Freiwillige im Sommerporträt
Natalia Maryasin kommt aus Indonesien, hat aber chinesische Vorfahren.
Wenn sich Natalia Maryasin neuen Patienten vorstellt, weiß sie schon, welche Frage ihr zuerst gestellt wird. Sie weiß auch, dass darauf eine erstaunte Nachfrage folgt. "Alle wollen wissen, woher ich komme", erzählt die 28-jährige Indonesierin. "Und wenn ich mein Heimatland nenne, sind sie erstaunt, dass es nicht Thailand, Japan oder Korea ist."
Ihre Augen und die helle Haut hat sie tatsächlich einem Vorfahr zu verdanken, der aus China nach Indonesien eingewandert ist und dort bis heute in ihrer Familie seine Spuren hinterlassen hat. Der immer ähnliche Einstieg ins Gespräch stört Natalia Maryasin nicht. Sie mag die Patienten, die sie auf der chirurgischen Station des Florence-Nightingale-Krankenhauses der Kaiserswerther Diakonie als Freiwillige betreut.
"Die meisten sind freundlich und sehr nett", betont sie. "Nur ein paar wenige mögen Ausländer nicht und machen Bemerkungen, die ich zu Anfang überhaupt nicht verstanden habe." Dazu gehört etwa die Frage, ob sie denn auch "gewisse Massagen" anbiete. Das dürfe sie sich nicht gefallen lassen, ermutigten die Schwestern Natalia. "Wenn sie dabei waren, haben sie die Patienten sofort zurechtgewiesen."
Am Krankenbett kommt Natalia oft mit Patienten ins Gespräch - nicht alle sind dabei so höflich wie sie.
Neue Herausforderung statt Heirat
Dieses Selbstbewusstsein der Frauen gefällt der Indonesierin. In ihrer Heimat ordneten sich die meisten Frauen den Männern stark unter, berichtet sie. Weiblicher Widerspruch, ein kritischer Geist und Eigenständigkeit seien in der indonesischen Gesellschaft nicht beliebt.
"Wenn man als Frau mit 25 Jahren noch nicht verheiratet ist, wird man schräg angesehen", sagt Natalia. "Und ihre Berufstätigkeit geben die meisten Frauen sofort auf, wenn das erste Kind kommt." Für ihr Leben konnte sich Natalia das nicht vorstellen. Sie ist in Bandung aufgewachsen, der viertgrößten Stadt Indonesiens mit 2,5 Millionen Einwohnern. Dort hat sie Pharmazie studiert und als Apothekerin in einer Klinik gearbeitet.
"Mein Leben kam mir so festgelegt vor“, erzählt sie. „Dabei mag ich die Herausforderung und das Abenteuer. Ich hatte Lust, etwas Neues zu beginnen." Über Bekannte ihrer Freundinnen hörte sie vom Fachkräftemangel in Deutschland und von den Universitäten, an denen das Studium gut und kostenlos ist.
In ihrer Freizeit lernt Natalia Deutsch.
Mit Studentenvisum nach Deutschland
Natalia begann, sich für die deutsche Kultur und Sprache zu interessieren und belegte beim Goetheinstitut einen Sprachkurs. "Meine Eltern waren von meiner Idee, in Deutschland noch ein Masterstudium in Pharmazie zu machen, nicht begeistert", berichtet sie. Doch Natalia setzte sich durch.
Mit einem Studienvorbereitungsvisum kam sie vor 15 Monaten nach Düsseldorf. "Aber beim Sprachvorbereitungskurs habe ich gemerkt, dass meine Deutschkenntnisse dafür einfach nicht gut genug sind." Außerdem wollte sie gerne in einer Klinik arbeiten. Doch dort gibt es – anders als in Indonesien – nur wenige Apotheker. Diese Stellen sind rar, Pflegekräfte dagegen werden händeringend gesucht.
Als Natalia vom Bundesfreiwilligendienst bei der Diakonie RWL hörte, war sie sofort begeistert. Im Februar konnte sie im Florence-Nightingale-Krankenhaus anfangen. "Das ist für mich ein guter Test, ob ich mich wirklich für den Beruf der Krankenschwester eigne", sagt sie. "Und es hilft mir, die deutsche Sprache zu lernen."
Der Gottesdienst gehört für sie zu einem Sonntag dazu.
Sonntags in die Kirche
Seit sie auf der Station arbeitet, hat sie nicht nur sprachliche Fortschritte gemacht. "Meine Freunde und Bekannte aus der Kirche sagen, dass ich viel selbstbewusster geworden bin." In einer Düsseldorfer Kirche hat Natalia eine neue Heimat gefunden. Hier besucht sie sonntags regelmäßig den Gottesdienst.
Es erstaunt sie, dass ihre Freunde aus dem Sprachkurs und ihre Kollegen sie deshalb für "sehr religiös" halten. "In Indonesien ist es völlig normal, dass Christen regelmäßig in die Kirche, Muslime in die Moschee und Buddhisten in einen Tempel gehen." Natalia gehört zur evangelischen Minderheit in Indonesien, die sich meist in Wohnzimmern oder Hotels trifft. "Bei uns drängen sich viele Menschen auf engem Raum", erzählt sie. "Hier gibt es große Kirchen, in denen wenige und vor allem ältere Leute sitzen."
Die lange Tradition der Krankenpflege in der Kaiserswerther Diakonie fasziniert Natalia.
"Omas und Opas" als Familienersatz
Zu Anfang ist sich Natalia unter den wenigen und älteren Gottesdienstbesuchern merkwürdig vorgekommen. Doch inzwischen hat sie mit vielen "Omas und Opas" Freundschaften geschlossen. Sie sind zum Familienersatz geworden, denn ihre Eltern und Schwestern hat Natalia seit 15 Monaten nicht mehr gesehen. Mit ihnen skypt sie regelmäßig.
Wenn sie ihrer Mutter begeistert von ihrer Arbeit in der Klinik, von den berufstätigen Müttern dort und von Vätern erzählt, die Hausmänner sind, einkaufen und den Kinderwagen schieben, erntet sie ungläubiges Staunen. "Meine Eltern hätten es gerne, dass ich zurückkomme und einen Indonesier heirate", sagt Natalia lachend. "Aber ans Heiraten denke ich noch gar nicht. Ich möchte lieber hierbleiben und als Pflegekraft arbeiten."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: Christian Carls