Freiwillige im Sommerporträt
Mit viel Geduld hilft Sonia Moya im Altenheim des Perthes-Werkes beim Essen.
Im Altenheim der Perthes-Stiftung arbeitet Sonia Moya mit an Demenz erkrankten alten Menschen. Die 36-jährige Venezuelanerin schiebt den Rollstuhl über den Gang, hilft beim Essen oder unterhält sich mit den Bewohnern. "Mein Deutsch ist zwar noch nicht fließend, aber das spielt keine Rolle", sagt sie. Einige fragen, warum sie hier ist und ob sie nicht das schöne Wetter vermisse. "Als Südamerikanerin komme ich mit allen schnell in Kontakt."
Sonia Moya ist gut gelaunt, temperamentvoll und offen. Sie ist neugierig auf das Leben in einer anderen Kultur. Das kommt bei den alten Menschen gut an. In Venezuela hat sie als Juristin in der Rechtsabteilung einer großen Firma gearbeitet, die Küchen herstellt. Ein sicherer Job, aber in einem zerrissenen Land, das sie als Diktatur bezeichnet. "Ich habe für mich, meinen Mann und vierjährigen Sohn keine Perspektive in Venezuela gesehen." Inflation, Armut und Korruption prägen Venezuela. "Wer keine Kontakte zu einflussreichen Menschen hat, kann schnell seinen Job verlieren oder bekommt erst gar keinen."
Kulturaustausch als Familiensache: Sonia Moya mit Ehemann Pablo Isaac Rojas Guzmán und Sohn Juan Pablo Rojas (Foto: privat)
Neugierig auf eine andere Kultur
Über ihren Bruder, der in Deutschland wohnt, hat die Juristin von der Möglichkeit erfahren, in Deutschland ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Sebastian May, den sie in Venezuela kennengelernt hat, arbeitet bei den Freiwilligendiensten und begleitet sie hier in Deutschland, wenn es Fragen oder Probleme gibt. Dieser Freiwilligendienst ist auch für Interessierte möglich, die älter als 27 Jahre sind. Eine neue Kultur zu erleben und Deutsch zu lernen erschien ihr eine gute Idee – auch für ihren Sohn. "Kinder sind aufgeschlossen und neugierig. Sie lernen viel schneller als Erwachsene."
Sonia Moya war der Blick über den Tellerrand immer wichtig. Deshalb hat sie auch internationales Recht studiert. Vergangenen November verließ sie Venezuela mit ihrem Ehemann und Sohn, um den Freiwilligendienst beider Evangelischen Perthes-Stiftung in Münster zu beginnen. Mittlerweile hat sie dort eine kleine Wohnung gefunden. "Aber natürlich leben wir hier viel einfacher als in Venezuela mit meinem Taschengeld als Freiwillige", gibt sie zu. Ihr Bruder unterstützt sie finanziell. Sonst hätte sie sich ihr "Deutschland-Jahr" mit Familie nicht leisten können.
Sonia Moya hilft den alten Menschen, sich im Haus zurechtzufinden.
Mehr Verständnis für Demenzkranke
Über die Arbeit mit alten Menschen wusste sie nicht viel, als sie nach Deutschland kam. "Aber die Krankheit Demenz kannte ich, denn meine Oma in Südamerika ist auch an Demenz erkrankt und lebt in einem Altenheim."
Seit sie täglich mit Menschen umgeht, die dieselbe Krankheit wie ihre Großmutter haben, versteht sie deren Verhalten besser. Die Juristin weiß nun, dass Aggression oft zu Demenz dazu gehört und hat mehr Verständnis für ihre Großmutter. Dass diese in einem Altenheim wohnt, ist eher eine Ausnahme. Denn, so erzählt Sonia Moya, in Venezuela gibt es nur wenige Einrichtungen. Die meisten älteren Menschen leben bei ihren Familien und werden dort gepflegt. "In Deutschland gibt es viel mehr Unterstützung für kranke und alte Menschen", meint sie. "Alles ist hier so gut organisiert."
Nur eine halbe Stunde Mittagspause? Für die Südamerikanerin ist das völlig ungewohnt.
Mittagspause als Kulturschock
Nur an die kurze Mittagspause kann sich die Südamerikanerin nicht gewöhnen. "Mich hat es erstaunt, dass hier nur eine halbe Stunde Pause für das Mittagessen erlaubt ist", sagt sie. "In Venezuela machen wir zwei Stunden Pause und gehen dann mit neuer Kraft an die Arbeit zurück."
Die älteren Menschen erzählen Sonia Moya viel von ihren Kriegserfahrungen. "Die soziale Arbeit, die ich hier leiste, ist etwas ganz anderes als meine Tätigkeit als Juristin." Sie brauche mehr Geduld, betont sie. Aber auch die Pflegerinnen und Pfleger, die mit ihr zusammenarbeiteten, müssten Geduld mit ihr haben. "Deutsch lernen braucht Zeit", entschuldigt sie sich. "Es ist eine schwere Sprache." In der Pause versucht die Südamerikanerin daher, regelmäßig Zeitung zu lesen. Und sie fragt immer nach, wenn sie etwas nicht versteht.
Auch wenn das Wetter oft schlecht ist - wie hier bei einem Ausflug mit anderen Freiwilligen in Köln - hofft Sonia Moya auf eine Zukunft in Deutschland.
Vielleicht eine Zukunft in Deutschland
Sonia Moyas Ehemann ist Elektro-Ingenieur. Er besucht einen Deutsch-Kurs und hofft, dass sein Abschluss aus Venezuela auch in Deutschland anerkannt wird. Schließlich sei das Bildungsniveau in Südamerika gut, betont die Juristin. "Aber die Anerkennung der Abschlüsse braucht Zeit und manches ist schwer vergleichbar."
Auch sie selbst hofft, dass sie nach Abschluss ihres Freiwilligendienstes in Deutschland einen Job findet, in dem sie ihre Erfahrungen aus der sozialen Arbeit und ihr Jurastudium einbringen kann. "Vielleicht kann ich irgendwo als Assistentin arbeiten oder mich selbstständig machen."
Sohn Juan Pablo Rojas ist ein kleines Sprachtalent. (Foto: privat)
Kinder lernen Sprachen schneller
Sonia Moya freut sich, dass ihr Sohn in den vergangenen Monaten im Kindergarten so schnell und leicht Deutsch gelernt und Anschluss gefunden hat. Er konnte schon in Venezuela neben Spanisch auch ein wenig Englisch. Sie ist stolz, dass sie ihrem Sohn ermöglichen kann, schon so früh so viele Sprachen zu lernen.
Gerne würde Sonia Moya mit ihrer Familie länger in Deutschland bleiben. "Aber natürlich träumen wir auch immer wieder von unserem nächsten Besuch bei den Eltern in Südamerika."
Text und Fotos: Sabine Portmann