Themenreihe "Gegen Gewalt an Frauen!"
Sie kennt den Moment, wenn sich die Haustüre öffnet. Meistens sind es Männer, die die Polizeibeamten begrüßen. "Viele von ihnen meinen, es reiche, wenn sie uns bescheinigen, dass alles in Ordnung ist", sagt Angélique Yumusak. Etwa so: "Das war ein lauter Streit." "Das kommt in den besten Familien vor." "Es geht uns gut. Auch meiner Frau." Die Polizei lässt sich in diesen Momenten nicht abwimmeln. Schließlich hat es zuvor einen Notruf gegeben: Entweder haben sich Ehefrauen oder Kinder auf der Suche nach Hilfe telefonisch an die Polizei gewendet. Oder Nachbarn haben sich gemeldet, weil es laut geworden ist. "Wir gehen erst, wenn wir persönlich auch mit der Frau gesprochen haben", erklärt die Bundesfrauenbeauftragte der Deutschen Polizeigewerkschaft für Angelegenheiten der Frauen und der Gleichstellungpolitik. "Das ist unsere Grundregel", erklärt sie. "Wir bestehen auf ein persönliches Gespräch mit der Frau."
Ab diesem Punkt verläuft der Einsatz unterschiedlich: Manchmal sei eine sogenannte Einsatzlage "nach fünf Minuten erörtert und kein weiteres Einschreiten notwendig". Dann haben Frauen versichert, dass es ihnen gut geht. Und die Polizisten haben sich der körperlichen Unversehrtheit der Frau versichert. "Es kommt allerdings gar nicht selten vor, dass sich Männer weigern, die Tür zu öffnen oder ihre Frau zu holen. Dann kann die Situation kippen", berichtet die Polizeibeamtin. Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten sind nicht selten Einsatzsituationen, die aus einem Einsatz von Häuslicher Gewalt resultieren. Und gerade in diesen Fällen zeige sich häufig: Es ist eben nicht nur ein lauter Streit gewesen.
Angélique Yumusak, Bundesfrauenbeauftragte der Deutschen Polizeigewerkschaft für Angelegenheiten der Frauen und der Gleichstellungpolitik. Sie hat viele Einsätze wegen Häuslicher Gewalt.
Gewalt hat viele Facetten
"Wir beobachten einen rasanten Anstieg von Fällen Häuslicher Gewalt", berichtet Angélique Yumusak. Dabei geht es um psychische, körperliche und sexuelle Gewalt, die Männer gegen ihre (Ex-)Ehefrauen oder Freundinnen ausüben. "Diese Fälle machen einen großen Teil der Gewalt an Frauen aus, und wir sprechen hier über das Hellfeld", erklärt Angélique Yumusak.
Nur selten sind die Spuren dieser Gewalt auf den ersten Blick erkennbar. "Viele denken sofort an das klassische blaue Auge", weiß die Polizistin, "aber es beginnt viel früher." Es gebe unzählige Facetten von Gewalt: Männer unterdrücken ihre Frauen, rauben ihnen jegliche Freiheit, zwingen sie zur Isolation, sorgen für eine finanzielle Abhängigkeit, machen sie nieder. "Auch die Fälle sexueller und körperlicher Gewalt nehmen zu", sagt die Polizistin.
Wenn Angélique Yumusak über die Ursachen für diese Entwicklung spricht, ist der Ärger in ihrer Stimme deutlich zu hören. "Der Hass gegen Frauen nimmt zu", sagt sie. Dahinter würden patriarchale Strukturen stecken. "Wir sind zum großen Teil so erzogen worden", sagt sie. Dazu gehörten auch alte Glaubenssätze wie : "Das klären wir Zuhause. Darüber sprechen wir nicht. Oder: Das gehört nicht in die Öffentlichkeit."
Mutig sein
Das gelte für viele Familien auch dann noch, wenn die Polizei klingelt. Ängstliche Frauen und weinende Kinder versicherten den Beamten dann, dass es keine bedrohliche Situation gebe. Keiner will Anzeige erstatten. "Dann können wir die Situation nur bestmöglich dokumentieren", erklärt Angélique Yumusak. Die Frau werde dann im persönlichen Gespräch auf Beratungs- und Hilfsangebote hingewiesen und Kontaktdaten werden übergeben. Darüber hinaus habe die Polizei in diesen Situationen wenig Handhabe.
"Natürlich gehen wir dann auch manchmal mit einem mulmigen Gefühl", erzählt die Polizistin, "aber Betroffene müssen den Mut aufbringen, die ausgestreckte Hand anzunehmen, die wir ihnen anbieten. Das ist am Ende ihre eigene Verantwortung, wenn die Einsatzlage für uns nicht eindeutig ist."
Allerdings weiß Angélique Yumusak auch, dass viele betroffene Frauen oft Jahre brauchen, um an diesen Punkt zu kommen – und endlich Hilfe einzufordern. "Frauen ist oft gar nicht bewusst, dass sie sich in einer Gewaltspirale befinden", sagt sie. In dieser Situation seien sie kaum in der Lage zu reflektieren, in welcher Situation sie sich befinden.
Viele betroffene Frauen brauchen oft Jahre, um an den Punkt zu kommen, endlich Hilfe einzufordern.
Akute Gefahr
Statistisch gesehen findet der erste Polizeieinsatz nach zwei Jahren Gewalt statt, betroffene Frauen schaffen es, sich im fünften bis siebten Ehejahr zu trennen. "Dann setzt der Überlebensinstinkt ein. Erst recht, wenn Frauen auch Mütter sind", sagt die Polizistin. Aus der Hoffnung, dass alles gut werde, entsteht die Einsicht: Es ist besser sich zu trennen, als diese Hölle weiter zu erleben.
"Es gibt auch Polizeieinsätze, die dauern zehn bis zwölf Stunden", erzählt Angélique Yumusak. Dann ist das Schweigen gebrochen, und die Polizei hat verschiedene Werkzeuge, um zu reagieren. Der Rettungsdienst, ein Besuch in der Gewaltschutzambulanz, das Erstellen von Gefahrenprognosen für das Landeskriminalamt, Gefährderansprachen oder auch die Möglichkeit, Frauen und deren Kindern die Unterbringung in einem Frauenhaus anzubieten. "Allerdings sind diese wertvollen Plätze inzwischen oft belegt und muss der Lebensunterhalt dort von vielen Frauen selbst gezahlt werden", weiß die Polizistin. Und trotzdem: Bei einer akuten Gefahr für Leib und Leben werden Möglichkeiten der räumlichen Trennung gefunden.
In kleinen Schritten kämpfen sich betroffene Frauen ins Leben zurück.
In kleinen Schritten
"Frauen können diesen Moment vorbereiten", weiß Angélique Yumusak und weist etwa auf Apps hin, die Betroffenen frühzeitig bei der Beweissicherung helfen können. "Aktuell sind vielversprechende Apps in der Entwicklung und Testung", erklärt die Bundesfrauenbeauftragte der Deutschen Polizeigewerkschaft. Sie sollen eine "gerichtssichere Beweissicherung" vereinfachen. Dort können Fotos von Verletzungen hochgeladen werden – lange, bevor sie dann auch übermittelt werden. Auch Datensicherungen, die für das Jugendamt wichtig werden könnten, sind dort möglich. Vereinfachte Notrufe sollen die Apps ermöglichen. "Und ich rate Frauen dazu, zum Beispiel Pässe, Bankkarten und Krankenkassenkarten zu sichern. In kleinen Schritten können sie sich so die Macht über ihr Leben zurückerobern", sagt die Polizistin – bis zu dem Moment, in dem sie den Mut finden, wieder selbstbestimmt und in Sicherheit zu leben.
Genau dann ist auch die Gesellschaft gefragt, sagt Angélique Yumusak. Sie wünscht sich, dass das Umfeld schon früher aufmerksam werde. "Ob bei Veränderungen der Kleidung oder im Verhalten: Freundinnen oder Verwandte könnten in solchen Momenten nachfragen", sagt die Polizistin.
Aber vor allem dann, wenn Frauen es schaffen, sich zu öffnen und sich anderen anzuvertrauen. Genau dann werde aktuell noch häufig ein fataler Prozess ausgelöst: "Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt", beobachtet Angélique Yumusak. Frauen werden in Erklärungsnot gebracht: "Augen auf bei der Partnerwahl!" Oder: "Du wirst schon deinen Teil dazu beigetragen haben." Solche und andere Floskeln würden in diesen Situationen oft fallen. "Frauen erfahren dann keinen Zuspruch, keine Neutralität", weiß die Polizistin.
Manche Frauen, die von Häuslicher Gewalt betroffen sind, stellen irgendwann fest: Eine Trennung ist besser, als diese Hölle weiter zu erleben.
Kein Grund zur Scham
Sie appelliert: "Wir müssen in diesem Moment füreinander einstehen." Und damit meine sie Frauen genauso wie Männer, die das Unrecht erkennen. "Das Vertrauen, das uns Betroffene in so einem Moment schenken, sollten wir völlig ohne Bewertung annehmen und fragen, was es in dem Moment an Unterstützung braucht", rät die Polizistin und ergänzt: "Betroffene Frauen haben gar keinen Grund zu Scham."
Sie sei Giséle Pelicot unendlich dankbar: Die Französin hatte jüngst durchgesetzt, den Prozess gegen ihren Mann wegen massenhaften Missbrauchs in aller Öffentlichkeit auszutragen. "Nicht wir sollen uns schämen, sondern die Täter", hat Pelicot mit Blick auf ihre Vergewaltiger gesagt. "Giséle Pelicot hat diese toxische Männlichkeit sichtbar gemacht", sagt Angélique Yumusak, "endlich."
Umdenken erforderlich
So hat auch die Polizistin die Hoffnung auf Veränderung noch nicht aufgegeben. Aber dafür seien alle gefragt: die Justiz genauso wie das Bildungssystem und die Gesamtgesellschaft. "Wir müssen weg von diesen patriarchalen Strukturen", sagt Angélique Yumusak. Dass Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen, "überfordert manche Männer aufgrund veralteter Glaubensansätze".
Sie fordert: "Gesamtgesellschaftlich muss ein Umdenken stattfinden, wir müssen offen über toxische Männlichkeit sprechen." Und dazu müsse man "das Übel an den Wurzeln packen". Sie ist sich sicher: "Das Thema Häusliche Gewalt gehört ins Bildungssystem. Wir müssen in Schulen über die vielen Facetten von Gewalt sprechen." Erst dann würden Menschen dazu befähigt, ihre eigene Situation zu hinterfragen. Sie würden dafür sensibilisiert, genau hinzusehen und die Strukturen zu verstehen, die uns prägen. "Dieses Thema gehört in den Ethikunterricht oder in Projektwochen", sagt Angélique Yumusak.
Opfer besser schützen
Auch die Justiz sei gefragt: "Wenn das System funktionieren würde, würde ich jeder Frau raten, Anzeige zu erstatten. Nicht wir als Polizei stellen Verfahren ein, das ist die Justiz." Aus Berlin etwa – dort lebt und arbeitet Angélique Yumusak – kennt sie außerdem die Forderung an Mütter, nach Häuslicher Gewalt und einer Anzeige nicht mehr als vier Wochen verstreichen zu lassen, um mit dem Vater ein Umgangsrecht zu vereinbaren. Das sei ein fataler Fehler am Familiengericht. "Häusliche Gewalt läuft nie in ein familienrechtliches Verfahren ein", kritisiert die Polizistin. Dann erfährt ein Täter den geheimen Aufenthaltsort seiner Frau und der Kinder, weil er den Aufenthaltsort über das Sorgerecht einklagt.
"Genau aus diesem Grund wurde vor Kurzem in Berlin eine Mutter von ihrem mehrfach gewalttätigen Mann getötet", berichtet die Polizistin. "Das ist die Verantwortung der Justiz", sagt sie und fordert: "Bis zur Klärung von Fällen Häuslicher Gewalt darf ein Umgangsrecht kein Thema sein. Ich fordere die Einschränkung des Sorgerechts in Verbindung mit Häuslicher Gewalt. Kein Täter nach Häuslicher Gewalt hat ein Recht auf Umgang, hier appelliere ich klar für den Kinderschutz. Auch die Einführung eines Betroffenenrats auf Bundesebene und die längst überfällige Einführung des Gewalthilfegesetzes müssen kommen. Opferschutz vor Täterschutz: Dass muss das eindeutige Zeichen sein. Außerdem brauchen wir verpflichtende Täterprogramme."
Angélique Yumusak formuliert diese Forderungen öffentlich immer wieder und in aller Deutlichkeit. Sie kämpft – für Veränderung und damit für betroffene Frauen. "Aber das dürfen wir nicht nur an einem Aktionstag im Jahr tun", mahnt sie, "denn Häusliche Gewalt findet jeden Tag statt."
Text: Theresa Demski, Fotos: Deutsche Polizeigewerkschaft, Pixabay/Canva, Pixelio, Unsplash