Abschiebebeobachtung
Wandel in der Abschiebungsbeobachtung der Diakonie RWL: Dalia Höhne, langjährige Abschiebungsbeobachterin, geht in den Mutterschutz und in die Elternzeit. Anfang 2024 kehrt sie als flüchtlingspolitische Referentin zur Diakonie RWL zurück. Ihr Nachfolger in der Abschiebebeobachtung ist Mert Sayim. Er unterstützt Judith Fisch, die seit Mai 2022 Abschiebungen beobachtet.
Neu in der Abschiebebeobachtung: Mert Sayim.
Warum ist es wichtig, Abschiebungen zu beobachten? Und was ist Ihre persönliche Motivation für den Job?
Mert Sayim: Auf persönlicher sowie fachlicher Ebene sind hier menschenrechtliche Aspekte zu nennen, denen wir in der Arbeit eine große Priorität zuschreiben. Diese treiben mich in meiner alltäglichen Arbeit an und motivieren mich gleichermaßen. Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich wiederum die Relevanz der Beobachtung von Abschiebungen. In Rahmen von Rückführungsmaßnahmen sollte immer eine unabhängige Instanz dabei sein, um die Wahrung humanitärer Rechte sowie zum Beispiel die Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu beobachten, um für Transparenz in diesem hochsensiblen Bereich zu sorgen.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag in der Abschiebungsbeobachtung aus?
Judith Fisch: Es finden täglich Abschiebungen von den Flughäfen in Nordrhein-Westfalen statt, unser Fokus liegt auf Düsseldorf und Köln-Bonn. Wir beobachten überwiegend Sammelcharter, also Flüge, die extra für die Abschiebungen starten. Wann Sammelabschiebungen stattfinden, erfahren wir von der Bundespolizei. So sind wir rechtzeitig am Flughafen, in der Regel in den frühen Morgenstunden. Am Flughafen dokumentieren wir etwa: War jemand gefesselt? Wird jemand polizeilich durchsucht? Wie ist jemand gekleidet? Oder auch: Wurden Familienmitglieder voneinander getrennt? Wir sprechen mit den Rückzuführenden und den Beamt*innen, nehmen alle Informationen auf und hinterfragen sie, um ein unabhängiges Bild zu erhalten.
Judith Fisch (links) und Dalia Höhne im Büro der Abschiebebeobachtung im Düsseldorfer Flughafen.
…und was tun Sie, wenn Sie keine Abschiebungen beobachten?
Judith Fisch: Im Büro arbeiten wir unter anderem an der Dokumentation: Wir erstellen Berichte und geben unsere Fragen an das "Forum Flughäfen in Nordrhein-Westfalen" weiter. In dem Forum tauschen wir uns mit den Behörden – also NRW-Flüchtlingsministerium, Bundespolizei und Zentrale Ausländerbehörden –, den asylpolitischen Nicht-Regierungsorganisationen sowie den Kirchen und Verbänden aus. Problematische Fälle diskutieren wir in dem Forum, um Lösungen zu entwickeln. Auf Bundesebene sind wir darüber hinaus bundesweit vernetzt und arbeiten fortlaufend an der Weiterentwicklung der Abschiebungsbeobachtung.
Frau Höhne, Sie blicken auf elf Jahre Abschiebebeobachtung zurück. Wie haben sich die Abschiebungen in dieser Zeit verändert?
Dalia Höhne: Die Fälle, die wir beobachten, werden immer komplexer. Als ich vor elf Jahren meinen Job begonnen habe, gab es deutlich weniger Abschiebungen. Die Zahl hat kontinuierlich zugenommen. Das liegt auch daran, dass sich die Gesetzeslage seit 2014 verändert hat. Deutschland kann jetzt schneller und einfacher abschieben. Das bedeutet auch, dass mehr Menschen als flugtauglich eingestuft werden, die vorher aus gesundheitlichen Gründen hier hätten bleiben können.
"Es werden mehr Menschen als flugtauglich eingestuft, die vorher aus gesundheitlichen Gründen hier hätten bleiben können", berichtet Diakonie RWL-Referentin Dalia Höhne.
Es wird außerdem in immer mehr Staaten abgeschoben, vermehrt auch per Sammelcharter. Früher gab es weniger Sammelabschiebungen. Diese gingen häufig in die Westbalkanstaaten und in die Türkei. Während es früher nur vereinzelt Abschiebungen Richtung Subsahara-Afrika gab, ist das nun ungefähr einmal im Monat Standard. Auch wurde in jüngster Vergangenheit in Staaten wie Somalia oder Afghanistan abgeschoben – was ich aufgrund der Situation vor Ort nicht erwartet hätte.
Auf der anderen Seite beobachten wir eine zunehmende Professionalisierung auf der Behördenseite. Deutschland ist eines der Länder, die sehr häufig und mit hohem Aufwand abschieben. Der Ausbau von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, schreitet voran.
Gibt es Fälle, die Sie nicht loslassen?
Dalia Höhne: Es gibt Fälle, die werden mich mein Leben lang begleiten. Immer wieder beschäftigt mich ein junger Afghane, der abgeschoben wurde. Später haben wir erfahren, dass er sich im Zielland nach der Ankunft das Leben genommen hat. Ausgerechnet bei seiner Abschiebung waren viele Informationen offen und wir konnten nur wenig dokumentieren. Mir ist an dem Fall sehr klar geworden, wo die Grenzen liegen: Ich bin als Abschiebebeobachterin nicht für das verantwortlich, was mit den Menschen passiert. Ich kann die Situation lediglich bezeugen und dokumentieren. In meiner neuen Stelle als flüchtlingspolitische Referentin kann ich an diesen Themen auf anderer Ebene weiterwirken.
Eine Abschiebung ist immer eine Ausnahmesituation, besonders für Kinder und Jugendliche.
Welche Themen beschäftigen Sie im Moment?
Dalia Höhne: Abschiebung und Gesundheit ist und bleibt Thema Nummer eins. Seit 2016 wird bei Abschiebungen auch bei psychischer oder physischer Krankheit verstärkt vor allem darauf geachtet, dass der oder die Betroffene den Transport von Deutschland ins Zielland überlebt.
Judith Fisch: Wir beobachten zum Beispiel auch, dass schwangere Frauen abgeschoben werden, obwohl sie in den ersten Wochen der Schwangerschaft nicht fliegen sollten. Das zweite Schwerpunktthema ist das Kindeswohl. Wir haben den Eindruck, dass mit den Sammelflugzeugen immer mehr Familien abgeschoben werden. Das ist eine sehr belastende Situation, besonders für Kinder und Jugendliche.
Abschiebung und Gesundheit
Immer wieder kritisiert die Abschiebebeobachtung den Umgang mit kranken Menschen. "2021 hatten wir 35 Fälle im Bereich Gesundheit, darunter auch Menschen, die aus Kliniken abgeschoben wurden", erklärt Dalia Höhne. Der Jahresbericht dokumentierte zum ersten Mal auch detailliert problematische Abschiebungen von Menschen mit Behinderungen.
Beim Thema Kindeswohl konnten Sie auch positive Veränderungen bewirken.
Dalia Höhne: Das ist richtig. Zum Beispiel haben wir immer wieder ermahnt, die Rechte von Kindern besonders zu schützen. Jetzt gibt es einen abgeschirmten Familienbereich am Flughafen Düsseldorf. Dort werden Kinder zusammen mit ihren Familien in einem etwas geschützteren Raum während der Wartezeit untergebracht. Dennoch muss noch viel mehr verbessert werden in Bezug auf Kindeswohlfragen.
Welche weiteren Verbesserungen haben Sie beobachtet?
Dalia Höhne: Die Bundespolizei geht jetzt respektvoller und sensibler mit den Menschen um, die abgeschoben werden. Es gibt mehr Schulungen, auch in interkultureller Kompetenz.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Abschiebebeobachtung?
Judith Fisch: Unser Monitoring ist gut und unabhängig, aber nicht effektiv: Wir sind nur am Flughafen vor Ort und erhalten keine Akteneinsicht. Außerdem sind wir bei der Abholung nicht dabei, wo laut den Berichten der Rückzuführenden viele Dinge schieflaufen. Die Behördenseite dementiert diese Aussagen in der Regel – und was wirklich passiert ist, können wir nicht nachvollziehen. Um effektiv zu arbeiten, müssten wir den gesamten Prozess beobachten: Von der Abholung über den Weg zum Flughafen bis zur Ankunft am Zielort. Im besten Fall hätten wir auch im Nachhinein Kontakt zu den Menschen.
Die Spitzen von CDU und Grüne bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags für Nordrhein-Westfalen, der auch eine personelle Stärkung der Abschiebebeobachtung vorsieht.
Was fordern Sie außerdem?
Judith Fisch: Wir brauchen eine Rechtsgrundlage für die Beobachtung. Bislang basiert unser Auftrag auf einer freiwilligen Vereinbarung mit den Mitgliedern des "Forums Flughäfen NRW". Zweitens brauchen wir ein flächendeckendes Monitoring an allen Flughäfen, in denen Abschiebungen vollzogen werden. Außerdem sollten wir auch Abschiebungen über den Land- oder Seeweg beobachten können. Dafür brauchen wir mehr Personal. Aktuell arbeiten wir mit zwei halben Stellen.
Dalia Höhne: Im besten Fall besteht eine gute Abschiebebeobachtung für NRW aus mindestens fünf vollen Stellen. Dann wären alle Flughäfen abgedeckt und wir hätten eine zusätzliche Person für Veranstaltungen, Gremienarbeit und das Konzeptionelle. Im Koalitionsvertrag steht, dass die Landesregierung die Abschiebungsbeobachtung personell stärken möchte.
Judith Fisch: Dann könnten wir auch mehr Einzelmaßnahmen beobachten: Dabei fliegen Menschen, die abgeschoben werden, mit ganz normalen Flügen. Wir beobachten größtenteils Sammelabschiebungen, aber wenn wir die Abschiebungen per Linienflug nur selten beobachten, fehlen wir als Kontrollinstanz.
Das Interview führte Jana Hofmann. Fotos: Anne Orthen/Diakonie RWL, Franz Werfel/Diakonie RWL, Privat, Pixabay
**Wir berichten nur in Ausnahmefällen über Suizide, um keinen Anreiz für Nachahmung zu geben. Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Sie Suizid-Gedanken haben, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlose Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800/33 44 533 zu erreichen.
Jahresbericht Abschiebebeobachtung 2021
Abschiebung in Zahlen (Bundeszentrale für politische Bildung)
Flucht Migration Integration
Abschiebungsbeobachtung
Es ist nicht Aufgabe der Abschiebungsbeobachtung, zu überprüfen, ob eine Entscheidung für eine Rückführung rechtmäßig ist oder nicht. Ihr Ziel ist es vielmehr, den Vollzug von Rückführungsmaßnahmen am Flughafen transparent zu machen, Probleme zu dokumentieren sowie mögliche Missstände zu erkennen und zu thematisieren. Die Abschiebungsbeobachter*innen dokumentieren, ob während der Abschiebungen humanitäre Standards gewahrt und die ergriffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind.
Jahresbericht Abschiebungsbeobachtung 2021
In ihrem Jahresbericht 2021 verzeichnete die Abschiebungsbeobachtung 119 problematische Fälle. Damit war jede siebte beobachtete Abschiebung (14,7 Prozent) problematisch. Vor Corona – im Jahr 2019 – waren es lediglich 8,4 Prozent.
Abschiebungen 2021
Aus Deutschland wurden 2021 insgesamt 11.982 Menschen abgeschoben, davon 2.903 aus Nordrhein-Westfalen. Der Düsseldorfer Flughafen lag mit 2.171 Abschiebungen auf dem zweiten Platz nach Frankfurt (3.371). Aus NRW wurde außerdem über die Flughäfen Köln/Bonn (184) und Dortmund (6) abgeschoben. Besonders häufig hatten die Flüge Ziele wie Albanien, Kosovo, Serbien, Nordmazedonien oder Georgien. (Quelle: Bundesdrucksache 20/890)
Abschiebungen 2014
Im Jahr 2014 wurden 10.884 Menschen aus Deutschland abgeschoben, davon mit 2.929 die meisten aus Nordrhein-Westfalen. Der Düsseldorfer Flughafen lag mit 1.711 Abschiebungen auf dem zweiten Platz hinter Frankfurt (2.747). Außerdem fanden 26 Abschiebungen über den Flughafen Köln/Bonn statt. Besondes häufig wurde nach Serbien, Italien, Mazedonien, Kosovo oder Albanien abgeschoben. (Quelle: Bundestagsdrucksache 18/4025)