20. Juni 2022

Weltflüchtlingstag

Niemand erreichbar

Die Situation ist ernst. Seit der Pandemie ist es kaum möglich mit den Ausländerbehörden in Kontakt zu treten. Flüchtlingsberater*innen schlagen Alarm. Betroffene können keine Termine vereinbaren − mit gravierenden Folgen: Ohne gültige Dokumente verlieren die Menschen ihren Job, können keine Arbeits- oder Mietverträge abschließen, keinen Führerschein machen, kein Kindergeld beantragen.

  • Flüchtling nimmt Papiere entgegen.
  • Junger Mann blickt ängstlich in die Zukunft.
  • Mann mit Buch liest seinem Enkelsohn ein Märchen in einer Notunterkunft vor.

Es klingt kurios: Die einfachste Arbeitssituation in der ganzen Corona-Pandemie war für Flüchtlingsberaterin Maria Shakura von der Diakonie Wuppertal die Zeit des Komplett-Lockdowns. Warum? "Alle Behörden und auch die Polizei wussten um die besondere Situation und hatten enormes Verständnis. Es gab eine große Bereitschaft, Dinge auch mal anders zu regeln." Irgendwann hätten dann aber die meisten Institutionen wieder angefangen, normal zu arbeiten. "Und seitdem sinkt das Verständnis." Fast alle Menschen haben während der Pandemie Erfahrungen mit schwer erreichbaren Behörden gemacht. Im Falle der Ausländerbehörden hat das jedoch oftmals gravierende Folgen: Denn sie entscheiden auch darüber, wo und wie Geflüchtete leben können.

Dokumente sichten.

Ein Großteil der Arbeit der Ausländerbehörden läuft noch immer nicht digital. In der Pandemie verlangsamte das die Arbeit ebenso wie der Personalmangel.

Unterbesetzt und nicht digitalisiert

"Ja, in der Pandemie haben sich personelle und strukturelle Probleme der Ausländerbehörden gezeigt", bestätigt Dagmar Dahmen, Leitende Ministerialrätin und Gruppenleiterin Ausländerrecht im Ministerium für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW. Schon in den Jahren zuvor seien die Behörden unterbesetzt gewesen, die Digitalisierung kam nur schleppend voran. "Während der Pandemie wurden dann noch Mitarbeitende in Gesundheitsämter abgeordnet, um Corona-Infektionen nachzuverfolgen", schilderte Dahmen kürzlich bei der Behördentagung, organisiert vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe, der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld sowie dem Düsseldorfer Amt für Migration und Integration.

"Die Personalknappheit ist seit Jahren ein großes Problem", räumt auch Andreas Wohland, Beigeordneter im Städte- und Gemeindebund NRW, ein. "Ich fürchte, dass sich diese Situation durch den demografischen Wandel in den nächsten zehn Jahren noch verschlechtern wird", sagte Wohland bei der Behördentagung. Er gehe davon aus, dass sich die Situation durch digitale Abläufe nur bedingt verbessern lasse. "Die Einsparpotenziale sind nicht so groß wie etwa im Melde- oder Passwesen. In den Ausländerbehörden können wir nicht auf persönliche Kontakte verzichten."

Aufnahmestopp für neue Klienten

Die Flüchtlingsberatungsstelle der Diakonie Wuppertal kritisiert genau das: Ein persönlicher Kontakt sei derzeit kaum möglich. Aktuell würden die meisten Abläufe schriftlich per Mail geregelt. Für viele Geflüchtete sei das aufgrund mangelnder Sprachkenntnis und fehlender Ausstattung aber nur schwer umsetzbar. Jeder persönliche Termin, der in der Ausländerbehörde nicht mehr stattgefunden hat, löse Bedarf in den Beratungsstellen oder bei Ehrenamtlichen aus.

Während die Mitarbeitenden der Flüchtlingsberatung früher hauptsächlich mit schwierigen Problemfällen zu tun hatten, müssen sie wegen der Unerreichbarkeit der Behörden nun schon dabei helfen, überhaupt einen Termin zu bekommen. "Wir sind stark belastet, und die Arbeitszeit wird dominiert von dem Bemühen, bei der entsprechenden Behörde Termine zu bekommen. Die Menschen stehen bei uns vor der Tür", sagt Beraterin Maria Shakura. Die Wuppertaler haben deshalb immer mehr ehrenamtlich Tätige eingebunden – und mussten dennoch einen Aufnahmestopp für neue Klienten verhängen.

Abschiebungen wegen Nichterreichbarkeit?

Selbst die Berater*innen finden nur noch schwer Zugang zu den Ausländerbehörden. Mails würden oft nicht beantwortet, Anrufe nicht entgegen genommen. Für Geflüchtete kann die Nichterreichbarkeit der Ausländerbehörden gravierende Folgen haben. "Ohne gültige Dokumente verlieren die Menschen ihren Job, können keine Arbeits- oder Mietverträge abschließen, keinen Führerschein machen, kein Kindergeld beantragen", zählt Beraterin Maria Shakura auf. "Ich bin mir sicher, dass es in den vergangenen Monaten viele Abschiebungen gab, weil die Betroffenen keine Unterstützung finden konnten."

Auf ihrem Wunschzettel zum Weltflüchtlingstag steht daher vor allem eine Haltungsveränderung der Behörde. "Ich sehe da zu oft eine Aufenthaltsverhinderung statt einer Würdigung der Integrationsleitungen. Durch einen Wechsel der Sichtweise könnte bereits viel erreicht werden. Dass es auch anders und viel besser geht, hat die Behörde beim Umgang mit den Ukraine-Geflüchteten bewiesen."

Eine Situation wie aktuell hat Maria Shakura in ihrer 20-jährigen Berufserfahrung noch nicht erlebt. Die Flüchtlingsberaterin belastet die schwierige Situation, das Arbeitspensum sei extrem gestiegen. Wie sie es trotzdem schafft, engagiert weiterzuarbeiten? "Ich sehe, dass da Unrecht passiert. Wir müssen den Betroffenen einfach beistehen."

Text: Ilka Hahn, Fotos: Shutterstock, Pixabay

Ihr/e Ansprechpartner/in
Ilka Hahn
Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit