10. Dezember 2021

Tag der Menschenrechte

Gefangen im Grenzgebiet

Seit Monaten harren Geflüchtete an der Grenze zu Belarus und Polen aus. Sie sterben an Eiseskälte und Hunger. Zum "Tag der Menschenrechte" am 10. Dezember macht die Diakonie RWL auf die unmenschliche Situation aufmerksam. Die polnischen Partnerdiakonie organisiert derweil tatkräftige Hilfe: Spenden werden gesammelt und Geflüchtete unterstützt, die es über die Grenze geschafft haben. 

  • Geflüchtete stehen am Grenzzaun in Belarus
  • Hilfspakete der Diakonie Polen für Geflüchtete an der belarussischen Grenze
  • Decken für Geflüchtete an der belarussischen Grenze, aufgereiht auf Stühlen
  • Männer packen Kisten zum Transport für Geflüchtete an der belarussischen Grenze
  • Zwei Mitarbeiter der Diakonie Polen vor einem Lieferwagen, in den sie Pakete für Geflüchtete einladen.

Was Wanda Falk täglich über die geflüchteten Menschen an der polnisch-belarussische Grenze erfährt, kann sie nur noch als "humanitäre Katastrophe" bezeichnen. Das Schicksal der Migrantinnen und Migranten, die eigentlich in die Europäische Union gelangen wollten, treibt die Generaldirektorin der polnischen Diakonie um und nimmt einen Großteil ihrer Arbeit in Anspruch. Viele harren nun schon seit Wochen und Monaten in den Wäldern der Grenzregion aus, frieren und hungern bei Regen und Schnee. Einige Menschen sind bereits gestorben.

Die Zustände an der Grenze seien nach wie vor katastrophal, sagt Wanda Falk. Es fehlt an Nahrung, Schutzzelten und Decken. Seit September dürfen Nichtregierungsorganisationen und Journalisten nicht in das Sperrgebiet. Per Gesetz vom 1. Dezember schränkt die polnische Regierung den Zugang weiterhin ein. Diejenigen, die es über die Grenze schaffen, versucht die Diakonie so gut es geht zu unterstützen. Laut EU-Kommission kamen seit Jahresbeginn knapp 8.000 Migranten über Belarus in die EU, davon rund 3.200 nach Polen. 

Portrait

Wanda Falk, Generaldirektorin der Diakonie Polen, versucht den Geflüchteten an der belarussischen Grenze so gut zu helfen wie möglich.

Gemeinsam für Geflüchtete

Der Bischof der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen und der Präses der Diakonie Polen rufen gemeinsam zu Spenden für die Flüchtlingshilfe auf. Rund 600 Hilfspakete mit Schlafsäcken, Decken und Essen sind bereits an Flüchtlinge verteilt worden, berichtet Wanda Falk in einem Videotelefonat. Die Diakonie arbeitet dabei eng mit dem Büro des Bürgerbeauftragten in Warschau zusammen, das als einzige zivile Institution Orte in der unmittelbaren Grenzregion betreten darf, mit Seelsorgern des Grenzschutzes, anderen Hilfsorganisationen, evangelischen Gemeinden und Kontaktpersonen. 

Außerdem unterstützt die Diakonie ein Krankenhaus in Hajnówka nahe der polnisch-belarussischen Grenze, in dem Migrantinnen und Migranten medizinisch versorgt werden, sowie zwei bewachte Aufnahmezentren in Ketrzyn und Biala Podlaska, in denen viele Kinder und Frauen leben. Koordiniert wird die Hilfe vom Diakoniebüro in Warschau aus, gut 200 km von der Krisenregion entfernt – und doch ist Wanda Falk nah dran am Geschehen. Während des Videotelefonats klingelt wieder mal ihr Handy. Ein Grenzschutzseelsorger ist am Apparat und informiert sie über neue Entwicklungen. 

Aufnahmezentrum für Geflüchtete im polnischen Biala Podlaska von außen

Die Diakonie Polen unterstützt Geflüchtete in den beiden polnischen Aufnahmezentren in Ketrzyn und Biala Podlaska.

Überfülltes Aufnahmezentrum

In dem Aufnahmezentrum in Ketrzyn seien jetzt mehr als 180 Kinder, dreimal so viele wie noch im Oktober. Die Zahl der Geflüchteten sei auf 420 gestiegen. "Das Zentrum ist völlig überfüllt", sagt Wanda Falk und wird heute noch etliche Telefonate führen, um zu erfragen, was die Menschen gerade am dringendsten brauchen – Kleidung, Hygieneartikel oder Bastelmaterial für Kinder. 

Die Theologin berichtet weiter, dass die meisten Migranten und Flüchtlinge nach Deutschland wollen und sich wohl kaum der Situation an der EU-Außengrenze bewusst gewesen seien. Nun sitzen Tausende – schätzungsweise 10.000 sollen es sein – in einer schier ausweglosen Situation fest: In Belarus werden sie Richtung Grenze gedrängt, polnische Beamte lassen sie nicht passieren und drängen die Menschen zurück. Nach Angaben von polnische Behörden gab es von August bis November rund 33.000 Versuche, die Grenze ohne Genehmigung zu überqueren.

Portrait

An der belarussischen Grenze werden Kinder- und Menschenrechte verletzt, sagt Diakonie RWL-Migrationsexpertin Susanna Thiel.

"Verstöße gegen EU- und Völkerrecht"

Gewaltanwendung und Rückschiebungen von Schutzsuchenden, darunter auch Familien und Kinder, durch Grenzbeamte, sogenannte Pushbacks, sind auch an der bosnisch-kroatischen Grenze dokumentiert. "Das sind Verstöße gegen geltendes EU- und Völkerrecht. Hier werden Kinder- und Menschenrechte verletzt", kritisiert Susanna Thiel, Migrationsexpertin der Diakonie RWL. "Schutzbedürftige werden als Druckmittel von Alexander Lukaschenko genutzt, und zur Profilierung als Grenzschützer durch die polnische Regierung. Das darf nicht sein."

Die Diakonie Polen leiste mit großem Engagement die nötigste humanitäre Unterstützung über Hilfspakete mit Nahrung, Hygieneartikeln und Decken. Auch die Evangelische Landeskirche im Rheinland und die Lippische Landeskirche sammeln Spenden und stellen Mittel bereit. Doch es müsse mehr passieren. In einem Appell, den die Diakonie Deutschland mitunterzeichnet hat, fordern fast 30 Organisationen die Bundesregierung zu raschem Handeln auf, um das Leid der Menschen an den EU-Außengrenzen zu lindern. Es geht um humanitäre Hilfe. Darum, die Betroffenen aus den Grenzregionen zu holen, auf EU-Staaten zu verteilen und ihnen einen Zugang zu Asylverfahren zu ermöglichen.

Winterkinderkleidung auf einem Tisch in den Räumen der Diakonie Polen

Kinderkleidung gegen die Kälte: Die Diakonie Polen hat besonders die Kinder im Blick.

Menschlichkeit zeigen

Auch Wanda Falk bekräftigt, dass die europäischen Gesellschaften gemeinsam eine Lösung finden müssen. Für die Theologin ist dies nicht nur eine Frage der Politik, sondern vor allem der Menschlichkeit. "An diesem Punkt ist es nicht mehr wichtig, woher die Menschen kommen. Wichtig ist, dass wir sie gemeinsam vor dem Tod bewahren. Niemand hat es verdient, im Wald zu sterben." Jedes Mal, wenn ihr Team von einem weiteren Todesfall erfährt, sei das schwer zu akzeptieren. 

Für Wanda Falk ist es eine "schwierige Adventszeit". Jede Geste der Solidarität sei wichtig, sagt sie. Immer wieder sind die Gedanken der Polin bei den Erwachsenen und Kindern, die in ihren Heimatländern oft schon Schlimmes erlebt haben: Krieg, Zerstörung, Flucht. "Dann kommen sie mit viel Hoffnung nach Europa und tappen in eine Falle. Es ist grausam."

Text: Silke Tornede, Redaktion: Sabine Damaschke, Fotos: Diakonie Polen

Ihr/e Ansprechpartner/in
Susanna Thiel
Geschäftsfeld Flucht
Weitere Informationen

Die Diakonie Polen ruft zu Spenden für Geflüchtete an der polnisch-belarussischen Grenze auf. In dem Aufruf heißt es: "Jeden Tag wird ihre Lage schwieriger. Menschengruppen, darunter Familien mit kleinen Kindern, verharren im Freien, suchen Schutz und Hilfe. Schlechte Wetterbedingungen verursachen starke Erkältungen. Darüber hinaus sind bestätigte Fälle bekannt geworden, dass Personen starben, weil sie keine Hilfe erhielten." 

Spendenkonto der Diakonie Polen: Bank PEKAO S.A., I O/Warszawa
IBAN: PL 56 1240 1037 1978 0000 0693 1401 (EUR)

Die Evangelische Kirche im Rheinland unterstützt den Spendenaufruf der Diakonie Polen und bietet die Möglichkeit einer Onlinespende an.