Drei Jahre AnkER-Zentren
Wie sieht die Ankunft von geflüchteten Menschen aktuell aus?
Sobald Geflüchtete nach ihrer Ankunft mit Behörden in Kontakt kommen, werden sie einem Bundesland zugewiesen und dort in großen Landesunterkünften untergebracht, von denen aus sie ihren Asylantrag stellen. Seit drei Jahren gibt es in den Bundesländern AnkER-Zentren - also Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückkehrzentren, oder, wie in NRW, vergleichbare Landesunterkünfte. Die Bundesregierung ist zuständig für das Asylverfahren und die Landesregierungen sorgen für die Unterbringung und Versorgung.
In NRW sind aktuell etwa 6.500 Menschen in 36 dieser Zentren untergebracht. Sie zielen darauf ab - und das ist neu - nicht nur die erste Aufnahme zu gestalten, sondern von vornherein Ausreise und Abschiebung mitzugestalten. Das gefährdet grundlegende Rechte für Schutzbedürftige, weil natürlich auch die, die Anspruch auf Schutz haben, ihren Asylantrag jetzt in einem Klima von Angst und Abschiebung stellen müssen.
Dietrich Eckeberg, Flüchtlingsexperte der Diakonie RWL, hat viel Kritik an den AnkER-Zentren für Geflüchtete.
Warum wurden diese AnkER-Zentren eingerichtet?
Der Gesetzgeber hat auf die hohe Zahl von Geflüchteten 2015 mit drakonischen Verschärfungen reagiert. Bis dahin mussten Geflüchtete bis zu drei Monate, oft auch viel kürzer in Sammelunterkünften wohnen. Heute sind es bis zu 18, in NRW sogar bis zu 24 Monate etwa für die, deren Asylantrag durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt wurde. Man wollte ein Signal der Abschreckung senden. Das Asylrecht ist eigentlich ein Individualrecht. Die neu verschärften Schnellverfahren der Bundesregierung sind fehleranfällig. Es wird auch nicht genau genug hingesehen, wer besonders schutzbedürftig, etwa traumatisiert ist. Dabei wäre das nach europäischem Recht erforderlich.
Begründet wurden die AnkER damit, dass angeblich eine große Zahl der Menschen, die hier sind, keinen Asylanspruch hätten. Dabei ist die Schutzquote hoch, kamen zu dieser Zeit die meisten aus Syrien und Afghanistan. Ein großer Anteil von Geflüchteten also, bei denen der Staat wusste: Die werden bleiben, weil wir sie schützen müssen.
Im aktuellen Aufruf heißt es, das Konzept AnkER-Zentren ist gescheitert. Inwiefern?
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Einrichtungen evaluiert. Eine Behauptung war vorher, die Asylverfahren würden mit dem neuen Konzept deutlich schneller werden. Nun zeigt sich, dass das nicht eingetreten ist. Ein zweiter Punkt war, dass man so die Abschiebungen innerhalb Europas schneller gestalten könnte. Auch das hat sich nicht bestätigt. Die Ziele wurden also nicht erreicht! Dafür haben sich die Lebensbedingungen für die Menschen massiv verschlechtert.
In den Zentren in NRW leben jeweils zwischen 500 und 1.200 Menschen. Innerhalb der Unterkunft gibt es kaum Selbstbestimmung und Privatsphäre, ein beengtes Wohnen in Mehrbettzimmern. Man darf nicht für sich selbst kochen, muss sich von der Großküche versorgen lassen. Man ist nicht in das normale Gesundheitssystem integriert. Kurz gesagt: Geflüchtete werden gewollt isoliert und ihrer Selbstbestimmung beraubt. Es ist unerträglich, dass wir im 70. Jahr der Genfer Flüchtlingskonvention so mit Geflüchteten umgehen.
Isoliert in der Sammelunterkunft - viele Geflüchtete fühlen sich wie "inhaftiert", berichtet Dietrich Eckeberg.
Welche Auswirkungen haben die Umstände dort auf die Menschen?
Es sind Lebensbedingungen, die von außen hübsch aussehen, aber faktisch Menschen langsam zerstören. Wer so lange nicht für sich selbst kochen kann, so lange nicht selbst über Bildung und Arbeit bestimmen kann, zum Langzeitarbeitslosen gemacht wird, wer, um Familienangehörige zu besuchen, eine Erlaubnis braucht, sich also unfrei, sogar inhaftiert fühlt und mit Menschen aus völlig anderen Ländern auf engem Raum über Jahre wohnen muss, der geht langsam kaputt. Familien mit Kindern sind etwas besser gestellt. Sie müssen nur sechs Monate dort leben. Aber auch da kann man absehen, was sechs Monate ohne Regelschule für Kinder bedeuten.
Wie könnte es besser laufen?
Eigentlich wäre das ganz einfach. Man sollte wieder zu dem Verfahren vor 2015 zurückkehren. Ein Mensch kam an, war höchstens drei Monate in einer Landesunterkunft, um von dort aus den Asylantrag zu stellen und wurde dann in die Kommune weitergeleitet. Man bräuchte ein faires, schnelles Asylverfahren und müsste die Menschen unabhängig von dessen Stand in den Kommunen so früh wie möglich in Kontakt kommen lassen - mit Integration, Bildung, Ausbildung, Arbeit.
Was erhofft sich die Diakonie darüber hinaus von dem aktuellen Aufruf?
Ziel ist es, dass unsere Gesellschaft wieder zurückkehrt zu Humanität. Vor allem wollen wir eine Gesetzesänderung – eine Begrenzung der Erstunterbringung auf bis zu 3 Monate, bundesweit eine unabhängige Asylverfahrensberatung, wie NRW diese hat, und einen vollständige Trennung der Erstaufnahme von Rückkehr und Abschiebung. Und wir hoffen, dass dort, wo solche Unterkünfte sind, Menschen sagen: "So nicht". Und etwas tun gegen die Isolierung von Geflüchteten. Die Menschen besuchen, Angebote unterbreiten, also Brücken aufbauen, damit die totale Isolation verschwindet.
Das Gespräch führte Carolin Scholz. Fotos: Shutterstock
Positionspapier der Diakonie RWL für diakonische Einrichtungen zur Flüchtlingspolitik
Diakonie RWL-Bericht zum ersten AnkER-Zentrum im Saarland
Diakonie RWL zu "70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention"
Pressemeldung der Diakonie Deutschland zur Abschaffung der AnkER-Zentren
Flucht Migration Integration
Anlässlich des 3. Jahrestages der Eröffnung der ersten Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückkehrzentren (kurz: AnkER-Zentren) in Bayern am 01.08.2018 ruft die Diakonie Deutschland gemeinsam mit anderen Organisationen dazu auf, die Erstaufnahme zukunftsweisend auszugestalten und AnkER-Zentren und konzeptionell ähnliche Einrichtungen bundesweit abzuschaffen. "Wir brauchen eine Aufnahme, die das Ankommen der geflüchteten Menschen positiv unterstützt und fördert, damit sie schnell ihren Platz in der Gesellschaft finden können," sagt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, in einer Pressemeldung. An dem Aufruf beteiligen sich der Deutsche Caritasverband, Paritätische Gesamtverband, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband und PRO ASYL.