Sommerreihe: Ehrenamtliche in der Diakonie
Die Wohnanlage in Düsseldorf-Lohausen sieht auf den ersten Blick verwaist aus. Die sengende Hitze hat das Gras der Anlage braun und vertrocknet zurück gelassen. Auf den schmalen Plattenwegen ist niemand zu sehen. Doch der Eindruck trügt. Die Flüchtlingsunterkunft ist voller Leben, es ist ein fröhlicher Ort. An diesem drückend heißen Tag steht Tahssen Elias im Schatten vor dem Gruppenraum und wartet mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf die Kinder.
Er gehöre zu den Menschen, die erst dann wirklich glücklich sind, wenn sie helfen, wenn sie für andere da sein könnten, sagt der 27 Jahre alte Iraker über sich selbst. Zweimal in der Woche kommt er in die Unterkunft, um dazu beizutragen, dass aus Flüchtlingskindern "Starke Kids" werden. Und das bereits seit drei Jahren.
Kinderzeichnungen an der Tafel
Das Programm "Starke Kids" der Diakonie Düsseldorf richtet sich an Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Kraft tanken und aus dem Alltag herauskommen – darum geht es. Die Kinder machen gemeinsame Ausflüge, spielen Fußball auf dem Hof oder singen zusammen im Gruppenraum. "Tahssen, können wir schon reingehen?", fragt ein etwa sechsjähriges Mädchen im geblümten Kleid, die mit ihrer Schwester angelaufen kommt.
Drinnen stapeln sich Brettspiele, in einer Kiste liegt eine Holzeisenbahn neben Lego-Teilen und am Kopf des Raums ist eine alte Schultafel mit allerlei Kinderzeichnungen angebracht. Maka und ihre Schwester Oko setzen sich an den Tisch und scheinen genau da weiterzumachen, wo sie am Tag zuvor aufgehört haben: ein Brettspiel, bei dem sie Gesichter erraten müssen. Für die vierjährige Oko ist das noch zu schwer und Tahssen setzt sich neben sie, erklärt und hilft geduldig.
Die vierjährige Oko (links) und ihre sechsjährige Schwester Maka puzzeln gemeinsam.
Den Kindern Halt geben
Etwas im Hintergrund steht Björn Frahm. Er ist Musikpädagoge und in Flüchtlingsheimen in ganz Nordrhein-Westfalen unterwegs. "Ich kenne niemanden, der besser mit den Kindern umgehen kann", sagt Frahm, während er Elias und den Mädchen beim Spielen zusieht. "Er ist so ruhig und trotzdem liebevoll – aber auch sehr bestimmt. Die Kinder spüren diese Ruhe, die er ausstrahlt. Das gibt ihnen Halt." 150 Menschen leben in der Flüchtlingsunterkunft davon sind 30 Kinder. Zwischen zwölf und 15 Kinder kommen jede Woche zu den "Starken Kids".
Trotz ihrer oft traumatischen Erfahrungen sind die Kinder meistens ausgelassen und fröhlich. "Bei denjenigen, die zehn Jahre oder älter sind, da merkt man das manchmal, dass sie traurig und zurückhaltend sind. Die bekommen einfach mehr mit von den Schwierigkeiten, die ihre Eltern erfahren", sagt der Ehrenamtliche. Einige der "Starken Kids" leben schon seit mehreren Jahren in dem Heim in Lohausen – wie Nikki und Kimbaly. Seit knapp vier Jahren ist die Unterkunft das Zuhause der beiden Schwestern. Gerade für sie sei es wichtig, immer mal wieder raus zu kommen und etwas anderes zu sehen, sagt der 27-Jährige: "Es ist nicht alles grau, es gibt immer einen bunten Fleck und den versuche ich den Kindern zu zeigen."
Auf der Facebookseite "Yesidische Lehrlinge in Deutschland" informieren Elias und seine Freunde über das Leben in Deutschland.
Flucht vor dem Islamischen Staat
Auch Tahssen Elias kennt diese "grauen Tage". Im April 2015 kam er mit seiner Ehefrau Nadira nach Deutschland. Die beiden gehören zur ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden und flohen vor dem selbst ernannten Islamischen Staat, der ihre Stadt am 3. August 2014 eroberte. Tausende Menschen wurden vom IS getötet, tausende Frauen und Kinder versklavt und hunderttausende wurden zu Flüchtlingen. 2016 stuften die Vereinten Nationen die Verbrechen des Islamischen Staats als Genozid ein.
Tahssen Elias hat die Geschichte seiner Flucht schon oft erzählt, aber sie schmerzt noch immer. Ihm und seiner Ehefrau seien nur wenige Minuten geblieben, um ihr Zuhause zu verlassen und in das Sindschar-Gebirge zu flüchten, berichtet er. Tagelang harrte er mit seiner Familie, seinen Nachbarn und seinen Freunden auf dem Berg aus - bei Temperaturen von über 40 Grad. Kinder seien verdurstet, ältere Nachbarn an Erschöpfung gestorben.
Zakarti kommt regelmäßig zu den "Starken Kids".
Über den Nordirak nach Deutschland
Erst als syrische Kurden, unterstützt durch Luftangriffe der US-Amerikaner, einen schmalen Fluchtkorridor freikämpften, konnten die Menschen den Berg verlassen. Tahssen Elias und seine Frau flohen über die Grenze zurück in den Nordirak und die Türkei. Von dort flogen sie nach Deutschland. Der Anfang in Düsseldorf sei sehr schwer gewesen, sagt der Jeside. Strukturen, die das Ankommen der Geflüchteten erleichtern, habe es im April 2015 noch nicht gegeben. "Ich habe mich sehr alleine gefühlt und musste lange für einen Deutschkurs kämpfen."
Durch ein zweiwöchiges Praktikum bei der Diakonie Düsseldorf fand der 27-Jährige Anschluss und besuchte zum ersten Mal die "Starken Kids" in Lohausen. "Nach meinem Praktikum 2016 bin ich dann einfach dabei geblieben", sagt Elias. Er hilft nicht nur im Flüchtlingsheim, sondern unterstützt Geflüchtete auch bei Behördengängen oder übersetzt ihre Post. Elias spricht fließend Deutsch, Arabisch, Kurdisch und Englisch.
Björn Frahm ist Musikpädagoge, er singt mit den Kindern zum Abschied.
Ausbildung zum Krankenpfleger
Tahssen Elias ist angekommen – auch beruflich. Seit einem Jahr macht der Vater einer zweijährigen Tochter eine Ausbildung als Krankenpfleger in der Psychiatrie des LVR-Klinikums in Düsseldorf. Es ist sein Traumberuf.
Was er sich für seine Zukunft wünscht? "Ich möchte meine Familie nach Deutschland holen. Meine Eltern und meine vier Geschwister leben noch immer in Zelten im Nordirak", sagt Elias. Im Gruppenraum in der Flüchtlingsunterkunft in Düsseldorf-Lohausen versammeln sich Björn Frahm, Tahssen Elias und die Mädchen und Jungen zum Singen in einem Halbkreis. Trotz der Hitze sind die sechs Kinder voller Energie, hüpfen herum und singen ausgelassen: "Liebe und Frieden – die Welt braucht uns alle." Und auf vielen der Gesichter liegt ein Lächeln.
Text: Ann-Kristin Herbst, Fotos und Video: Christoph Bürgener
Flüchtlingsberatung der Diakonie Düsseldorf
Sommerreihe: Seelsorge zwischen An- und Abflug
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