17. August 2016

BFD Ü27

Freiraum nutzen, den richtigen Job finden

Sich beruflich neu orientieren und wieder Fuß fassen in der Arbeitswelt – diese Chance bietet der Bundesfreiwilligendienst Menschen über 27 Jahren. Die meisten Teilnehmer bei der Diakonie RWL nutzen sie. Auch bei Kati Lovas geht es nach ihrem Jahr in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen mit einer Ausbildung im sozialen Bereich weiter.

Kati Lovas sitzt am Tisch mit Sieglinde und drückt ihre Hand

71 Jahre ist Sieglinde alt, und sie hat schon so manchen Zivildienstleistenden und Bundesfreiwilligen in ihre Wohngruppe im Haus Waldhof der Bergischen Diakonie Aprath kommen und gehen sehen. Doch der Abschied von Kati Lovas fällt ihr sichtlich schwer. In ein paar Tagen wird die 33-jährige Frau das Haus, in dem 45 Menschen mit psychischen Erkrankungen leben, verlassen. "Ich werde sie vermissen", sagt Sieglinde und hält eine blaue, selbst gemachte Tasche hoch. "Die habe ich mit Frau Lovas gestrickt. Und jeden Donnerstag bin ich in ihre Backgruppe gekommen."

Das Stichwort hört ein anderer Bewohner und schaut von seinem Balkon auf die Terrasse herunter. "Frau Lovas kann ganz toll backen", bestätigt er. Bei so viel Lob wird die junge Frau etwas verlegen – und wehmütig. "Das war ein gutes Jahr für mich", zieht sie Bilanz. "Ich habe hier gerne gearbeitet und viel über mich selbst gelernt." Vor allem aber weiß die 33-jährige jetzt, was sie beruflich machen möchte und wie es in ihrem Leben weitergeht. Ab Ende August wird sie noch mal die Schulbank für eine Ausbildung zur Erzieherin drücken. Danach möchte sie gerne in der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten – oder auch in einer Wohngruppe für behinderte oder psychisch kranke Menschen.

Kati Lovas hat jetzt Klarheit über ihren beruflichen Weg

Ein weiter Weg zum Traumberuf

Kati Lovas gehört zu den rund 100 Freiwilligen der Diakonie RWL, die am Programm des Bundesfreiwilligendienstes für Menschen über 27 Jahren teilgenommen haben. Seit fünf Jahren gibt es den Bundesfreiwilligendienst. Doch von den bundesweit rund 50.000 Teilnehmern sind nur wenige über 27 Jahre alt. Bei der Diakonie RWL machen sie gerade mal fünf Prozent der knapp 2.000 Freiwilligen aus. "Wer es sich finanziell leisten kann, für den ist der Freiwilligendienst eine gute Möglichkeit zu testen, ob aus der sozialen Tätigkeit ein Beruf werden kann", sagt Geschäftsbereichsleiter Jürgen Thor. "Rund die Hälfte unserer Teilnehmer beginnt danach eine Ausbildung im sozialen Bereich." Ein Erfolg, der sich sehen lassen kann – und, so hofft Thor, bald mehr Menschen in das Programm lockt.

Kati Lovas' gebrochene Berufsbiografie ist typisch für die Geschichte vieler älterer Freiwilliger, die in den diakonischen Einrichtungen arbeiten und in Seminaren von Pädagogen der Diakonie RWL begleitet werden. Dazu gehören abgebrochene Ausbildungen oder Studiengänge, ungelernte Tätigkeiten und der Wunsch nach Veränderung, nach einer sinnvollen Arbeit. Schon vor ihrem Abitur habe sie gewusst, dass sie gerne etwas mit und für Menschen tun möchte, erzählt Kati Lovas. Doch der Weg dorthin war bei ihr weit – im wahrsten Sinne des Wortes.

Kait Lovas in der Speisekammer

Lebensmittel sortieren gehört zum Job

Etwas tun, das die Welt verbessert

Erst im vergangenen Mai kam sie aus Neuseeland in ihre Heimatstadt Wuppertal zurück. Fünf Jahre lebte sie dort und arbeitete in der Gastronomie. Zwei Mal hatte sie den Versuch gemacht, ein Studium zu beginnen. Doch beide Versuche scheiterten am Geld.

Das verdiente sie als Köchin. In Neuseeland stieg sie sogar zur Junior-Geschäftsführerin eines kleinen Restaurants auf. "Kochen macht mir Freude", betont sie. "Aber ich wollte etwas Bedeutsames tun, etwas, das diese Welt ein bisschen besser macht."

Als ihre Familie sie brauchte, brach sie ihre Zelte in Neuseeland ab und kam nach Deutschland zurück. Ein Neuanfang, der -wie sie gerne betont - auch damit zu hatte, dass sie den christlichen Glauben für sich entdeckte. Nun wollte sie endlich etwas "mit und für Menschen tun". Beim Jobcenter verbrachte sie vergebliche Stunden mit der Frage, wie sie den Einstieg in einen sozialen Beruf schaffen könne. Auf die Idee, sich beim Programm Ü 27 des Bundesfreiwilligendienstes zu bewerben, brachte sie aber erst eine Freundin.

Kati Lovas hält ein Tabeltt mit Kuchen in der Hand

Bitte zugreifen beim Kuchen aus der Backgruppe!

Gut hinhören und Geduld haben

"In diesem Jahr liegt eine große Freiheit", meint sie. "Man darf einen sozialen Bereich austesten und wenn der nicht zu einem passt, kann man auch wechseln." Bei Kati Lovas war das nicht nötig. Sehr schnell habe sie Zugang zu den oft schwierigen Bewohnern des Hauses gefunden, erzählt Mitarbeiterin Silke Stiller. Die Freiwillige sei eine echte Entlastung für das ganze 25-köpfige Team, meint die gelernte Altenpflegerin. Ob es darum gehe, den Bewohnern beim Ankleiden zu helfen, Essen auszuteilen, mit ihnen die Freizeit zu gestalten oder sie zum Arzt zu begleiten – "sie sieht, was zu tun ist und packt hier an."

Ein anspruchsvoller Job, denn oft sei es nicht einfach, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt der Bewohner hineinzuversetzen, so Kati Lovas. "Hier habe ich gelernt, Geduld zu haben und genau zuzuhören, damit ich den anderen Menschen wirklich verstehe." So hat sie viel Zeit mit einer älteren Frau verbracht, die unter schizophrener Psychose leidet, und sich am liebsten ganz in ihr Zimmer zurückzieht. "Seit Kati Lovas sie regelmäßig betreut, ist sie viel offener und selbstständiger geworden", beobachtet Silke Stiller. "Neulich hat sie sogar laut gelacht."

Kati Lovas an der Tischtennisplatte

Jederzeit ist sie für ein Spiel zu haben

Gesellschaftliche Teilhabe fördern

Frohsinn unter Menschen zu verbreiten, die in ihrem Leben viel Trauriges erlebt haben – das hat sich Kati Lovas zum Ziel gesetzt. "Die meisten unserer Bewohner haben Ausgrenzung und Ablehnung erlebt", sagt sie. "In Neuseeland sind Menschen mit einer Behinderung oder psychischen Erkrankung selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass wir in Deutschland auch dahin kommen."

Eines der größten Komplimente zum Abschied macht ihr daher der 44-jährige Peter. Mit ihm hat sie regelmäßig Tischtennis gespielt und viele Gespräche geführt. "Sie besitzt sehr viel Einfühlungsvermögen", sagt er. "Und sie redet mit uns nie von oben herab."

Text und Fotos: Sabine Damaschke