28. Januar 2022

Sprachlernpatinnen

Grenzenlose Freundschaft

Sie kommen aus verschiedenen Generationen, Ländern, Kulturen und sind sich doch nah: Maha aus Syrien und Doris aus Deutschland. Beide Frauen verbindet, dass sie sich von den Herausforderungen ihres Lebens nicht unterkriegen lassen. Dazu gehört auch die deutsche Sprache, die Maha mit der 81-jährigen Doris bei der Düsseldorfer Diakonie trainiert.

  • Globus mit Kopfhörer in einer Bibliothek
Im "Welcome Point 08" im Düsseldorfer Stadtteil Eller herrscht gespannte Ruhe. In dem hellen Raum sitzen sich an einem kleinen braunen Tisch die 81-jährige Doris Massong und die 50 Jahre jüngere Maha Ibrahim gegenüber. Doris hilft Maha beim Deutschlernen. Zwischen ihnen eine corona-konforme Plexiglasscheibe. In ihren Händen hält Doris ein Blatt Papier, auf dem ein handgeschriebener Text steht. Es ist das Ergebnis eines Diktats, das Maha kurz zuvor aufgeschrieben hat. 
 
Die beiden Frauen bilden ein Sprachlern-Tandem. Die aus Syrien stammende Maha ist auf dem Weg zu ihrer B2-Prüfung in Deutsch. Doris unterrichtet sie ehrenamtlich. Seit fast zwei Jahren treffen sie sich jetzt regelmäßig zum Lernen, auch wenn die Pandemie es ihnen zwischenzeitlich sehr schwer macht. So haben sie sich noch nie außerhalb ihres Unterrichts gesehen.
 
Die junge Kurdin und ihre deutsche Sprachlernpatin haben bei der intensiven Arbeit schnell gemerkt, dass sie viel mehr verbindet, als sie Alter und Unterschiede in Herkunft, Religion, Kultur und Sprache trennen könnten. "Maha erinnert mich an mich selbst als junge Frau", sagt Doris. "Dieser Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen. Aber auch, Kontakte zu anderen Menschen zu suchen. Und bei all der Belastung, die sie hat, ist sie trotzdem ein fröhlicher Mensch."
Portrait Maha Ibrahim

"Doris ist ein Vorbild für mich. Sie bestärkt mich immer", sagt Maha. 

Gute Freundinnen

Maha freut sich sichtlich über diesen Vergleich. "Ich verstehe zwar nicht immer jedes Wort, das sie sagt. Aber ich verstehe, was sie meint", beschreibt sie die Verbindung zu ihrer Freundin und das gegenseitige Verständnis. "Doris ist ein Vorbild für mich. Sie bestärkt mich immer, sagt: Du schaffst das! Das ist für mich sehr wichtig. Aber sie ist auch immer kritisch und ehrlich. Gute Freundinnen sind so."
 
In Syrien habe sie nicht erreicht, was sie eigentlich wollte, erklärt Maha weiter. "Ich wollte weiter lernen, weiter zur Schule gehen. Aber ich musste früh heiraten, wurde schwanger und kümmerte mich dann nur noch um den Haushalt. So war die Gesellschaft, mich hat keiner gefragt, was ich wollte."
 

Die Chance auf Selbstbestimmung

Für viele Frauen, die nach Deutschland kommen, ergeben sich aufgrund der individuellen Freiheiten neue Chancen auf ein selbstbestimmteres Leben. Da steht das Deutschlernen oft ganz weit vorne auf der Wunschliste. "Die Frauen wittern hier ihre Chance", sagt Doris und merkt an, dass einige Männer sich sehr anstrengen müssen, um mit dem Tempo ihrer Frauen Schritt zu halten. 

Bevor sie nach Deutschland kam, hörte Maha viel über die Menschen und die Gesellschaft in Deutschland. Zum einen, dass Frauen hier frei seien. Aber auch – und das machte der jungen Mutter tatsächlich große Sorgen–, dass sich aufgrund der vielen Freiheiten ihre Kinder von ihr und der Familie abwenden würden. Auch jetzt, längst in Deutschland lebend, kennt sie Frauen und Männer, die Vorurteile pflegen. 

Für sie liegt der Schlüssel zum Verstehen in der gemeinsamen Sprache. "Ich merke jetzt, dass Menschen sich verstehen können, egal woher sie kommen. Dabei ist die Sprache wichtig. Wenn ich sie nicht könnte, wie sollte ich mich dann mit Doris unterhalten? Die Sprache ist wie ein Boden. Ohne Boden kann man nicht weiterbauen."

Portrait Doris Massong

Doris ist beeindruckt von Mahas Ehrgeiz - und enttäuscht über die Vorurteile, mit denen Bekannte auf ihr Ehrenamt als Sprachlernpatin reagiert haben.

Konfrontiert mit Vorurteilen

Doris selbst kannte keine Vorurteile gegenüber den Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Ihre Familie ist recht international, mit engen Verbindungen nach Irland, in die USA und nach Kanada. Sie ist ein offener Mensch. Offensichtlich geschockt haben die energische Frau jedoch Reaktionen aus ihrem engsten Bekanntenkreis. Menschen, die sie seit fast 50 Jahren kennt, zeigten plötzlich ein ganz neues Gesicht, als sie ihnen vor ein paar Jahren ihr neues Engagement erklärte: "Da habe ich mir anhören müssen, wie man so was nur machen könne", erzählt sie.  "Bekannte meinten zu mir: Du wirst schon sehen, was du davon hast. Eines Tages hörst du hier kein Deutsch mehr auf den Straßen. Wir Deutschen können ausziehen." Doris hat sich davon nicht beirren lassen. 
 
Familie, Haushalt, Lernen
Neben dem Lernen ist Mahas Familienalltag voller Aufgaben, die sie alle alleine bewältigen muss. Zwischen Familie, Haushalt und Lernen hat sie bereits ein mehrwöchiges Berufspraktikum absolviert. Natürlich mit Bravour. Sie hat ihr Ziel fest vor Augen: eine Berufsausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin. Mit einer erfolgreichen Prüfung im kommenden Frühjahr steht ihr die Tür dazu offen. Beginn im August nächsten Jahres. 
 
Und auf noch etwas freut sie sich: Die Frauen haben verabredet, dass sie, spätestens, wenn die Sprachprüfung geschafft ist, ihre Freundschaft endlich richtig ausleben und sich auch ohne Lernen treffen, um mal gemeinsam zu kochen. Jede für die andere ein besonderes Gericht. Doris will einen rheinischen Sauerbraten machen und wünscht sich gefüllte Weinblätter. Maha lächelt ob des bescheidenen Wunsches ihrer Freundin. Es wird ein Festessen.
 
Text: Julius Kohl/Diakonie Düsseldorf, Redaktion: Sabine Damaschke, Fotos: Gerald Biebersdorf, Teaserfoto: Shutterstock

Weitere Informationen

Die "Welcome Points" der Diakonie Düsseldorf dienen als zentrale Anlaufstellen in den Stadtbezirken, um alle Fragen zum Thema Flüchtlingshilfe zu beantworten. Hier können Geflüchtete erste Unterstützung finden, die Fragen der Anwohner werden beantwortet und ehrenamtliche Hilfe koordiniert. Die "Welcome Points" ermöglichen die Begegnung zwischen Zuwanderern und Düsseldorfern, um die Integration voranzubringen und ein gemeinsames Miteinander im jeweiligen Stadtteil zu fördern. Ehrenamtliche helfen beim Deutschlernen, Ausfüllen von Formularen oder organisieren Freizeitangebot.