7. April 2020

Flüchtlingsheime in der Corona-Krise

Abstand halten unmöglich

In den Flüchtlingsheimen der Länder leben die Menschen auf engstem Raum zusammen. Jetzt gibt es in einer NRW-Aufnahmeeinrichtung die ersten Corona-Fälle. In Euskirchen stehen die Bewohnerinnen und Bewohner unter Quarantäne. "Um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, sollte ein Teil der Flüchtlinge unbedingt dezentral in kleinere Unterkünfte verlegt werden", fordert Diakonie RWL-Migrationsexperte Dietrich Eckeberg im Interview. 

  • Flüchtlingskinder stehen dicht gedrängt im Hof

In einzelnen Flüchtlingsunterkünften des Landes NRW leben mehr als 500 Menschen zusammen. Ist dort ein wirksamer Schutz vor dem Corona-Virus überhaupt möglich?

Alle Migrationsexperten der Diakonie sind in großer Sorge um die Flüchtlinge in den rund 30 Unterkünften in NRW, in denen laut einer Statistik von Ende 2019 rund 9.500 Menschen verpflichtet sind zu wohnen. Aktuell dürften die Zahlen höher liegen. Für uns alle gilt: Räumliche Distanz und Hygiene sind die wirksamsten Maßnahmen für den Infektionsschutz. Doch genau das ist in diesen Unterkünften trotz der intensiven Bemühungen des Landes kaum möglich. Die Flüchtlinge leben in Mehrbettzimmern, teilen sich oft das Bad und können das Abstandsgebot oft nicht einhalten. Es gibt zuweilen immer noch zentrale Essensausgaben, für die sie Schlange stehen.

Zwar sind Desinfektionsmittel in Spendern vorhanden, aber es fehlen dezentrale Möglichkeiten zum Händewaschen, Atemschutzmasken und Schutzkleidung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis viele Menschen in den Unterkünften infiziert sind und es erste Todesfälle gibt. Wir brauchen jetzt dringend Maßnahmen der Landesregierung, die für einen effektiven Gesundheitsschutz sorgen. Dazu gehört für uns als Diakonie RWL vorrangig, einen Teil der Geflüchteten dezentral unterzubringen und damit die beengte und gefährliche Wohnsituation zu entzerren.

Wo könnten diese geflüchteten Menschen untergebracht werden?

Die Landesregierung hat in einem Erlass festgelegt, dass Flüchtlinge auch während der Corona-Pandemie nicht aus den Zentralen Landesunterkünften in die Kommunen zugewiesen werden dürfen. Stattdessen will sie selbst mehr kleinere Sammelunterkünfte anbieten. Doch das ist ein Weg, der dauert. Wir brauchen jetzt schnelle und pragmatische Lösungen. Gerade die Risikogruppen und seelisch belasteten Flüchtlinge sollten sofort in kleine Unterbringungseinheiten, bevor es zu einer Quarantäne kommt. Es wäre meines Erachtens möglich, mit den Kommunen dezentrale Lösungen zu suchen.

Portrait

Diakonie RWL-Migrationsexperte Dietrich Eckeberg ist zuständig für die Flüchtlings- und Asylverfahrensberatung. (Foto: Diakonie RWL)

Sie könnten zum Beispiel mit derzeit leerstehenden Hotels Vereinbarungen treffen, Räume zur Verfügung zu stellen. Auch wir als Wohlfahrtsverbände sowie unsere Landschaftsverbände in NRW könnten Wohnraum organisieren. Es gibt auch Überlegungen, Krankenhäuser der Landschaftsverbände, die keine Akut-Versorgung anbieten – wie Kur- und Tageskliniken –, einzubeziehen.

Warum könnte eine Unterbringung in Kliniken sinnvoll sein?

Wir haben in den Landesunterkünften nicht wenige Menschen, die älter und chronisch krank sind. Es gibt Geflüchtete, die aufgrund von Krebs- oder Lungenerkrankungen zu den Risikogruppen gehören. Sie sollten schnellstmöglich aus den Sammelunterkünften geholt werden. Eine zweite Gruppe, für die das zutrifft, sind Menschen, die durch Krieg und Flucht stark seelisch beeinträchtigt und traumatisiert sind. Sie belastet diese Ausnahmesituation schwer. Ausgangsbeschränkungen, Kontaktsperren und womöglich noch Quarantänemaßnahmen, die einen ausschließlichen Aufenthalt in ihren Zimmern erfordern – all das kann zu erheblichen Destabilisierungen bis hin zu Retraumatisierungen führen. Diese Geflüchteten brauchen Schutz und Hilfe, die ihnen Psychosoziale Zentren und LVR-Kliniken bieten können.

Abstand halten in der Corona-Krise

Abstand halten - In Zeiten der Corona-Krise ist das in den Flüchtlingsunterkünften kaum möglich. Das erschwert auch die Arbeit der Asylberatungsstellen.

Die Diakonie hat zu den Flüchtlingen in den Zentralen Landesunterkünften vor allem über ihre Beratungssstellen, etwa die Asylverfahrensberatung, Kontakt. Wie findet die Beratung in Zeiten der Pandemie statt?

Viele unserer Träger haben ihre Büros noch nicht geschlossen, sondern mit Plexiglasscheiben ausgestattet und bieten dort nach wie vor Sprechstunden an. Aber die Arbeit ist deutlich erschwert, weil Verwaltungsgerichte und Rechtsanwälte jetzt nur eingeschränkt erreichbar sind.

Etliche Träger bieten jetzt vermehrt eine telefonische sowie Onlineberatung an, aber das gestaltet sich oft schwierig. Es muss genau auf den Datenschutz geachtet werden. Für das Dolmetschen bedarf es einer geschützten Videotelefonie und Orignaldokumente können nicht hinreichend gesichtet werden. Das sind jetzt neue Herausforderungen. Viele halten über Handy Kontakt zu den Flüchtlingen, die sie in Asylrechtsfragen beraten. Auch das gestaltet sich manchmal schwierig, weil das Geld für Handyguthaben durch eine fehlende Leistungsgewährung knapp ist und es in manchen Unterkünften keinen freien WLAN-Zugang gibt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat angekündigt, bis Ostern auf die Zustellung von negativen Bescheiden zu verzichten. Auch Abschiebungen sollen bis dahin nicht stattfinden.

Das ist richtig. Doch unsere Beratungsstellen berichten, dass vereinzelt Bescheide zugesandt werden, auf die in dieser Situation juristisch nicht reagiert werden kann. Im Rahmen der Dublin-Verfahren werden die Bescheide aktuell sowieso ausgestellt. Wir fordern, dass die Zustellung aller Bescheide ausgesetzt wird! Außerdem beobachten wir nach wie vor vereinzelte Abschiebungen. Auch hier fordern wir, tatsächlich alle Abschiebungen innerhalb Europas oder in Drittländer auszusetzen. Völlig unverständlich ist für uns, warum das Land anerkannte Flüchtlinge nicht sofort weiter an die Kommunen zuweist.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke. Fotos: pixabay