28. Februar 2024

Antidiskriminierungsarbeit

Wenn Worte schmerzen

Eine Beleidigung, ein blöder Spruch, ein Nachteil im Job oder körperliche Bedrohung: Diskriminierung gibt es überall. Welche Folgen das für Betroffene haben kann, erleben die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen für Antidiskriminierungsarbeit hautnah. Hier berichten sie über krasse Fälle, die für ihre Klient*innen Alltag sind.  

  • Wer Diskriminierung erlebt, findet in der Beratungsstelle der Antidiskriminierungsarbeit Unterstützung.
  • Diskriminierung gibt es überall.
  • Diskriminierung löst Gefühle wie Trauer und Scham aus.

Sie hörte am Küchenfenster, wie ihre Kinder im Hof von der Nachbarin beschimpft wurden. Laut und rabiat. Ausländerfeindlich. Es fielen Beleidigungen, die wehtaten – ihr und ihren Kindern. Aber sie biss in der Küche die Zähne zusammen, wehrte sich nicht, mied den Konflikt, um den Aufruhr in der Nachbarschaft zu vermeiden. Der Schmerz schwelte über Jahre – bis sie es zehn Jahre später nicht mehr aushielt und endlich reden musste. Sie wollte, dass das Unrecht ausgesprochen und dokumentiert würde.

An einem ganz anderen Ort: Ein Mann arbeitet als Ein-Euro-Kraft im sozialen Bereich. Mit Kollegen besucht er gerade einen Lehrgang. Plötzlich fällt das N-Wort. Aus heiterem Himmel. Niemand stellt sich an seine Seite, keiner widerspricht. Der blanke Rassismus macht den Mann fassungslos, noch mehr aber schmerzt ihn das Schweigen der anderen. Der Schmerz wirkt nach und er wünscht sich ein Gespräch – damit Vorgesetzte über den Fall informiert werden und ihre Pflicht ernst nehmen, genauer hinzuschauen und ein anderes Arbeitsumfeld zu schaffen.

In der Nachbarstadt quält sich unterdessen ein junger Mann jeden Tag zur Arbeit. Er hat studiert, seinen Traumjob ergriffen, aber jetzt arbeitet er in einem Umfeld, in dem Diskriminierungen an der Tagesordnung sind – mal nebenbei und unterschwellig, mal ganz direkt, mal gegen andere gerichtet, mal gegen ihn selbst. Er erinnert sich an all die Male in seinem Leben, als die Menschen ihm im Club ungefragt in seine Haare griffen, scherzende Bemerkungen über seine Hautfarbe machten oder ihn aufforderten, nicht so empfindlich zu sein, wenn flapsige Sprüche fielen. Und er erinnert sich daran, was das mit ihm gemacht hat – wie sein Selbstbewusstsein immer kleiner wurde. Er denkt auch an jene Momente, als er im Fernsehen von der Ermordung von George Floyd hörte und in den Wochen darauf beobachtete, wie die „Black Lives Matter“-Bewegung erstarkte. Jetzt will er es nicht mehr hinnehmen. 

Beraterin Sabine Kall von der Beratungsstelle des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Leverkusen unterstützt von Diskriminierung betroffene Personen..

"Wir sind da, hören zu und stellen Diskriminierung nie in Frage", sagt Beraterin Sabine Kall. 

Unterstützung anbieten

Die Mutter am Küchenfenster, der Arbeitnehmer in der Schulung, der junge Mann mit den quälenden Gedanken an seine Arbeitsstelle: Wer Diskriminierung erlebt und sich Unterstützung wünscht, ist in der Beratungsstelle des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Leverkusen am richtigen Ort. "Wir sind da, hören zu und stellen Diskriminierung nie in Frage", sagt Beraterin Sabine Kall. Das gilt für jeden, der den Weg zur Antidiskriminierungsberatung in Leichlingen findet. Manchmal kommen Menschen, die vor langer Zeit beschimpft und diskriminiert wurden und jeden Tag darunter leiden.

Manchmal suchen Betroffene den Kontakt, die gerade erst auf der Straße beleidigt wurden oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei ihrem Job in ganz unterschiedlicher Gestalt Diskriminierung wahrnehmen. Frauen und Männer werden wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer Herkunft, wegen einer Behinderung oder Erkrankung, wegen ihres Alters oder ihrer Sexualität diskriminiert. "Wir wollen den Menschen dann ihre Möglichkeiten aufzeigen", erklärt Sabine Kall.

Beraterin Sabine Kall von der Beratungsstelle des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Leverkusen unterstützt von Diskriminierung betroffene Personen..

Sabine Kall vor der Beratungsstelle in Leichlingen; eine von insgesamt 42 Servicestellen der Freien Wohlfahrtspflege für Antidiskriminierungsarbeit in Nordrhein-Westfalen. 

Wunsch nach Gerechtigkeit

Manchmal wollen Klient*innen vor allem ihre Wut und ihren Frust in Worte fassen und die Diskriminierung dokumentiert wissen. "Oft wünschen sich die Menschen aber vor allem Gerechtigkeit", sagt Sabine Kall. Und das bedeutet: Sie wollen ihr Gegenüber mit dem Thema konfrontieren, wünschen sich eine Entschuldigung und eine Veränderung.

Sabine Kall stellt sich dann an die Seite ihrer Klient*innen: Mithilfe eines juristisches Teams im Hintergrund verfasst sie offizielle Beschwerdebriefe – meist an Arbeitgeber, denn in Leichlingen liegt der Fokus der Beratungsstelle auf Diskriminierungen im Arbeitsalltag. Wenn sich die Klienten rechtliche Schritte wünschen, lässt die Beraterin von den Juristen die Möglichkeiten prüfen. "Wir begleiten die Klienten auch zu Gesprächen in ihren Unternehmen", sagt Sabine Kall. Dann erinnert sie Vorgesetzte auch daran, dass es laut Gesetz die Aufgabe des Arbeitsgebers sei, für ein Umfeld ohne Diskriminierung zu sorgen. Und sie bringt Ideen für Sensibilisierungskonzepte in Unternehmen mit.

Es gebe nur wenige Fälle, in denen Arbeitgeber das Thema radikal abblocken würden, wenn der Brief aus der Beratungsstelle kommt. Auf die meisten Beschwerdebriefe erhielten die Klienten zumindest eine Antwort. Die meisten Arbeitgeber kämen ihrer Pflicht dann auch nach, sich um den betrieblichen Frieden zu kümmern.

Ioanna Zacharaki arbeitet bei der Diakonie RWL als Referentin im Arbeitsfeld Flucht, Migration und Integration.

Ioanna Zacharaki, Referentin im Geschäftsfeld Flucht, Migration und Integration bei der Diakonie RWL, fordert: "Wir müssen der Diskriminierung etwas entgegensetzen."

Strukturen schaffen

Die Beratungsstelle in Leichlingen ist eine von insgesamt 42 Servicestellen der Freien Wohlfahrtspflege für Antidiskriminierungsarbeit in Nordrhein-Westfalen – an sechs Standorten findet das Angebot unter dem Dach des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. (Diakonie RWL) statt. Die Beratung ist für die Klienten völlig kostenlos. Der größte Teil der Finanzierung wird mit Fördergeldern des Landes gestemmt – weil die Antidiskriminierungsarbeit im Teilhabe- und Integrationsgesetz verankert ist.

"Die Beratungsstellen bekommen immer mehr Anfragen", sagt Ioanna Zacharaki, die bei der Diakonie RWL als Referentin im Arbeitsfeld Flucht, Migration und Integration arbeitet. Das gesellschaftliche Klima sei rauer geworden: Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit nähmen zu. "Wir müssen der Diskriminierung etwas entgegensetzen", sagt Ioanna Zacharaki. Und dazu gehöre es eben auch, die nötigen Strukturen zu schaffen. Bereits 2009 seien die damals existierenden fünf Projekte der Antidiskriminierungsarbeit in das Landesprogramm der Integrationsagenturen einbezogen worden. 2017 seien es dann 13 Standorte gewesen, seit 2020 zählt die Antidiskriminierungsarbeit in NRW 42 Standorte. "Wir fordern darüber hinaus eine Landesstelle für Antidiskriminierungsarbeit", erklärt Ioanna Zacharaki. Denn in den Beratungsstellen werde immer häufiger deutlich, dass Menschen auch in öffentlichen Stellen Diskriminierung erleben. "Es ist wichtig, dass es für diese Fälle eine Stelle mit entsprechenden Befugnissen gibt", sagt die Fachfrau.

Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Manche Menschen arbeiten in einem Umfeld, in dem Diskriminierungen an der Tagesordnung sind – mal nebenbei und unterschwellig, mal ganz direkt. 

Vielfalt als Normalität

Und niederschwellig will die Antidiskriminierungsarbeit sein: Deswegen gibt es Online-Angebote und deswegen baut das Land Meldestellen aus, die den Kontakt zu Beratungsstellen vermitteln. Das Wichtigste sei es, Betroffenen den Rücken zu stärken und sie nicht alleine zu lassen. "Der Mensch steht im Mittelpunkt", sagt die Referentin. Gleichzeitig versteht sie die Arbeit der Antidiskriminierungsstellen auch als gesellschaftliche Aufgabe: "Demokratie heißt Vielfalt", erinnert Ioanna Zacharaki, "als Gesellschaft brauchen wir die Kompetenz, die Vielfalt als Normalität zu betrachten." Das langfristige Ziel der Arbeit sei es deswegen auch, Strukturen zu verändern und den Rassismus-kritischen Blick der Menschen zu schärfen. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt Ioanna Zacharaki, "aber der Weg ist lang." 

Ein langer Weg

Das weiß auch die Mutter am Küchenfenster, der eine kleine Last von den Schultern fiel, als sie endlich über das Unrecht sprechen konnte, das ihr und den Kindern geschehen war. Und das weiß auch der Mann, dem das N-Wort entgegengeschleudert wurde. Er suchte mit der Beraterin das Gespräch mit den Vorgesetzen, und seine Forderung verhallte nicht – stattdessen versprach die erschrockene Chefin, genauer hinzusehen und neue Strukturen zu schaffen. Der junge Mann in der Nachbarstadt ist nun krankgeschrieben und prüft rechtliche Schritte gegen den untätigen Arbeitgeber – während seine Wunden nur langsam heilen.

Text: Theresa Demski; Fotos: Theresa Demski, Diakonie RWL, Pixabay, Shutterstock

Ihr/e Ansprechpartner/in
Ioanna Zacharaki
Geschäftsfeld Flucht
Weitere Informationen

Gemeinsamer Bericht

Die Antidiskriminierungsberatung unter dem Dach der Freien Wohlfahrtspflege in NRW ist dank Landesförderung zur bundesweit größten Struktur gegen Diskriminierung ausgebaut worden (ADA.NRW-Netzwerk). 42 Stellen beraten in 32 Städten und Kreisen in NRW Betroffene von Diskriminierung mit einem Fokus auf rassistische, antisemitische und religiöse Diskriminierung. Ihre Erfahrungen finden sich in einem gemeinsamen Bericht unter diesem Link.