tägliches Ritual immer sehnsüchtig erwartet hat. Oder die wirklich liebe Demenzpatientin, die – als wir einmal zusammensaßen – ihren Kopf gegen meinen lehnte und mich mit dem Satz "Sie sind ein Pfundskerl" noch heute stolz macht. Aber auch der schwer herzkranke Patient, dessen Herz ganz plötzlich aussetzte und der glücklicherweise nach Reanimation wieder ins Leben zurückkam. Es sind die vielen, existenziellen menschlichen Momente, die mich zutiefst berühren und mir immer wieder vor Augen führen, welches Geschenk es ist, in Gemeinschaft mit anderen am Leben zu sein.

Was sagen Ihre Bekannten dazu, dass Sie einen Freiwilligendienst machen?

Meine Bekannten finden das super. Spätestens seit der Corona-Zeit ist die Arbeit der Pflege ja ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Die Menschen sehen in den Nachrichten, unter welchem Druck und mit welcher Empathie dort um Leben und Gesundheit für Patientinnen und Patienten gekämpft wird. Jede zusätzliche helfende Hand ist natürlich willkommen, und mir macht es Spaß zu unterstützen. Meine Bekannten spüren das und finden es gut.

Würden Sie einen Freiwilligendienst weiterempfehlen?

Spätestens die Corona-Pandemie oder die Flutkatastrophe im Juli 2021 haben deutlich gemacht, wie unverzichtbar Gemeinschaft, Solidarität und Einsatz für andere sind. Das Vertrauen allein auf staatliche oder offizielle Stellen reicht nicht mehr. Viele Bereiche unseres täglichen Lebens würden ohne freiwilliges, ehrenamtliches Engagement nicht funktionieren. Der Bundesfreiwilligendienst bietet einen gut organisierten Rahmen für dieses Engagement. Das gilt für Ruheständler wie mich, die einfach noch zu jung, neugierig und einsatzfreudig für ein Leben auf der Couch sind ebenso wie für junge Menschen aus aller Herren Länder, die den Freiwilligendienst als Türöffner für einen neuen beruflichen Lebensweg nutzen wollen.

Welche drei Begriffe stehen für Sie für den Freiwilligendienst?

Dienst am Menschen

Interview: Christian Carls; Fotos: Pia Bluemig/Johanneswerk, Catrin Hoffmann, Holger Weinandt/Wikimedia Commons, Gudrun Wilbert, Diakonie RWL, Shutterstock

Ihr/e Ansprechpartner/in
Weitere Informationen