28. Oktober 2022

Respekt Coaches

Gemeinsam gegen Vorurteile

Schüler und Schülerinnen zu mündigen Bürgern machen - das ist das Ziel der Respekt Coaches. Seit 2018 arbeiten sie in Schulen zum Thema Toleranz, gegen Diskriminierung und für ein besseres Miteinander. Das Programm kommt gut an, doch ihm fehlt eines: Planungssicherheit. 

  • Respekt Coach Panagiota Balagka (re.) mit Schülerin Janina Pavlovic.
  • Ein Kicker mit verschiedenen Spielfiguren.
  • Schülerinnen und Schüler aus Duisburg haben ein Plakat gestaltet.
  • An einer Schule in Duisburg-Rheinhausen ist diese Leinwand entstanden.
  • "Mensch ist Mensch" haben Jugendliche aus Mönchengladbach auf ihr Plakat geschrieben.
  • An einer Essener Schule wurde ein buntes Plakat gestaltet.

Sie bemalen Graffiti-Leinwände, schreiben eigene Raps mit Hip-Hop-Profis. Sie gestalten Theaterstücke oder recherchieren über Menschen, zu deren Gedenken es einen Stolperstein gibt. Sie drehen Videos oder fotografieren aus ihrer ganz persönlichen Perspektive. Die Projekte, die es seit vier Jahren an verschiedenen Schulen in Nordrhein-Westfalen und bundesweit gibt, sind vielfältig und haben doch ein gemeinsames Thema: Vielfalt, Gemeinschaft, Toleranz - und Respekt. 

Seit 2018 gibt es die sogenannten Respekt Coaches. In Kooperationsschulen arbeiten sie mit Schülerinnen und Schülern zusammen. Die Respekt Coaches sind an die Jugendmigrationsdienste angegliedert und ein Projekt der Primärprävention. Junge Menschen sollen mit ihrer Hilfe gegen Extremismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gewappnet werden. In Verbandsgebiet der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) sind 18 Respekt Coaches an 16 Standorten eingesetzt. Bundesweit sind es mehr als 400 Personen. Ein Respekt Coach ist meist für ein bis zwei Schulen zuständig und dort regelmäßig mit verschiedenen Angeboten vor Ort. 

Jugendliche sitzen in einem Stuhlkreis und diskutieren.

Die Jugendlichen können in Workshops selbst aktiv werden und eigene Ideen entwickeln. Für viele ist das eine neue Erfahrung. 

Eigene Ideen entwickeln

Panagiota Balagka kommt am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Ratingen auf verschiedene Arten zum Einsatz. Sie leitet zwei AGs, macht klassenübergreifende Workshoptage, etwa zum Thema Sozialkompetenz, und sie wird auch dazu geholt, wenn es besondere Vorfälle gibt oder eine Lehrkraft Bedarf in ihrer Klasse sieht. In der AG für die 9. Klasse sind in diesem Jahr Demokratie und Partizipation die zentralen Themen. Die AG der 7. und 8. Klasse beschäftigt sich mit dem Thema Vielfalt. Auch wenn diese Themen als Rahmen vorgegeben sind, dürfen die Mädchen und Jungen diese selbst mit Leben füllen. 

"Es ist wichtig, dass sie merken, dass sie das Projekt selbst gestalten dürfen. Für viele Schüler und Schülerinnen ist das neu", sagt Panagiota Balagka. Wenn sie merkt, dass die Gruppen selbst aktiv werden und eigene Ideen entwickeln, ist das für sie als Respekt Coach ein Erfolgserlebnis. Ihr Ziel ist es, dass die Jugendlichen lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden und Dinge, die sie lesen oder hören, auch zu hinterfragen. Einen eigenen Standpunkt zu finden und trotzdem auch mit unterschiedlichen Auffassungen umzugehen. 

Schülerinnen und Schüler am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Ratingen gestalten ein Plakat zum Thema Vielfalt.

Schülerinnen und Schüler am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Ratingen gestalten ein Plakat zum Thema Vielfalt. 

Kreativ sein

"Ich habe das Gefühl, es gibt viele, die keinen Respekt vor anderen haben", sagt Janina Pavlovic. Auch deshalb nimmt die Zwölfjährige in diesem Schuljahr an einer der AGs von Panagiota Balagka teil. Sie freut sich schon auf die kreative Arbeit in der AG. Es ist geplant, Graffiti zu gestalten. Um Schulalltag habe sie schon mitbekommen, wie ein paar Jungs aus ihrer Klasse eine Mitschülerin beleidigt haben. Das Mädchen ist schwarz. Janina findet, da muss man widersprechen, sich an die Seite der Mitschülerin stellen. Weil eben auch Schule kein rassismus- und diskriminierungsfreier Raum ist, sind Programme wie die Respekt Coaches wichtig, um mit den Schüler*innen diese Themen anzusprechen und zu bearbeiten. 

Eine Jugendliche hört im Gespräch nachdenklich zu.

Mit den Respekt Coaches reden die Jugendlichen auch über Dinge, über die sie mit ihren Eltern nicht sprechen wollen oder können.

Zeit für Gespräche

In Gesprächen und in den AGs geht es besonders um die Dinge, die die jungen Menschen gerade am meisten beschäftigen, sagt Panagiota Balagka. Etwa sexuelle Vielfalt sei ein großes Thema, das viele bewege. "Mit den Eltern wird darüber oft nicht so viel gesprochen." Da lernten viele eher ein klassisches Beziehungsmodell mit heterosexuellen Eltern kennen. Dass aber nicht alles, was dem nicht entspricht, automatisch schlecht sein muss, das lernen die Schüler*innen auch in den AGs kennen. 

"Die Respekt Coaches sprechen Themen an, für die es im normalen Schulalltag oft wenig Raum gibt. Sie entlasten damit auch die Lehrkräfte", sagt Friederike Menzemer, Referentin für Integration und Migration bei der Diakonie RWL. Denn im Unterricht sei manchmal nicht genügend Zeit, sich ausführlich damit zu befassen. Etwa, genauer zu verstehen, woher Vorurteile kommen. Oder welche Gestaltungsmöglichkeit jede*r Einzelne in der Gesellschaft hat. 

Jungen und Mädchen stehen im Kreis und legen ihre Hände als Zeichen des Miteinanders übereinander.

An Schulen, an denen Respekt Coaches aktiv sind, gibt es ein besseres Miteinander.

Besseres Miteinander

Dass das Projekt wirkt, ist mittlerweile sogar wissenschaftlich untersucht. 2020 wurde dazu eine Evaluation durchgeführt, bei der aus verschiedenen Perspektiven erforscht wurde, wie die Zusammenarbeit gelingt, was sich dadurch verändert hat und wie das Projekt verbessert werden könnte. Das Ergebnis: Die Schulen sind durchweg dankbar für so eine feste Instanz, eine Person, die regelmäßig vor Ort und für diese Themen ansprechbar ist. Viele Schulen berichten auch davon, dass sich das Klima und der Umgang der Schüler*innen untereinander verbessert haben. Interkulturelle Kompetenz und konstruktiver Austausch sind demnach gewachsen. 

Münzen liegen auf Geldscheinen.

Die künftige Finanzierung des Programms "Respekt Coaches" ist unsicher.

Finanzierung sichern

Was die Schulen jedoch kritisieren: Planbarkeit und Langfristigkeit. Denn die Zukunft des Projekts ist nicht sicher - zumindest nicht flächendeckend. Für 2021 wurde das Projektbudget noch um 15 Millionen Euro aufgestockt, die Angebote entsprechend ausgebaut. Für das kommende Jahr fehlt dieser Posten im Haushaltsplan - immerhin mehr als ein Drittel des Gesamtbudgets. "Wenn das Geld fehlt, wird das Auswirkungen auf die Reichweite des Projekts haben", sagt Friederike Menzemer. Wenn 15 von insgesamt 36 Millionen Euro fehlen, sei die Konsequenz Stellenabbau. Dabei habe sich die Regierung im Koalitionsvertrag eigentlich klar geäußert, Diskriminierung und Extremismus bekämpfen zu wollen. 

Sicherheit gebe es für das Projekt nun aber nicht. Eine Weiterführung muss jährlich neu beantragt werden. Auch das erschwert die Planung. Dabei ist die Arbeit der Respekt Coaches so wichtig: "Schülerinnen und Schüler werden damit darauf vorbereitet, mündige Mitglieder der Gesellschaft zu werden." Gerade in den aktuellen Zeiten, sei es wichtig, ihnen Angebote zu machen. Denn, "wenn wir es nicht machen, machen es eben andere", sagt Friederike Menzemer. "Es wäre schade, wenn uns das nicht das nötige Geld wert wäre."

Text: Carolin Scholz, Fotos: Carolin Scholz, Panagiota Balagka, Shutterstock, Pixelio

Ihr/e Ansprechpartner/in
Friederike Menzemer
Geschäftsfeld Flucht
Weitere Informationen

Info

Jugendmigrationsdienst

Bundesweit gibt es etwa 500 Jugendmigrationsdienste - kurz JMD. Dort werden junge Menschen zwischen zwölf und 27 Jahren bei ihrer Integration begleitet. Sie bekommen Unterstützung bei ihrem Weg in Schule und Ausbildung sowie Hilfe bei Bewerbungen und alltäglichen Fragen, die sie beschäftigen.

Respekt Coach
Als Respekt Coach arbeiten Fachkräfte aus den Bereichen Soziale Arbeit und Sozialpädagogik. Sie organisieren die Kooperation mit den Schulen, denen sie zugeordnet sind, stellen fest, welchen Bedarf es dort gibt und entwickeln Konzepte für Angebote für Schüler*innen. Sie vernetzen sich auch mit anderen Trägern und ziehen bei manchen Themen Fachleute für Workshops hinzu.