Migrationsberatung
Manchmal ist eine Beratung im Büro schwierig. Für die Kinder gibt es keine Betreuung und der Ehemann soll besser nicht davon wissen. Dann trifft sich Leyla Aslan von der Diakonie in Südwestfalen auch mal auf den Spielplätzen in Siegen und Umgebung mit den Frauen, die ihr von Eheproblemen, religiösem Druck in einer Moscheegemeinde und Überforderung mit dem Alltagsleben in Deutschland erzählen.
Es sind vor allem türkische und syrische Frauen, die ihre Hilfe als Migrationsberaterin suchen, denn die Sozialarbeiterin hat selbst armenisch-kurdische Wurzeln. Sie kennt die Sprache, Kultur und Religion der Frauen. "In meiner Beratung geht es häufiger um häusliche Gewalt, Trennung und Sorgerechtsregelungen", erzählt sie. "Es sind komplexe Fälle, für die ein gutes Netzwerk wichtig ist. Das haben wir bei der Diakonie." Nur mehr Zeit für die Frauen wünscht sie sich. Im vergangenen Jahr hat sie 325 Beratungen gehabt. Bei ihrer Kollegin Bettina Klein sah es ähnlich aus.
Migrationsberaterin Bettina Klein bedauert, dass viele Zugewanderte erst kommen, wenn sie große Probleme haben.
Viel "Hilfe mit Frist"
Vor allem aus Syrien, Irak, Afghanistan, der Türkei, den Balkanländern und der Russischen Föderation kommen die Menschen, die um Unterstützung bitten. "Wir beraten zugewanderte Menschen oft erst, wenn es bei ihnen brennt", bedauert die Sozialpädagogin. "Wenn es Probleme mit dem Jobcenter oder dem Aufenthaltsstatus, einem Wohnungswechsel, der Schule oder der Familie gibt. Wir kommen meist nicht dazu, präventiv zu arbeiten und die Menschen zu betreuen, wenn sie noch in den Integrationskursen sind."
Gerne würde Bettina Klein sich mehr Zeit nehmen, um das deutsche Staats- und Wertesystem, Demokratie und Kultur verständlich zu machen. Das nämlich könnte dazu beitragen, die vielen Fälle einer "Hilfe mit Frist" zu vermeiden. Etwa, wenn der zugewanderte Vater Ärger mit dem Jobcenter bekommt, weil er sich nicht genug um die Jobsuche kümmert, sondern sich in den vielen Behördengängen verstrickt, die für den Familiennachzug nötig sind. "Da trifft ein konträres Wertesystem aufeinander", erklärt Bettina Klein. "In Deutschland geht die Arbeit vor, in vielen anderen Ländern die Familie." Oder wenn es um Schwarzarbeit und die Gleichstellung von Frau und Mann geht.
Es braucht mehr Austausch zwischen den einzelnen Akteuren, fordert Jens Rautenberg, Leitung des Geschäftsfelds "Flucht, Migration und Integration". Erfolgreiche Projekte könnten nur gelingen, wenn Ressourcen optimal genutzt werden.
10 Millionen Euro für mehr Personal
Als das Bundesprogramm der Migrationsberatung 2005 eingeführt wurde, war genau das die Idee: Menschen mit Einwanderungsgeschichte sollten bundesweit anerkannte Anlauf- und Beratungsstellen bekommen, die sie Schritt für Schritt bei der Integration begleiten und soziale Teilhabe ermöglichen. Derzeit gibt es deutschlandweit 1.359 Beratungseinrichtungen mit 1.040 Vollzeitstellen, die der Bund mit 71 Millionen Euro finanziert. Im vergangenen Jahr haben sie über eine halbe Million Menschen beraten. Pro Vollzeitkraft waren das rund 300 Beratungsfälle.
"Es freut uns, dass immer mehr zugewanderte Menschen die Unterstützung der Migrationsdienste nutzen, denn Studien belegen, dass die Integration mit ihrer Hilfe besser gelingt", erklärt Jens Rautenberg, Leiter des Diakonie RWL-Geschäftsfelds Flucht, Migration und Integration. So waren 2019 unter den abgeschlossenen Fällen nur noch 39 Prozent der Ratsuchenden auf staatliche Sozialleistungen angewiesen. Zu Beginn ihrer Beratung waren es noch 61 Prozent gewesen.
"Aber wir brauchen mehr Personal, damit die einzelnen Beraterinnen und Berater mehr Zeit für die zugewanderten Menschen haben und keine langen Wartezeiten entstehen." 150 statt 300 Beratungsfälle je Vollzeitkraft sind das Ziel. Dafür müsste der Bund seine Fördermittel um zehn Millionen Euro aufstocken, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege errechnet hat. Eine Forderung, die sie vor der Bundestagswahl bekräftigt.
Migrationsberatung als Regelangebot: Das wünschen sich Uwe Kanis (Mitte), Leiter der sozialen Dienste der Diakonie in Westfalen, und seine beiden Kolleginnen.
Migrationsberatung als Regelangebot
"Daneben ist uns aber auch wichtig, dass die Migrationsberatung wie unsere Schuldner- oder Suchtberatung zu einem bundesweiten Regelangebot wird", betont Uwe Kanis. Er leitet die "Sozialen Dienste" der Diakonie in Südwestfalen, zu denen auch die Migrationsberatung gehört. "Es kann nicht sein, dass wir immer nur für ein bis zwei Jahre eine Bewilligung unserer Beratungsstellen bekommen."
Dass die Migrationsberatung unverzichtbar ist, sei besonders im Lockdown der Pandemie deutlich geworden, betont Uwe Kanis. Während viele Behörden kaum noch zu erreichen waren, arbeiteten Leyla Aslan und Bettina Klein unter den vorgeschriebenen Abstands- und Hygieneregeln weiter. "Wir haben Einzeltermine vergeben, aber auch draußen beraten, Papiere für Anträge aus dem Briefkasten gefischt, bearbeitet und wieder ausgegeben", erzählt Bettina Klein.
"Wir dürfen zugewanderte Familien mit all ihren Fragen und Sorgen nicht alleine lassen", ergänzt Leyla Aslan. "Eine gute Begleitung von Anfang an ist enorm wichtig, damit Vertrauen in den Rechtsstaat und die deutsche Gesellschaft entstehen kann", sagt sie. Sonst nämlich wenden sich viele an "inoffizielle Berater" aus ihrer jeweiligen Community, die Falsches erzählen und zum Teil auch noch Gebühren für ihre Unterstützung verlangen.
Text: Sabine Damaschke; Teaserfoto: Freie Wohlfahrtspflege NRW
Diakonie RWL-Reportage über die Arbeit der Migrationsdienste
Flucht Migration Integration
Die Diakonie RWL vertritt 27 Migrationsberatungen an 40 Standorten, in denen 59 Fachkräfte arbeiten. Von 2017 bis 2020 gab es über 20 Prozent mehr Beratungsfälle. Auch in der Pandemie hat die Zahl der Beratungen um zwei Prozent zugenommen. Die Ratsuchenden sind mit rund 45 Prozent Frauen und rund 54 Prozent Männer.