20. November 2024

Themenreihe "Gegen Gewalt an Frauen!"

Frauenrechte sind Menschenrechte

Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen erinnert jedes Jahr im November daran, dass Frauenrechte weltweit nicht selbstverständlich sind. Dabei hat sich Deutschland mit der sogenannten Istanbul-Konvention dazu verpflichtet, auf staatlicher Ebene alles dafür zu tun, dass Gewalt an Frauen verhindert und bekämpft wird. Außerdem sollen Betroffene Schutz und Unterstützung bekommen. Wie sieht der Realitäts-Check aus?  

  • Ulrike Martin, Diakonie RWL, steht hinter einer orangen Bank mit der Aufschrift "Stoppt Gewalt an Frauen!"
  • Beschäftigte aus Frauenhäusern demonstrieren am 13. November 2024 in Düsseldorf gegen geplante Kürzungen.

Zu viel Bürokratie, zu wenig Geld

Frauen, die von Gewalt betroffen sind, brauchen meist schnell und unkompliziert Unterstützung. Grundlage dafür sind ausreichend Plätze in Frauenhäusern sowie genug Personal für qualifizierte Angebote in den Beratungsstellen und Frauenhäusern.

Der Ist-Zustand: Immer noch werden in Frauenhäusern im Bundesdurchschnitt mehr Frauen abgewiesen als aufgenommen. Außerdem müssen hilfesuchende Frauen zum Teil mehrere Wochen auf einen Termin für ein Erstgespräch in einer Beratungsstelle warten. Manche Frauen verlieren während dieser Zeit den Mut, überhaupt eine Beratungsstelle aufzusuchen.

Bisher existiert kein bundesweiter, einheitlicher oder verbindlicher Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern. Die anteiligen Finanzierungsbeiträge unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland.  Über die freiwilligen Leistungen und deren Höhe entscheiden jedes Bundesland und jede Kommune immer wieder neu.  Die Fehlbeträge müssen von den Trägern über Eigenmittel und beispielsweise Spenden aufgebracht werden. Wegen der schlechten Haushaltssituation in NRW könnte es sein, dass dort zum Jahresende Einrichtungen der Fraueninfrastruktur schließen müssen.

Land und Kommunen finanzieren lediglich anteilig Personal- und Sachkosten. Frauen müssen ihren Lebensunterhalt im Frauenhaus selbst finanzieren. In der Regel können betroffene Frauen beispielsweise einen Antrag auf Bürgergeld stellen, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder zu finanzieren. Wenn sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, müssen sie die Kosten selbst tragen. Das betrifft beispielsweise Frauen mit Fluchthintergrund, Rentnerinnen und Studentinnen.

Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, müssen oft erhebliche bürokratische Hürden überwinden, wenn sie Schutz in einem Frauenhaus suchen. Das beginnt mit der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt und der Geheimhaltung der Adresse. Für die Beantragung von Sozialleistungen müssen zahlreiche Unterlagen vorgelegt werden, die oft nicht vorhanden sind oder mitgebracht wurden. Anstatt Ruhe zu finden und in der gesicherten Umgebung anzukommen, müssen die Frauen mit Unterstützung der Mitarbeiter*innen erst einmal verschiedene Ämter aufsuchen und Anträge ausfüllen.

In der Regel wird vom gewalttätigen Partner der Umgang mit den Kindern eingefordert, dann muss gerichtlich geklärt werden, ob und in welcher Weise der Umgang erfolgen muss. Wenn eine Frau aus einer anderen Kommune oder sogar einem anderen Bundesland kommt, kann es immer wieder zu Problemen mit der Zuständigkeit der Behörden kommen. Das alles kostet viel Zeit, die eigentlich der Beratung und Stabilisierung der Frauen zugutekommen sollte. 

Gemäß Istanbul-Konvention werden in Deutschland rund 21.000 Frauenhausplätze benötigt. Laut aktueller Frauenhausstatistik 2023 gibt es rund 7.700 Plätze. Wir reden hier von einem Fehlbedarf von rund 14.000 Plätzen. Hinzukommt der benötigte Ausbau der Beratungslandschaft. In Nordrhein-Westfalen gibt es mittlerweile in jeder Kommune mindestens eine Frauenberatungsstelle. Die personelle Ausstattung ist aber so gering, dass Frauen in der Regel nur in akuten Notsituationen sofort beraten werden können. Wartezeiten von bis zu mehreren Wochen häufen sich.

Die Forderung: Wir brauchen eine bundesweit einheitliche und verlässliche Finanzierung der Frauenhäuser und Beratungsstellen mit dem Ziel, den tatsächlichen Bedarf an Beratung, Hilfen und Schutzplätzen sicherzustellen. Dazu ist die Bundesregierung laut Istanbul-Konvention des Europarats auch verpflichtet. Der Staat muss Gewaltschutz und Prävention angemessen finanzieren. Wir fordern zusätzliche Gelder für Präventionsangebote speziell auch für Kinder. 

Zur einheitlichen Finanzierung gehört auch, dass Gelder nicht mehr bei unterschiedlichen Ämtern beantragt werden müssen und Verwendungsnachweise einheitliche Vorgaben haben.

Wir brauchen in jeder Kommune eine Ansprechstelle, die für von Gewalt betroffenen Frauen und mit ihnen die benötigten Leistungen und behördlichen Angelegenheiten klärt und beantragt. Dadurch würden Einrichtungen und betroffene Frauen erheblich entlastet.

Zum Bürokratieabbau gehört auch, dass die Finanzierung der Einrichtungen aus einer Hand erfolgt. Bisher müssen an verschiedenen Stellen Gelder beantragt werden, teilweise mit aufwändigen Abrechnungen.

Eine Frau sitzt traurig auf dem Boden und vergräbt ihren Kopf in ihren Armen.

Häufig stehen Frauen mit der Gewalt alleine da. Sie scheuen sich vor einer Trennung, weil sie sich beispielsweise schämen.

Gewalt  ist keine Privatsache

Der Ist-Zustand: Der gefährlichste Ort für Frauen und Mädchen ist ihr Zuhause. Dennoch wird Häusliche/partnerschaftliche Gewalt zu oft noch immer als Privatsache angesehen. In Familien, Nachbarschaften und am Arbeitsplatz wird oft weggesehen. Häufig stehen Frauen mit der Gewalt alleine da. Sie scheuen sich vor einer Trennung von der gewalttätigen Person, weil sie sich schämen und/oder finanzielle Probleme und den Verlust der Wohnung befürchten. Auch die Sorge um die Wegnahme der Kinder durch den Ex-Partner gehört dazu.

Verlässlichen Aussagen zu einem Dunkelfeld Häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt gibt es nicht. Das Hellfeld, das die bei der Polizei gemeldeten Fälle aufzeigt, ist im Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023 abgebildet .

Die Forderung: Gewalt an Frauen muss als gravierendes gesellschaftliches, aber auch als wirtschaftliches Problem anerkannt werden. Der wirtschaftliche "Schaden" durch Gewalt an Frauen liegt jährlich in Milliardenhöhe. Hohe Folgekosten entstehen beispielsweise durch Intervention, medizinische Versorgung, Krankenhausaufenthalte, therapeutische Behandlung oder Arbeitsunfähigkeit.

Wir brauchen eine gesamtpolitische Strategie, um Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Dafür ist die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen erforderlich. 

Justitia mit der Waage in der Hand als Symbol für Recht und Gerechtigkeit.

Die Gewaltproblematik in partnerschaftlichen Beziehungen muss ernst genommen werden und darf nicht zu milderen Urteilen oder Verfahrenseinstellungen führen.

Justiz muss entschlossen handeln

Der Ist-Zustand: Die Gerichtsverfahren selbst stellen eine große Belastung für die Frauen dar, da sie oft retraumatisieren und nur selten zur Verurteilung des Täters führen. Kommt es zu einer Verurteilung, fällt das Strafmaß meist vergleichsweise gering aus. Gewaltdelikte im häuslichen Bereich, dem sogenannten sozialen Nahraum, werden meist deutlich geringer bestraft als dieselben Delikte im öffentlichen Raum, da der Kontext einer Beziehung strafmildernd wirkt. 

Bei Familiengerichtsverfahren wird der Hintergrund der Häuslichen/ partnerschaftlichen Gewalt häufig nicht oder nicht genug mit einbezogen, sodass es hier für Frauen teilweise zu gefährlichen Umgangs- und Sorgerechtsentscheidungen kommt.

Die Forderung: Die Gewaltproblematik in partnerschaftlichen Beziehungen muss ernst genommen werden und darf nicht zu milderen Urteilen oder Verfahrenseinstellungen führen.

Bei Familiengerichtsverfahren muss grundsätzlich geprüft werden, ob im Hintergrund partnerschaftliche Gewalt erfolgt ist. In diesem Zusammenhang muss der Umgang ausgesetzt werden. Er stellt eine Form der Kindeswohlgefährdung dar. Kinder sind grundsätzlich von der Gewalt mitbetroffen. Durch den Umgang werden sie häufig als Druckmittel gegenüber der Expartner*in benutzt. Die Situation der Übergabe der Kinder kann für weitere körperliche und/oder psychische Gewalttaten gegen die Frau genutzt werden. Wir erfahren immer wieder von Fällen, bei denen bei der Kindesübergabe die Frau körperlich attackiert wird, bis hin zur Ermordung.

Ulrike Martin, Referentin im Geschäftsfeld Familie und junge Menschen der Diakonie RWL.

Ulrike Martin, Referentin im Geschäftsfeld Familie und junge Menschen der Diakonie RWL, setzt sich für eine auskömmliche und verlässliche Finanzierung der Fraueninfrastruktur ein.

Unsere Forderungen 

Das Gewalthilfegesetz auf Bundesebene mit einem Anspruch auf Schutz und Beratung muss endlich umgesetzt werden. Es dient als Grundlage für ein verlässliches und dem Bedarf entsprechendes Hilfesystem in Städten und auf dem Land.

Wir fordern eine auskömmliche und verlässliche Finanzierung der Fraueninfrastruktur, die nicht auf Trägereigenmittel angewiesen ist und im Gutdünken von finanziellen Lagen und Interessen der Bundesländer liegt. 

Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Häuslicher/ partnerschaftlicher Gewalt und auf rechtliche Beratung – kostenfrei für alle Betroffenen. Der Rechtsanspruch verpflichtet die Länder, Schutz und Beratung wirklich vorzuhalten und zu finanzieren. Damit verbunden ist die auskömmliche Versorgung mit Frauenhausplätzen und mit Beratungsangeboten durch Beratungsstellen.

Gewaltfreiheit ist ein Menschenrecht und darf nicht an Kosten oder veralteten Rollenbildern scheitern. Ohne das Gewalthilfegesetz werden weiterhin Menschen sterben, werden weiterhin Menschenleben zerstört – weil ihnen der Schutz verwehrt bleibt, den sie so dringend brauchen.

Wir brauchen ein gesellschaftliches Umdenken: weg von der Scham der Betroffenen hin zum Schämen der Täter.

Die Arbeit mit Täter*innen muss ausgebaut werden. Ihnen muss deutlich gemacht werden, dass Häusliche/partnerschaftliche Gewalt nicht mehr gesellschaftlich tragbar ist und strafrechtlich verfolgt wird. Es handelt sich hierbei um kein  "Kavaliersdelikt". Das muss auch aus der Rechtsprechung deutlich hervorgehen.

Für gewalttätige Partner*innen darf es bei Häuslicher/partnerschaftlicher Gewalt kein Umgangsrecht geben. Häusliche/partnerschaftliche Gewalt ist eine Form der Kindeswohlgefährdung. Kinder, die im Umfeld von Häuslicher/partnerschaftlicher Gewalt aufwachsen, sind grundsätzlich mitbetroffen. Häufig erfahren sie selbst Gewalt (psychisch, körperlich) und/oder werden Zeugen der Gewalt an einem Elternteil. Für Kinder ist es eine belastende Situation, mit ansehen zu müssen, wie die Personen, die sie vor Gefahren schützen und emotionale Sicherheit geben sollen, diejenigen sind, von denen sie Gewalt erfahren oder die sie in gewalttätigen Situationen nicht schützen können. Hinzu kommt, dass gewalttätige Ex-Partner die Kinder oft als "Mittel zum Zweck" benutzen, um wieder Zugriff auf die Betroffene (in der Regel die Mutter) zu bekommen. Das Umgangsrecht bzw. die aktuelle rechtliche Umsetzung begünstigen diese Situation. 

Wir brauchen mehr Aufklärung und Fortbildungen über Häusliche Gewalt für Berufsgruppen, die mit dem Thema in Berührung kommen, etwa Jurist*innen, Ärzt*innen, Beschäftigte im Bereich soziale Arbeit.

Wir brauchen mehr Präventionsangebote zu Häuslicher Gewalt, etwa an Schulen und in Sportvereinen.

Text: Ulrike Martin, Verena Bretz, Fotos: Bretz, Pixabay/Canva, Klaus Tykwer

Ihr/e Ansprechpartner/in
Ulrike Martin
Geschäftsfeld Familie und junge Menschen
Weitere Informationen

Opfer meist Frauen
256.276 Menschen in Deutschland wurden im Jahr 2023 Opfer Häuslicher Gewalt – 70,5 Prozent davon sind weiblich. Die meisten Opfer waren von Partnerschaftsgewalt betroffen (167.865 Personen), darunter 132.966 Frauen.

Die Tötung von Frauen im Kontext geschlechtsspezifischer Macht-, Kontroll- und Hierarchieverhältnisse (Femizid) ist von 2022 bis 2023 von 133 auf 155 gestiegen. (Quelle: BKA Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023)

Die Diakonie RWL vertritt im Bereich Gewaltschutz für Frauen folgende Einrichtungen:
 – acht Frauenhäuser
– vier Allgemeine Frauenberatungsstellen
– zwei Fachberatungsstellen sexualisierte Gewalt
– eine Interventionsstelle
– sechs Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und/oder Prostitution
– zwei Fachberatungsstellen für Betroffene von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM)