Freiwillige im Sommerporträt
Deutsche Sprache, schwere Sprache - Milad Alamdari hilft Hanifa, das Passiv zu verstehen.
Die Zeiten im deutschen Passiv sind kompliziert. "Warum heißt es 'man hat ihn verfolgt', aber 'er ist verfolgt worden'?" fragt Hanifa."Komm mit", fordert Milad Alamdari die 46-jährige Afghanin auf, schnappt sich Notizblatt und Stift und geht mit ihr in den Garten hinter dem "Caféquatsch" in Düsseldorf. Seit drei Monaten besucht Hanifa das Café der Evangelischen Familienbildung in Düsseldorf. Dort findet mittwochs immer ein Flüchtlingstreff statt.
"Ich will besser Deutsch lernen", sagt sie. "Und als Iraner versteht Milad meine Sprache. Er hat mir schon viel geholfen." Seit sechs Jahren lebt der 34-jährige Iraner in Deutschland. Als er seinen Asylantrag stellte, sprach er kein Wort Deutsch, aber fließend Englisch und Italienisch. Jetzt beherrscht er Deutsch genauso gut.
Als Sprachtalent möchte er aber nicht bezeichnet werden. "Ich weiß einfach, wie ich lernen muss. Dafür war mein Architekturstudium im Iran sehr nützlich." Doch Milad Alamdari ist auch wissbegierig, zielstrebig und hartnäckig. Das hat ihn im Iran ins Gefängnis gebracht und in Deutschland einen der begehrten Studienplätze für Zahnmedizin beschert.
Eine Tasse Kaffee bitte - Milad Alamdari fühlt sich auch hinter der Theke wohl.
Soziales Engagement als Dankeschön
Sein Bundesfreiwilligendienst im Evangelischen Erwachsenenbildungswerk in Düsseldorf war als Überbrückung gedacht, bis er ein Studium beginnen kann. Im April hat er dort angefangen, um die Dozenten in den Sprachkursen zu unterstützen und im Caféquatsch zu helfen.
Nun muss er sich schneller verabschieden als gedacht, denn er kann schon im Oktober mit dem Zahnmedizinstudium in Mainz starten. Hätte ihm ein Freiwilligendienst im Krankenhaus dann nicht mehr gebracht? "Für meinen Lebenslauf wäre das wohl besser gewesen", sagt er. "Aber ich wollte Menschen helfen, die eine ähnliche Geschichte haben wie ich und sie ermutigen, die Sprache und deutsche Kultur besser zu verstehen."
Die deutsche Gesellschaft habe ihn freundlich aufgenommen, seine Sprachkurse und das Weiterbildungscollege finanziert, damit er ein deutsches Abitur machen konnte. Auch das Studium sei für ihn kostenfrei. "Bis ich einen Job habe und selbst Steuern zahle, dauert es lange. Doch was ich der deutschen Gesellschaft jetzt schon zurückgeben kann, ist meine Zeit", betont er. Die nutzt er, um sich für die Integration geflüchteter Menschen einzusetzen.
Milad mag die Vielfalt an Nationen und Kulturen im Caféquatsch.
Protest gegen iranisches Regime
Vielfalt und Offenheit sind Milad Alamdari wichtig. Vielleicht auch deshalb, weil die jüdisch-muslimische Ehe seiner Eltern von der Familie im Iran nicht akzeptiert wurde. "Mein Vater ist Architekt und war oft unterwegs", erzählt er. "Meine Mutter hat als Krankenschwester gearbeitet. Sie musste meinen Bruder und mich häufig in die Klinik mitnehmen, weil niemand da war, der uns betreuen konnte."
In seinem Elternhaus spielte das Thema Menschenrechte und Demokratie eine große Rolle. In Sachen Religion waren die Eltern tolerant. Milad Alamdari ist Atheist. Schon während des Studiums hat er sich politisch engagiert. Bevor er nach Deutschland floh, arbeitete er vier Jahre in einem Architekturbüro und war Chefredakteur eines Architekturmagazins.
Gegen die zweifelhafte Wiederwahl des iranischen Präsidenten Ahmadinejad ging er 2009 auf die Straße. Immer wieder protestierte er für Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit. Auch dann noch, als ein Freund vor seinen Augen auf einer Demonstration von einem Polizeiwagen überfahren und getötet wurde.
Beiden droht in der Heimat Gefängnis: Milad mit Ahajliu Abdelbaset aus Afghanistan.
Flucht aus Angst vor Gefängnis und Folter
Schließlich verhaftete die Polizei auch ihn. "Ich habe sehr viel Angst gehabt. Jede Sekunde erschien mir wie ein Jahr", erzählt der 34-jährige Iraner. Die Polizei warf ihm vor, ein israelischer Spion zu sein, weil seine Mutter Jüdin ist.
Nach vier Tagen wurde er entlassen, musste aber unterschreiben, dass alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe stimmen und er sich nicht mehr politisch engagieren würde. Ein Versprechen, das er nicht hielt. "Ein Jahr hatte ich Ruhe", berichtet der Architekt. Dann konfiszierte die Polizei in seinem Büro den Laptop und seine Akten.
"Es war gefährlich für mich, denn sie konnten jetzt nachweisen, dass ich mich auf einer eigenen Facebook-Seite anonym politisch geäußert hatte." Über die Türkei und Italien floh Milad Alamdari nach Deutschland. Von hier wollte er weiter nach Großbritannien – zu Freunden, bei der BBC arbeiteten. Doch er hatte keinen Pass und das Geld reichte für gefälschte Papiere nicht mehr.
Milad ist Akademiker. Nur leider kann er das nicht mit Zeugnissen nachweisen.
Keine Dokumente für Bildungsabschlüsse
In Köln meldete er sich bei Polizei und war erstaunt, wie freundlich Polizisten sein konnten. "Ich wurde nicht verhaftet, sondern aufgefordert, einen Asylantrag zu stellen." Von Köln kam er in eine Unterkunft nach Dortmund, dann nach Trier und Koblenz.
Innerhalb von fünf Monaten wurde Milad Alamdari 2012 als Asylbewerber anerkannt und ging nach Düsseldorf. "Im Internet habe ich gelesen, dass es im Rheinland eine fröhliche Atmosphäre, viele Studienmöglichkeiten und Jobs gibt", erzählt er.
Hier machte er seinen Integrationskurs und besuchte drei Jahre ein Weiterbildungscollege, um das deutsche Abitur zu machen. "Mir fehlten ja alle Dokumente", sagt er. "Ich konnte nicht als Architekt arbeiten. Die Uni in Teheran wollte mir mein Studienzeugnis nur persönlich aushändigen."
Milad hat seinen optimistischen Blick in den Zukunft nicht verloren.
Leben bedeutet Veränderung
Doch statt noch einmal Architektur zu studieren, entschied er sich für Medizin. Einen Helferberuf, den er aus seinen Kinderjahren in der Klinik gut kennt. Weil das Studium der Zahnmedizin zwei Jahre kürzer ist als Humanmedizin, bewarb er sich dafür.
Nun heißt es bald wieder: neu anfangen, studieren, eine Wohnung suchen, Freunde finden. Das Stichwort vom "lebenslangen Lernen" – es passt wohl zu kaum einem Menschen so gut wie zu Milad Alamdari. Er will sich verändern und weiterentwickeln – und dabei Andere mitnehmen. Das gelte für ihn auch in seiner neuen Heimat Deutschland, betont er. "Ein Leben, in dem ich nicht dazu beitragen kann, dass es den Menschen besser geht und mich mit allem abfinde, passt nicht zu mir."
Text und Fotos: Sabine Damaschke