Themenreihe "Gegen Gewalt an Frauen!"
Keiner soll genau wissen, wo sie sind. Das ist wichtig. Wenn Frauen den Weg in ein Frauenhaus suchen, bedeutet das, dass sie zuhause oder auch bei Freundinnen, Freunden und Verwandten nicht mehr sicher sind. Nicht sicher vor ihrem Partner und vor der Gewalt, die dieser in ihrem Zuhause an ihr und oft auch an ihren Kindern ausübt.
Häusliche Gewalt hat in den vergangenen Jahren zugenommen. 2023 zählte die Statistik des Bundeskriminalamts deutschlandweit 256.276 Betroffene, das sind 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr. In NRW waren es 60.268 Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden – auch hier liegen die Zahlen um 2,8 Prozent höher als 2022. Der Großteil der Betroffenen sind Frauen, der Großteil der Täter sind Männer. Doch obwohl die Zahlen steigen, haben es Einrichtungen, die Frauen in Notsituationen helfen, schwer. Nach wie vor gibt es zu wenige Frauenhäuser – bundesweit fehlen rund 14.000 Plätze. Die Finanzierung der Einrichtungen ist unsicher.
"Wir müssen immer wieder Frauen absagen, weil wir voll sind", beklagt Karin Hester vom Diakonischen Werk im Kirchenkreis Recklinghausen. Sie leitet die Frauenhäuser in Datteln und Herten.
Ein schwerer Schritt
Für Frauen, die den Schutz eines Frauenhauses brauchen, ist das ein großes Problem. Das eigene Umfeld hinter sich zu lassen, ist ohnehin schon ein großer Schritt. Wenn sie dann erst verschiedene Einrichtungen abtelefonieren müssen, bevor sie einen Platz finden, wird der Schritt noch schwieriger. "Wir müssen immer wieder Frauen absagen, weil wir voll sind", sagt Karin Hester vom Diakonischen Werk im Kirchenkreis Recklinghausen, die die Frauenhäuser in Datteln und Herten leitet.
Die Frauen, die dort hinkommen, tun das, um einer akuten Bedrohungs- oder einer konkreten häuslichen Gewaltsituation zu entfliehen. Oft empfiehlt auch die Polizei oder das Jugendamt, sich an eine der Einrichtungen zu wenden. Die Mitarbeiterinnen vor Ort fragen dann verschiedene Dinge ab. Was ist passiert? Wie ist die aktuelle Situation? Braucht die Frau alleine einen Platz oder bringt sie Kinder mit? Wie alt sind die? Welche Papiere und welchen Aufenthaltsstatus hat die Frau?
Außerdem muss die Finanzierung sichergestellt werden. "Die Personalkosten werden nur bis zu 80 Prozent vom Ministerium bezahlt, die Kosten für den Aufenthalt übernimmt das Jobcenter – wen die Frau Anspruch auf Leistungen hat", sagt Karin Hester. Alle anderen Frauen müssen die Kosten für den Aufenthalt selbst finanzieren. Ist alles geklärt, wird ein Treffpunkt vereinbart und die Frau dort abgeholt. Wichtig auch dann: Das Handy wird abgeschaltet. Immer wieder haben gewalttätige Partner Apps auf dem Smartphone der Frau installiert und können so deren Standort nachverfolgen. "Die neuen Technologien sind Fluch und Segen zugleich", sagt Karin Hester. Grundsätzlich werden nur Frauen aus anderen Städten aufgenommen, um es den Tätern noch mehr zu erschweren, diese ausfindig zu machen.
Im Frauenhaus bezieht die Betroffene allein oder mit ihren Kindern ein eigenes Zimmer – Küche und Badezimmer teilen sich mehrere Frauen.
Zur Ruhe kommen
Im Frauenhaus bezieht die Betroffene dann allein oder mit ihren Kindern ein eigenes Zimmer – Küche und Badezimmer teilen sich mehrere Frauen, fast wie in einer WG. Hier können sie zur Ruhe kommen, aber: "Wir versuchen, so schnell wie möglich mit ihnen aktiv zu werden. Wir wollen verhindern, dass sie in einen depressiven Zustand verfallen", sagt die Leiterin. Den Frauen gehe es ganz unterschiedlich. Manche weinen an den ersten Tagen viel und brauchen Zeit, anzukommen, andere wollen sofort loslegen und ihr Leben in die Hand nehmen.
Das Frauenhaus unterstützt sie dabei. Gemeinsam füllen sie notwendige Anträge aus, begleiten zur Polizei, wenn Anzeige erstattet werden soll, suchen nach einem Kita- und Schulplatz für die Kinder. "Wir wollen sie dabei unterstützen, schnell wieder auf eigenen Beinen zu stehen", sagt Karin Hester. Man gehe davon aus, dass alle Frauen, die ankommen, traumatisiert sind. Obwohl die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus keine Psychotherapeutinnen sind, helfen sie, die Betroffenen zu stabilisieren. "Wir unterstützen sie dabei, nach vorne zu schauen." Und machen ihnen klar: Du bist stark und du schaffst das.
Im selben Boot
Meist sind die Bewohnerinnen etwa drei Monate im Frauenhaus. In Herten gibt es acht Plätze für Frauen und 20 Plätze für Kinder, in Datteln finden sechs Frauen und bis zu 18 Kinder gleichzeitig Schutz. Das führe immer wieder auch zu Konflikten. "Wir sind multikulti. Die Frauen haben ganz verschiedene Hintergründe", sagt Karin Hester. Alter, Herkunft und Kultur seien oft unterschiedlich. Manchmal dauere es bis alle sich aufeinander eingestellt haben. "Die Frauen wissen aber – und wir machen es ihnen in der Hausversammlung auch bewusst – dass sie alle irgendwie im selben Boot sitzen."
Die Mitarbeiterinnen sind nur tagsüber vor Ort, am Abend sind die Bewohnerinnen allein miteinander. Jeden Tag führen sie Gespräche mit den Frauen darüber, wie es ihnen geht und wie sie zurechtkommen. "Das ist manchmal eine Herausforderung – zu hören, was die Frauen und ihre Kinder erlebt haben", sagt Karin Hester. Oder die Verletzungen zu sehen, mit denen sie ankommen. "Es ist ein toller Job, aber er erfordert auch viel Kraft." Auch sich abzugrenzen ist für die Mitarbeiterinnen wichtig und gleichzeitig herausfordernd. "Wir müssen immer eine gewisse professionelle Distanz halten." Den Frauen muss klar sein, dass die Mitarbeiterinnen sie zwar unterstützen, aber nicht ihre Freundinnen sind. Das ist deshalb wichtig, weil sie nicht in ein neues Abhängigkeitsverhältnis geraten sollen, sondern lernen müssen, unabhängig zu sein und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Gute und schnelle Therapieangebote für die Kinder der Frauen sind dringend nötig, aber oft fehlt dafür das Geld.
Hilfestruktur erweitern
Nur wenige Frauen kehren später zu ihren gewalttätigen Partnern zurück. Die Rückfallquote liege bei etwa fünf Prozent. Auch das zeigt, wie wichtig und hilfreich die Arbeit in den Frauenhäusern ist. Trotzdem fehlt es für Karin Hester an Unterstützung. "Ich würde mir wünschen, dass die Istanbul-Konvention umgesetzt wird und es für Frauen einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus gibt, wenn sie ihn brauchen."
Die Istanbul-Konvention wurde 2011 vom Europarat ausgearbeitet und 2017 in Deutschland rechtskräftig bestätigt. Das Übereinkommen soll Gewalt an Frauen bekämpfen. Staaten, die es unterzeichnen, verpflichten sich, Maßnahmen zu ergreifen, um Gewalt anFrauen zu verhindern und zu verfolgen. Doch noch immer werde das Problem zu wenig ernst genommen. Immer wieder komme es vor, dass auch Behörden einem Ex-Partner den Aufenthaltsort der Frau verraten – wenn auch unbeabsichtigt. Auch bei der Verfolgung der Gewalttäter sieht Karin Hester dringenden Handlungsbedarf. Oft dauere es zu lange bis die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist für die Frauen in vielen Fällen retraumatisierend.
Ein Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz könnte aber auch dafür sorgen, dass die Arbeit der Einrichtungen erleichtert wird. Dass mehr Plätze geschaffen werden und die Hilfestruktur erweitert wird. "Es wäre zum Beispiel wichtig, dass es auch gute und schnelle Therapieangebote für die Kinder der Frauen gibt." Am allerwichtigsten wäre für Karin Hester aber noch etwas: "Jede Frau, die in Not ist, muss sofort einen Platz bekommen."
Text: Carolin Scholz, Fotos: Diakonie RWL/Damaschke/Canva, Diakonie Ruhr-Hellweg, Diakonisches Werk KK Recklinghausen, Pixelio, Pixabay, Shutterstock/Canva