20. Juni 2023

Psychosoziales Zentrum für Geflüchtete

Ein Ort, der Sicherheit gibt

Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni erinnert daran, dass Millionen Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Im Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete in Düsseldorf finden traumatisierte und psychisch belastete Geflüchtete umfassende professionelle Unterstützung. Doch damit diese wichtige Arbeit weiter geleistet werden kann, ist mehr finanzielle Förderung nötig.   

  • Ein Teil des Teams des Psychosozialen Zentrums für Geflüchtete Düsseldorf e.V.

Vera Erhabor sitzt entspannt in der Küche des Psychosozialen Zentrums für Geflüchtete Düsseldorf e.V. (PSZ) und tauscht sich mit einigen Mitarbeitenden aus. Was für sie zur Selbstverständlichkeit geworden ist, war vor zehn Jahren kaum denkbar. Da floh sie schwer traumatisiert aus Nigeria. Im PSZ fand sie Hilfe, und das Zentrum wurde für sie zu einem Zuhause. "Ich wurde hier sofort offen empfangen", erzählt sie. "Ich bin auf Menschen getroffen, die meine Situation verstanden haben. Ich kann gar nicht sagen, wie oft sie mir geholfen und mich beruhigt haben. Jedes Mal, wenn der Schmerz hochkommt, sind sie da. Sie sind jetzt meine einzige Familie."

Das PSZ bedeutet der Nigerianerin viel. "Das ist ein friedlicher Ort. Jeder sollte so einen Ort haben", findet sie. Mittlerweile kommt Erhabor nicht mehr als Klientin, sondern als seltener Gast ins PSZ, denn sie gilt als "stabil". Sie arbeitet in der Küche eines Kindergartens. Und ihre Tochter beendet nächstes Jahr die Schule und will dann zur Uni, erzählt sie stolz. Das Team des PSZ freut sich mit ihr. "Es ist für uns immer wieder schön zu sehen, welche Entwicklung unsere Klient*innen machen", sagt Eva van Keuk, Leiterin der Psychotherapie des PSZ.

 Eva van Keuk, Leiterin der Psychotherapie des PSZ, im Trauergarten.

"Es ist für uns immer wieder schön zu sehen, welche Entwicklung unsere Klient*innen machen", sagt Eva van Keuk, Leiterin der Psychotherapie des PSZ.

Vertrauen schaffen

Das PSZ Düsseldorf ist eine Beratungs- und Therapieeinrichtung für traumatisierte und psychisch belastete Geflüchtete. Es arbeitet an der Schnittstelle zwischen Sozial-, Gesundheitswesen und Menschenrechtsorganisationen, um traumatisierten Geflüchteten zu ihrem Recht, zu einem Leben in Sicherheit und zu psychischer Gesundheit, zu verhelfen. Ziel ist dabei auch, traumatisierte Klient*innen zu unterstützen, ihre Fluchtgründe im Asylverfahren überhaupt nachvollziehbar darzulegen – und so einen Schutzstatus zu erhalten. Fachkräfte aus den Bereichen Psychologie, Psychotherapie, Medizin, Pädagogik, Recht, Ethnologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Verwaltung und Ökonomie helfen psychisch belasteten Geflüchteten bei unterschiedlichsten Problemen. "Die Interdisziplinarität ist das Besondere am PSZ und unterscheidet uns von anderen Beratungsstellen", so van Keuk. Unterstützt werden sie von Sprachmittler*innen, welche die mehr als 30 Sprachen der Klient*innen übersetzen können. "Ohne diese wertvollen Kolleg*innen, unser 'Sprachrohr', würde es uns nicht gelingen, Vertrauen zu schaffen", fügt sie hinzu .  

Sprachmittlerin und Afghanistan-Expertin Maliko Ghoriani (li.) im Gespräch mit Psychotherapeutin Carina Heyde.

Sprachmittlerin und Afghanistan-Expertin Maliko Ghoriani (li.) im Gespräch mit Psychotherapeutin Carina Heyde. 

Fachkräfte für unterschiedlichste Probleme

Kommen Klient*innen ins PSZ, steht der Beziehungsaufbau - wie in jeder Therapie -  an erster Stelle, berichtet Psychotherapeutin Carina Heyde. "Es ist wichtig, ihnen einen sicheren Raum zu bieten, an dem sie sich wohl fühlen können. Hier können sie weinen, erzählen und auch lachen." Auf den Vertrauensaufbau folgt die Traumatherapie, um die Geflüchteten wieder zu stabilisieren. "Wir bekommen oft zu hören, dass wir die ersten sind, mit denen sie über ihre Traumata reden können", sagt Sprachmittlerin und Afghanistan-Expertin Maliko Ghoriani. Es sei wichtig, den Klient*innen zu zeigen, dass ihre Reaktionen normal sind – aber das Entsetzliche, das sie erlebt haben, nicht normal ist, und dass das Therapeuten-Team an ihrer Seite steht und sie unterstützt.

Bei Bedarf bekommen die Geflüchteten auch medizinische Betreuung, zum einen bei nicht abgeklärten akuten oder chronischen Beschwerden. Zum anderen im Rahmen des "Ex:To"-Projekts, bei dem mit hoher Sensibilität Spuren schwerer Gewalt und Folter dokumentiert werden. Dies kann wichtig werden, wenn im Asylverfahren die Glaubhaftigkeit des Leidens dargestellt werden muss, erklärt Ärztin Subanki Raveendranathan. 

Ärztin Subanki Raveendranathan, Vera Erhabor, Sozialpädagogin Sabine Rauch sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Albana Alsen im Therapieraum für Kinder im PSZ.

Ärztin Subanki Raveendranathan, Vera Erhabor, Sozialpädagogin Sabine Rauch sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Albana Alsen (von links nach rechts) im Therapieraum für Kinder im PSZ.  

Neue Perspektiven

Auch bei rechtlichen Problemen hilft das PSZ. Ethnologin Barbara Eßer und ihr Team schauen sich die Unterlagen an, welche die Klient*innen mitbringen und machen sich anhand dieser ein Bild davon, wie die rechtliche Situation ausschaut. Eßer prüft, ob der Aufenthalt der Person gefährdet ist und was für eine Sicherung benötigt wird. Diese Informationen werden an Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen weitervermittelt. "Es ist wichtig, dass die Klient*innen aufenthaltsrechtlich schnell Sicherheit bekommen. Dann haben sie neue Lebensperspektiven. Wir wissen, dass Personen, die schwerst belastet sind, in dem Moment, in dem sie Sicherheit bekommen und wissen, dass sie sich hier betätigen können, unglaubliche Ressourcen frei machen", so Eßer.  
  
Im PSZ finden auch Kinder und Familien Hilfe und Unterstützung – unter anderem bei der Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin Albana Alsen. Wie in allen Gesellschaftsschichten gäbe es auch hier die Situation, dass manche Familien mit der Erziehung der Kinder nicht klar kämen, andere bräuchten einfach nur Informationen über die Strukturen und Hilfsmöglichkeiten in Deutschland und NRW, berichtet Sozialpädagogin Sabine Rauch, zuständig für die transkulturelle Arbeit mit geflüchteten Familien: "Viele Mütter sind mit ihren Kindern alleine gekommen, das ist eine große Herausforderung." Mit Hilfe von muttersprachlichen Fachkräften – beispielsweise im Rahmen von Hilfen zur Erziehung ("HIER"), die vom Jugendamt finanziert werden, schafften es die meisten, ihren Platz im hiesigen System zu finden, erläutert Rauch.

"Wir möchten, dass sich außerhalb des PSZ die Zugangswege für die Geflüchteten verbessern und die Regelversorgung ihre Zuständigkeit erkennt", so van Keuk. Dafür macht das Team des PSZ Lobbyarbeit und veranstaltet außerdem Fortbildungen für Menschen, die mit Geflüchteten arbeiten. 

Das Rondell im Trauergarten des PSZ neben der Bergerkirche in der Düsseldorfer Altstadt..

Die Klientinnen und Klienten des PSZ haben sich einen Ort zum Trauern gewünscht - entstanden ist der Trauergarten mit einem Rondell zum Sitzen.

Garten als Trauerort

Auf niedrigschwelliger Ebene helfen die vielsprachigen Stabilisierungsbegleiter*innen des Projekts "In2Balance" den Bewohner*innen in Düsseldorfer Gemeinschaftsunterkünften - wie Nataliia Peresypkina, welche ukrainisch- und russischsprachige Menschen begleitet. "Oft kommen die Menschen mit ganz praktischen Fragen zu mir. Sie wollen wissen, was sie tun müssen. Oder fragen, wie ihr Kind einen Therapieplatz erhalten kann", erzählt sie. Peresypkina steht unterstützend bei akuten Fällen wie menschlichen Verlusten im Krieg zur Seite und hilft auch mit einfachen Mitteln, etwa mit gemeinsamen Spaziergängen oder Atemgymnastik. Ihr Team erkennt vor Ort frühzeitig psychische Probleme, hilft mit praktischen Übungen und Gesprächsangeboten auf 14 Sprachen und kann auch in die Regelversorgung weiter vermitteln – damit Probleme erst gar nicht entstehen.

Ein Projekt, das Klient*innen des PSZ sich selber gewünscht haben, ist der Trauerort. Neben der Bergerkirche in der Düsseldorfer Altstadt wurde mit Unterstützung von Diakonie, Stadt, Landeskirche und Evangelischem Kirchenkreis ein kleiner transkultureller Garten angelegt, damit Menschen auch in der Fremde einen Ort haben, an dem sie religionsübergreifend trauern können.  

Eine Gedenktafel im Trauergarten des PSZ.

Der kleine Garten wurde angelegt, damit Menschen auch in der Fremde einen Ort haben, an dem sie religionsübergreifend trauern können.  

Unterstützung im Team

Auch wenn das PSZ schon seit 36 Jahren Geflüchtete versorgt, gibt es immer wieder Schicksale, die beim Team besonders hängen bleiben: Beispielsweise eine junge Afghanin, die mit Hilfe von gefälschten Papieren mit 14 Jahren in die Ukraine zwangsverheiratet wurde und dort unter den schlimmsten Bedingungen lebte. Durch den Ukraine-Krieg konnte sie sich freikämpfen, soll jetzt aber zurück in die Ukraine, um ihr Visum dort zu verlängern, obwohl dort Krieg herrscht und sie von ihrem Schwager bedroht wird. Oder eine Krebspatientin, die während ihrer Chemotherapie in einer Gemeinschaftsunterkunft mit schwierigen hygienischen Verhältnissen leben muss. Die Mitarbeiter*innen haben gelernt, mit den vielen schwierigen Schicksalen, denen sie tagtäglich begegnen, im eigenen Leben professionell umzugehen. Supervision und Fortbildung sind ganz wichtig. Trotzdem komme es schon mal vor, dass nach einem schwierigen Termin Gesprächsbedarf besteht. "Da ist dann auch immer eine Kollegin da, die sich die Zeit nimmt", sagt van Keuk.  

Karin Wieder, Referentin für Flüchtlingsarbeit bei der Diakonie RWL.

Karin Wieder, Referentin für Flüchtlingsarbeit bei der Diakonie RWL.

Prekäre Finanzlage

Im vergangenen Jahr hat das PSZ knapp 600 Klient*innen sowie deren 540 Angehörige versorgt und rund 500 psychisch belastete Geflüchtete niedrigschwellig in den Düsseldorfer Unterkünften erreicht. Der Bedarf sei jedoch drei- bis fünfmal so hoch. "Wir haben uns in den vergangenen Jahren schon vergrößert und sehen keine Möglichkeit mehr, noch weiter zu wachsen. Es sei denn, wir erhielten gleichzeitig die entsprechende finanzielle Unterstützung – denn aktuell kämpfen wir jährlich darum, unser PSZ in der aktuellen Größe durchzubringen", so van Keuk. Die Finanzierung besteht aus zahlreichen Fördertöpfen, für die regelmäßig ebenso zahlreiche Anträge geschrieben werden müssen, um die vielen Fachkräfte bezahlen und die notwendigen Materialen sowie Miete und mehr finanzieren zu können. 

"Ähnlich verhält es sich bei den anderen vier PSZ, ebenfalls Mitglieder bei der Diakonie RWL, in Bielefeld, Dinslaken, Lüdenscheid und Hagen. Diese Zentren leisten sehr wichtige Arbeit", sagt Karin Wieder, Referentin für Flüchtlingsarbeit. "Sie schaffen es, Klient*innen weit über die kommunalen Grenzen hinweg zu unterstützen. Dass dies umfangreich angenommen wird, zeigt wiederum den hohen Bedarf. Wir sind froh, dass wir sie als Mitglieder der Diakonie RWL auf den unterschiedlichsten Arbeitsebenen vernetzen können, damit sie so ihre wertvolle Expertise einbringen. Über das Landesprogramm 'Soziale Beratung von Geflüchteten' des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familien, Gleichstellung, Flucht und Integration helfen wir, dass die PSZ einen Teil ihrer notwendigen Förderung erhalten. Ein wichtiges Programm des Landes für Flüchtlingsberatungsstellen, dessen Förderung einen finanziellen Grundstock bildet, aber einen hohen finanziellen Eigenanteil bei den Trägern belässt. Hier ist dringend Aufstockung erforderlich." 

Text: Nicole Esch, Fotos: Nicole Esch, Privat

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Karin Wieder
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