24. Juli 2019

Freiwilligendienste

Gutes tun mit weniger Geld

Im August und September starten wieder zahlreiche Jugendliche in ein FSJ oder BfD. Seit Jahren ist das Interesse an den Freiwilligendiensten hoch. Deshalb wollte die Bundesregierung sie deutlich ausbauen. Doch die Schuldenbremse kam dazwischen. Jetzt gibt es weniger Geld. Trotzdem stärkt die Diakonie RWL einige ihrer Angebote. Jürgen Thor, Leiter der Freiwilligendienste, erklärt, was sich ändert.

Mehr Plätze, bessere Förderung, ein Fahrkartenzuschuss: Ende letzten Jahres hatte Familienministerin Franziska Giffey angekündigt, mehr Menschen für ein freiwilliges Jahr gewinnen zu wollen. Dafür sollte deutlich mehr Geld in die Freiwilligendienste fließen. Was ist daraus geworden?

Das Ministerium wollte seine Mittel für die Freiwilligendienste um 65 Millionen Euro auf 327 Millionen Euro aufstocken – und zwar schon für dieses Jahr. Tausende neue Plätze sollten geschaffen und die pädagogische Begleitung der Freiwilligen verbessert werden. Wir hatten uns darüber natürlich gefreut. Seit Jahren ist die Nachfrage nach einem Freiwilligendienst hoch. Wir haben viele gute Programme, auch für besondere Zielgruppen, die wir gerne ausbauen möchten. Übrig geblieben sind jetzt nur 25 Millionen Euro, weil der Bundesfinanzminister auf der Einhaltung der Schuldenbremse bestand. Ab Mitte 2020 wird weiter gekürzt, so dass die Freiwilligendienste dann insgesamt 50 Millionen Euro weniger zur Verfügung haben werden als noch 2018. Damals gab es eine Erhöhung der Gelder von insgesamt 75 Millionen Euro.

Stehend mit Plakat: Taschengeld für andere Dinge

Dominik Evcimen: "Taschengeld sollte für andere Dinge bleiben". An der Kampagne "Freie Fahrt für Freiwillige" hat sich auch die Diakonie RWL beteiligt.

Was kann die Diakonie RWL jetzt nicht mehr realisieren?

Wir hätten unseren Freiwilligen gerne einen Fahrtkostenzuschuss gezahlt, wie ihn die Familienministerin angedacht hatte. Schon lange kämpfen wir darum, dass unsere Freiwilligen – ähnlich wie Studenten – ein Semesterticket erhalten, mit dem sie deutlich vergünstigt fahren können. Bislang ist das je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. In Hessen zahlen Freiwillige nur 31 Euro für ein Monatsticket. Das hätten wir uns bundesweit gewünscht. Immerhin gibt es jetzt in Nordrhein-Westfalen das Azubi-Ticket für 82 Euro, das auch für Freiwillige gelten soll. Aber bei einem Taschengeld von rund 400 Euro ist das immer noch viel Geld. Es sollte auch Sondermittel für einen Freiwilligendienst geben, der sich an Menschen mit Behinderung richtet. Das entfällt nun. Auch für das Programm des Bundesfreiwilligendienstes mit Flüchtlingsbezug gibt es keine Gelder mehr.

Flüchtlinge Tarek mit einer Trage

Tarek Alkousa gehört zu den Flüchtlingen, die den Freiwilligendienst genutzt haben, um sich für die Pflege zu qualifizieren.

Mit Flüchtlingen im Freiwilligendienst haben viele Einsatzstellen in der Diakonie RWL gute Erfahrungen gemacht. Stellen Sie dieses Programm jetzt ein?

Nein. Wir werden als Diakonie sogar mehr Plätze anbieten. Über die Hälfte der Flüchtlinge, die bei uns einen Bundesfreiwilligendienst machen, beginnen danach eine Pflegeausbildung in der Altenhilfe oder im Krankenhaus. Dort werden dringend Fachkräfte gesucht. Deshalb halten wir es für fatal, gerade auf dieses Programm zu verzichten. Wir werden es künftig auch in Teilzeit anbieten, damit Flüchtlinge noch mehr Zeit haben, an Deutschkursen teilzunehmen. Gerade im Hinblick auf ihre Sprachkenntnisse bringt das Jahr im Freiwilligendienst enorm viel.

Ein weiteres Programm, das Sie in diesem Jahr ausbauen wollen, heißt MOVE. Was steckt dahinter?

Das ist ein Freiwilligendienst für sozial benachteiligte Jugendliche bis 27 Jahren. Oft sind es Jugendliche, die nur einen niedrigen Schulabschluss haben, aus bildungsschwachen Familien kommen oder unter psychischen Probleme leiden. Sie werden von uns intensiv in kleineren Seminargruppen betreut. Der Freiwilligendienst ist für sie eine Chance, die Arbeitswelt kennenzulernen, sich dort zu bewähren und einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Im MOVE-Programm werden wir die Anzahl unserer Plätze auf 40 verdoppeln. Uns ist es wichtig, dass wir mit dem Freiwilligendienst alle Bildungsschichten erreichen, nicht nur die Abiturienten. Sie machen derzeit mit gut 60 Prozent den Großteil der Bewerber aus.

Sarah mit drei Mädchen im Sand

Viele Jugendliche möchten gerne "etwas mit KIndern" machen - so wie Sarah Klein. Jetzt bietet die Diakonie RWL mehr Plätze in Kitas an.

Vor allem im Bereich der Pflege ist die Nachfrage nach Freiwilligen hoch. Doch ist es auch das, was die meisten Bewerberinnen und Bewerber gerne machen möchten?

Die Geflüchteten und unsere "Incomer" -  also die Jugendlichen aus Afrika, Südamerika oder Asien – arbeiten gerne in der Alten- und Behindertenhilfe oder in den Krankenhäusern. Viele deutsche Jugendliche möchten lieber "etwas mit Kindern" machen. Doch dort haben wir in der Regel nicht so viele Einsatzmöglichkeiten. Wir setzen sie oft als Assistenten für Kinder mit Behinderungen, in Offenen Ganztagsschulen oder Kitas ein. Weil die Nachfrage so hoch ist, wollen wir im Bereich der Kindertagesstätten mehr Plätze anbieten. Das klappt, weil das Land NRW dort ab August Praktikantenstellen finanziert, die auch von Freiwilligen genutzt werden dürfen. Bei über 1.000 evangelischen Kitas rechnen wir mit einem starken Ausbau dieses Einsatzbereiches, in dem derzeit nur 175 unserer insgesamt 2.000 Freiwilligen arbeiten.

Gruppenfoto

Aktiv als Freiwillige im Alter: Sigrid Pecnik und Bernd Krapohl gehören zu den Freiwilligen im BFD Ü27.

Bisher war es nur im Bundesfreiwilligendienst für Menschen über 27 Jahre möglich, den BfD in Teilzeit zu machen. Jetzt geht das auch für jüngere Freiwillige. Wer profitiert davon?

Es ist – wie gerade schon erwähnt – eine gute Option für Geflüchtete, aber auch für jüngere Alleinerziehende oder Jugendliche mit psychischen Beeinträchtigungen. Bei unseren Ü27-Freiwilligen nimmt gut ein Drittel diese Möglichkeit wahr. Aber man muss sie sich leisten können, denn dafür gibt es auch nur die Hälfte des ohnehin nicht gerade üppigen Taschengeldes. Insofern hätten wir uns sehr darüber gefreut, wenn mehr Geld vom Bund in den Freiwilligendienst geflossen wäre und wir ihn besser bezahlen könnten.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

Weitere Informationen

Diakonie RWL- größter evangelischer Träger von Freiwilligendiensten

Mit rund 2.000 Freiwilligen ist die Diakonie RWL bundesweit der größte evangelische Anbieter eines Freiwilligen Sozialen Jahres oder eines Bundesfreiwilligendienstes. Zwischen Ostwestfalen und Saarbrücken unterstützen sie die soziale Arbeit in Schulen, Kliniken, Kitas oder Alten- und Behindertenheimen. 95 Prozent von ihnen sind junge Leute zwischen 16 und 26 Jahren. Knapp fünf Prozent machen im Bundesfreiwilligendienst Ü27 für Ältere mit. Rund 40 Prozent der jugendlichen Teilnehmer entscheidet sich nach dem Freiwilligendienst für eine Ausbildung oder ein Studium im sozialen Bereich. Drei Viertel beginnen ihren Dienst im August oder September, aber Bewerbungen sind das ganze Jahr über möglich und willkommen.