Themenreihe "Gegen Gewalt an Frauen!"
Frau K. lebte in einer Stadt in Moldawien bei ihren Eltern. Nach ihrem Berufsschulabschluss konnte sie in ihrer Heimatstadt keine Arbeit finden und geriet in Geldnot. Eine Freundin bot ihr Arbeit in einer Gaststätte in Polen an. Dort erfuhr sie, dass die Arbeit schon vergeben sei, es aber weitere Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland gäbe. In Deutschland angekommen, wurde sie an zwei Landsmänner übergeben. Die nahmen ihr den Pass ab und verlangten, dass sie die in sie investierten Kosten als Prostituierte abzuarbeiten habe. Falls sie sich weigern sollte, wurde ihr Gewalt angedroht. Eines Tages gab es in dem Bordell eine Razzia. Da Frau K. keine Papiere hatte, wurde sie mitgenommen. Sie erzählte ihre Geschichte in zahlreichen Vernehmungen bei der Polizei.
Schließlich wurde Frau K. von einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle "Nadeschda" in eine Unterkunft für Frauen gebracht. Die polizeilichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Aber Frau K. besucht inzwischen eine Sprachschule, um Deutsch zu lernen. Wöchentliche Gespräche mit einer Psychologin helfen ihr, das Erlebte zu verarbeiten.
Mitarbeitende der Beratungsstelle "Nadeschda" bringen die Frauen erst einmal in einer solchen Schutzwohnung unter.
Zwangsprostitution
Das Schicksal von Frau K. ist individuell. Dennoch steht es exemplarisch für viele andere Mädchen und Frauen, die in Deutschland von Menschenhandel betroffen sind. Sie fliehen aus ihrer Heimat, um der dortigen politischen und wirtschaftlichen Instabilität, ethnischer Diskriminierung, Zwangsheirat und/ oder weiblicher Genitalbeschneidung zu entkommen. Europa erweist sich für sie jedoch als Ort der Unsicherheit, Ohnmacht und des Leides. Denn Menschenhändler*innen und Schlepper*innen vermitteln die Betroffenen, die überwiegend aus afrikanischen, ost- und südeuropäischen sowie asiatischen Ländern stammen, in die Prostitution.
702 Fälle von Menschenhandel wurden 2023 bundesweit von Fachberatungsstellen dokumentiert. "Das ist aber nur ein kleiner Teil der Betroffenen, denn diese müssen erstmal den Weg zu den Beratungsstellen finden", sagt Anne Heckel, Geschäftsfeldleiterin Anti-Gewalt-Arbeit bei der evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Von der Polizei werden nur wenige Betroffene an Beratungsstellen vermittelt. "Frauen, die in der Zwangsprostitution sind, werden häufig über das Internet angeboten. Um im digitalen Raum zu ermitteln, fehlen den Behörden jedoch die Ressourcen", erklärt sie.
Bedroht und hilflos
Ohne Unterstützung haben es die Betroffenen schwer, aus ihrer Notlage herauszufinden. Häufig werden sie bedroht. Ihnen fehlen die Sprachkenntnisse und das Wissen um ihre Rechte. Unterstützung bekommen sie bei spezialisierten Beratungsstellen, die ihnen eine engmaschige psychosoziale Begleitung und ein sicheres Umfeld bieten. Eine dieser Fachstellen ist "Nadeschda", eine Frauenberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel, die seit 1997 unter der Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. agiert. Der Name "Nadeschda" kommt aus dem Russischen und bedeutet Hoffnung. Im Jahr 2023 waren dort 81 Frauen und 33 Kinder aus 21 verschiedenen Nationen in Betreuung.
"Nadeschda" begleitet ihre Klientinnen in mehreren Schritten aus der Ohnmacht hinaus in ein selbstbestimmtes Leben. Viele der Frauen, die als Zwangsprostituierte traumatisierende Erfahrungen machen mussten, leiden unter Schlafstörungen, körperlichen Beschwerden, starken Stimmungsschwankungen, Angstattacken und depressiven Phasen.
"Die Frauen sind sehr vulnerabel. Sie haben sich mit großen Hoffnungen und viel Mut auf den Weg nach Deutschland gemacht und erleben auf den Fluchtrouten und in Deutschland Enttäuschungen und Verletzungen. Ihre Lebensplanung ist zerstört. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, um den Frauen ein gutes Setting zu bieten - soweit das von unserer Seite überhaupt möglich ist - damit man an dem Thema arbeiten kann", erklärt Heckel.
Beim Projekt "Empowerment für geflüchtete Frauen" werden Computer-Schulungen angeboten, aber auch Workshops zu Themen wie Rassismus oder Sportmöglichkeiten.
Schwierige Gerichtsverfahren
"Nadeschda" hilft den Frauen, sich einen neuen Lebenskontext aufzubauen. "Das fängt damit an, dass wir mehrere Schutzwohnungen haben, in denen wir Frauen unterbringen können", berichtet die Pfarrerin. Man hilft den Betroffenen bei Ämterfragen und praktischen Dingen wie Kontoeröffnungen oder Krankenversicherungen abschließen. Auch gesundheitliche Themen werden geklärt.
Zusätzlich werden die Klientinnen auf Gerichtsverfahren gegen ihre Peiniger vorbereitet und bei dem Prozess begleitet. Denn für die Opfer ist es eine große Strapaze, den Tätern gegenüberzustehen und über ihre Erlebnisse zu berichten. Auch für die Mitarbeiterinnen von "Nadeschda" sind das belastende Erfahrungen. "Es ist sehr schwierig, die Taten nachweisen zu können und sehr frustrierend, wenn klar ist, dass eine Frau großes Leid erfahren hat, dies aber aufgrund ihrer eingeschränkten Rechte in der Missbrauchssituation nicht dokumentieren konnte. Das ist oft schwierig auszuhalten", so Heckel.
Frauen stärken
Seit 2016 beteiligt sich "Nadeschda" an dem Projekt "Empowerment für geflüchtete Frauen", gefördert aus Mitteln der "Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration". Das Projekt ermöglicht, dass Betroffene eine therapeutische Kurzintervention durch eine erfahrene Psychotherapeutin erhalten können. Zusätzlich gibt es Computer-Schulungen und Workshops zu Themen, die den Klientinnen am Herzen liegen, etwa Rassismus, das Leben in Deutschland oder auch Sportmöglichkeiten.
In den Jahren 2021 und 2022 wurden ehemalige Klientinnen von "Nadeschda" zu sogenannten Alltagslotsinnen ausgebildet. "Frühere Klientinnen, die mittlerweile in der Gesellschaft Fuß gefasst haben, wertschätzen ihre Erfahrungen und können sie nun selbst einbringen. Dadurch haben sie eine wertvolle Aufgabe. Im Gegenzug bekommen die neuen Klientinnen Personen an ihre Seite, die ihnen helfen, vor Ort zurechtzukommen und Alltagskompetenzen weiter auszubauen. Für sie ist es sehr hilfreich, wenn es Menschen gibt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und davon berichten können", sagt Heckel.
Anne Heckel, Geschäftsfeldleiterin Anti-Gewalt-Arbeit bei der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Die Pfarrerin kämpft für Frauen, die Opfer von Menschenhändlern wurden.
Unsichere Finanzierung
"Nadeschda" arbeitet mit einer Mischfinanzierung. "Man muss gerade im Bereich der spezialisierten Hilfe für Frauen immer wieder neu dafür kämpfen, dass es Landesförderungen gibt. Die finanzieren aber auch nur einen Teil der Arbeit", berichtet Anne Heckel. Zusätzlich müsse man immer wieder mit Kommunen ins Gespräch kommen und trotzdem noch einen Eigenanteil einbringen. "Wenn man Glück hat, kann man auf verschiedene Stiftungen zurückgreifen. Es muss aber auch viel spendenbasiertes Fundraising stattfinden, weil wir als mittelgroßer diakonischer Träger keine zusätzlichen Mittel einbringen können. Es bleibt also ein Kampf."
Ein weiteres Problem sei, dass die Förderung des Empowerment-Projektes Ende 2024 ausläuft. Damit würden weitergehende Stabilisierungsmaßnahmen und die psychotherapeutische Begleitung der Frauen wegfallen. Auch Schulungen für solche Personen, die mit Betroffenen von Menschenhandel arbeiten, könnten nicht fortgeführt werden. "Leider haben wir auch keine Alternativfördertöpfe aus denen wir dieses Programm noch einmal beantragen könnten. Wir schauen aber, ob wir mit anderen Ansätzen andere Förderprogramme möglich machen können", so Heckel.
Text: Nicole Esch, Fotos: Ev. Frauenhilfe Westfalen, Pixabay/Canva