Tag des Flüchtlings
Fast hätte Milana es geschafft: Im vergangenen Jahr wollte sie ihr Medizinstudium in der Ukraine abschließen. Doch dann begann der Krieg. Milana (Name geändert) musste ihr Studium aufgeben und floh vor den russischen Angriffen nach Deutschland. Damit verlor sie auch das Stipendium, das ihr das Studium in der Ukraine ermöglicht hatte. Ohne Perspektive fand sich die 28-Jährige in einem ihr fremden Land wieder – Hilfe bekam sie bei der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) des Diakonischen Werks in Solingen. Beraterin Aleksandra Brill unterstützte die junge Frau zunächst bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Bereits nach kurzer Zeit arbeitete Milana in einem Pflegeheim. Gemeinsam suchen nun beide nach Möglichkeiten, damit Milana in Deutschland weiter studieren kann.
Aleksandra Brill arbeitet in der Migrationsberatung für Erwachsene des Diakonischen Werks in Solingen. Sie sagt: "Wir sind ein Bindeglied."
Wichtiges Bindeglied
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei die Migrationsberatung in Solingen ein wichtiger Pfeiler bei der Beratung und Unterstützung ukrainischer Geflüchteter, sagt Brill. Aber auch Menschen aus anderen Ländern wie dem Iran, dem Irak, aus Syrien, Afghanistan oder aus EU-Staaten suchen hier Rat.
Die MBE, die aus dem Haushalt des Bundesinnenministeriums finanziert wird, richtet sich vorwiegend an Erwachsene ab 27 Jahre, die neu zugewandert sind. Doch auch Zugewanderte, die schon länger in Deutschland leben, können die Beratung in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für jüngere Menschen mit erwachsenenspezifischen Fragestellungen. Die Berater*innen helfen bei der Arbeits- und Wohnungssuche, vermitteln Deutschkurse, unterstützen bei der Eingliederung der Kinder in Schule oder Kita und bei der Kommunikation mit den Ausländerbehörden. "Wir sind ein Bindeglied zwischen den Zugewanderten, den deutschen Behörden und der Gesellschaft", erklärt Aleksandra Brill.
Träger der bundesweit 1.285 Beratungseinrichtungen sind neben der Diakonie auch fünf weitere Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. 557.000 Zugewanderte fanden im vergangenen Jahr Unterstützung.
Friederike Menzemer, Referentin im Geschäftsfeld Flucht, Migration und Integration bei der Diakonie RWL, warnt vor Kürzungen bei der Migrationsberatung.
Beratungen einsparen
Doch die wichtige Arbeit der Beratungsstellen ist nun massiv gefährdet. Denn der Entwurf der Bundesregierung für den Bundeshaushalt 2024 sieht vor, die Mittel für die MBE um rund 30 Prozent zu kürzen – von 81,5 Millionen Euro in diesem Jahr auf dann nur noch 57,5 Millionen Euro. "Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass wir in unseren Beratungsstellen auch 30 Prozent einsparen müssen", sagt Friederike Menzemer, Referentin im Geschäftsfeld Flucht, Migration und Integration bei der Diakonie RWL. Im Verbandsgebiet der Diakonie RWL gibt es derzeit 43 MBE-Standorte in evangelischer Trägerschaft, an denen 70 erfahrene und engagierte Mitarbeiter*innen tätig sind. Sollte es zu den geplanten Kürzungen kommen, müssten 13 Standorte ihre Tätigkeit einstellen, befürchtet Menzemer.
Die Beratung von Zugewanderten ist in Zeiten des Kriegs in der Ukraine wichtiger denn je.
Erste Anlaufstelle
"Die Kürzungspläne sind in der derzeitigen Phase unverständlich", kritisiert Friederike Menzemer. Die Zahl der Zugewanderten erreichte in Deutschland im vergangenen Jahr den Höchststand seit Beginn der statistischen Aufzeichnung 1950. Insgesamt 2,7 Millionen Menschen wanderten ein, darunter 1,2 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine. "Die Einrichtungen der Migrationsberatung sind oft die erste Anlaufstelle für diese Menschen", so Menzemer. Zudem werde aufgrund des Fachkräftemangels der Zuzug nach Deutschland derzeit sogar gefördert. Erst im Juli verabschiedete der Bundesrat das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das es Ausländern erleichtern soll, nach Deutschland einzureisen, um hier zu arbeiten.
In die Beratungen kommen viele Menschen mit Fragen zur Integration in den Arbeitsmarkt: Werden Ausbildung oder Zeugnisse anerkannt? Gibt es Umschulungen oder Weiterbildungen?
Kein Job trotz Qualifikation
Viele Zugewanderte, die in Deutschland arbeiten wollen, müssen erst einmal Hürden nehmen, beobachtet Menzemer. So sei etwa die Bürokratie langwieriger und komplexer geworden. Ein Grund seien personelle Engpässe bei den Ausländerbehörden. Auch für Sprachkurse gebe es mitunter lange Wartezeiten. Kita- und Schulplätze seien oftmals knapp. Und nicht zuletzt zögen sich die Wartezeiten auf Anerkennung einer Ausbildung teilweise lange hin.
"In dieser komplexen Lage brauchen die Menschen eine gute Begleitung", sagt Menzemer. Auch zu Aleksandra Brill kommen viele Menschen mit Fragen zur Integration in den Arbeitsmarkt: Werden Ausbildung oder Zeugnisse anerkannt? Gibt es Möglichkeiten der Umschulung oder Weiterbildung? Tragisch seien Fälle, in denen Zugwanderte eine qualifizierte akademische Ausbildung hätten, die hierzulande nicht anerkannt wird. Das betreffe zum Beispiel viele Lehrer*innen aus der Ukraine.
Oft müssen Zugewanderte, die in Deutschland arbeiten wollen, erst einmal zahlreiche Hürden nehmen.
Bürokratische Hürden
Ohne Hilfe drohen junge Fachkräfte wie Milana, die in Deutschland ihr Medizinstudium abschließen möchte, auf der Strecke zu bleiben, fürchtet Brill. Denn würden die Kürzungspläne der Bundesregierung umgesetzt, könnten deutlich weniger Menschen beraten werden. Dabei werde mehr statt weniger Geld gebraucht, um die Strukturen erhalten zu können, sagt Friederike Menzemer. "Wir fordern 89 Millionen Euro." Denn: Durch die höheren Tarifabschlüsse seien die Personalkosten für die Träger deutlich gestiegen.
Mit einem Abbau von Migrationsberatungsstellen würde Zugewanderten die Integration in den Arbeitsmarkt sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Bildung deutlich erschwert. Da werde an der falschen Stelle gespart, warnt Menzemer. "Für einen kurzfristigen Spareffekt entstehen Kosten, die dann langfristig von der gesamten Gesellschaft getragen werden müssen."
Text: Claudia Rometsch, Fotos: Canva/Monkey Business, Christoph Bild, DKH/Frank Schultze, DW Solingen, Shutterstock
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