3. September 2024

Themenreihe Familie

Alleinerziehend, aber nicht allein

Kontakte knüpfen, sich über die Alltagssorgen austauschen oder einfach einmal durchatmen: Die offenen Treffs sind ein wichtiges Angebot der Lotsenstelle für Alleinerziehende der Diakonie für Bielefeld. Die Nachfrage ist groß. Und die Stadt Bielefeld macht vor, wie mit mutiger Sozialpolitik ein wichtiges Angebot erhalten bleibt – und so Alleinerziehende nachhaltig stärkt.

  • Ein Ball im Park

"Das tut richtig gut", sagt eine junge Mutter. "Täglich gibt es schon so viele Anforderungen. Hier muss ich mal nichts organisieren, alles ist vorbereitet." Die Bielefelderin mit den langen braunen Haaren hat es sich auf einer Decke bequem gemacht. Ihre Tochter ist heute anhänglich, kuschelt sich an Mama und lauscht, was die Erwachsenen so reden. Über eine Kindergartenmutter habe sie von dem Angebot erfahren und komme gerne, erzählt die Alleinerziehende. So, wie es gerade passt. "Man ist hier jederzeit willkommen, muss keinen Termin machen, bekommt Tipps und Unterstützung." 

Marion Arens und Sonja Kadura (rechts).

Organisieren die Treffs: Die Lotsinnen Marion Arens und Sonja Kadura (rechts).

Bedürfnisse von Single-Eltern im Blick 

Niedrigschwellig und unkompliziert sind die Treffs, das ist den Diakonie-Mitarbeiterinnen Marion Arens und Sonja Kadura wichtig. Auch bei den anderen Angeboten für Alleinerziehende, ob Workshop oder Infoveranstaltung, orientieren sich die Lotsinnen ganz an den Bedürfnissen von Eltern und Kindern, sind flexibel und pragmatisch. Kleines Beispiel: Weil das Wetter an diesem Tag so schön ist, wird der offene Treff, der dienstags eigentlich im "Grünen Würfel" in der Bielefelder Innenstadt stattfindet, kurzerhand in einen nahe gelegenen Park verlegt. "Unsere Erfahrung ist, dass bei so einem Wetter nur wenige Familien ins Haus kommen", weiß Marion Arens. Die Zeit ist einfach zu kostbar, um drinnen zu sitzen, wenn draußen mal die Sonne scheint.

Also werden die Picknickdecken ausgebreitet, unter schattigen Bäumen, gleich neben dem Spielplatz. "Super", freut sich Anne, der Vorname soll reichen, und dreht ihr Gesicht der Sonne zu. Ihr siebenjähriger Sohn erobert mit einem Freund gerade eine Kletterspinne und winkt seiner Mutter. Unbeschwerte Momente, der Alltag sieht manchmal ganz anders aus. Die größte Herausforderung? "Dass man so viele Dinge gleichzeitig erledigen muss." Das Kind wird krank, Haushalt und Job müssen trotzdem funktionieren. Ihre Freundin nickt. Auch viele andere hier kennen das Gefühl, für alles zuständig zu sein, vom Reifenwechsel bis zum Kuchenbacken fürs Schulfest.

Zwei Frauen sitzen auf einer Picknickdecke im Park

Kontakte knüpfen und sich über Alltagssorgen austauschen: Alleinerziehende beim Treffen im Park.

Als gleichwertige Familienform anerkannt werden

Seit gut vier Jahren ist Anne alleinerziehend. Nach der Trennung zog sie zurück nach Bielefeld, wo ihre Familie lebt. Die Unterstützung ist Gold wert, doch darüber hinaus hatte sie keine Freunde und Bekannte in der Stadt. Dazu kam die Corona-Pandemie. "Alle waren in Isolation." Als sie zufällig einen Hinweis auf die Lotsenstelle für Alleinerziehende entdeckte, war sie sofort begeistert. Besonders gerne geht die 42-Jährige zum Sonntagsfrühstück einmal im Monat und engagiert sich inzwischen auch ehrenamtlich im Projektbeirat der Lotsenstelle, über den die Teilnehmenden ein Feedback geben und berichten können, was ankommt und was nicht, damit nicht an den Bedürfnissen der Familien vorbeigeplant wird. Mit ihrem Engagement möchte sie etwas zurückgeben und dazu beitragen, "dass Ein-Eltern-Familien als eine gleichwertige Form von Familie wahrgenommen werden." 

Wie groß und vielfältig diese Gruppe ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Allein in Bielefeld leben rund 6.000 Alleinerziehende mit ihren minderjährigen Kindern zusammen. Das sind rund 20 Prozent aller Familien. Die meisten von ihnen, fast 90 Prozent, sind Frauen: Junge und ältere Mütter, gut ausgebildet, arbeitssuchend, geschieden, verwitwet, mit gutem Kontakt zum Partner oder ohne. "Die Bandbreite ist groß", sagt Marion Arens und verweist auf die hohe Erwerbstätigenquote. "Rund 70 Prozent der Alleinerziehenden sind berufstätig." Dennoch haben sie ein erhöhtes Risiko, von Armut betroffen zu sein. So zeigte der Lebenslagenbericht der Stadt Bielefeld (2017/18), dass Alleinerziehende häufiger auf Transferleistungen angewiesen sind als andere Familien.

Marion Arens

"Je schneller die richtige Unterstützung gefunden wird, desto besser kommen die Menschen wieder auf die Beine", sagt Marion Arens.

Orientierung im Angebots-Dschungel

Grund genug, genauer hinzuschauen: Wie können Betroffene besser unterstützt werden? Was brauchen sie? Das wollte die Diakonie für Bielefeld gGmbH wissen und hat gemeinsam mit der Fachhochschule Alleinerziehende im Stadtteil Stieghorst befragt. Diese und eine weitere stadtweite Befragung der Stadt Bielefeld ergaben: Viele Alleinerziehende wünschen sich eine Anlaufstelle und leicht zugängliche Informationen. Zwar gibt es in Bielefeld viele Angebote für die Zielgruppe, aber es ist mühsam, sich in diesem "Dschungel" zurechtzufinden. "Dafür fehlt vielen im Alltag einfach die Zeit und die Kraft", sagt Marion Arens. "Und die Studien zeigen auch: Je schneller die richtige Unterstützung gefunden wird, desto besser kommen die Menschen wieder auf die Beine." 

Leuchtturmprojekt der Diakonie 

Genau hier setzt die Lotsenstelle der Bielefelder Diakonie an, die 2021 mit einer halben Stelle startete, finanziert für drei Jahre von der Glücksspirale. Mittlerweile finanziert die Stadt Bielefeld eine ganze Stelle, die sich Marion Arens und Sonja Kadura teilen. "Das ist schon etwas Besonderes, dass eine Kommune das macht", sagen die Sozialarbeiterinnen. Der Bedarf ist jedenfalls da, das zeigt allein der Zulauf zu den offenen Treffs. Pro Termin kommen – je nach Angebot – zwischen fünf und 25 Mütter und einige Väter plus Kinder. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt rund 700 Besuche. 

Welche Freizeitangebote gibt es in meinem Stadtteil? Wo finde ich einen Sprachkurs? In lockerer Atmosphäre können sich die Eltern austauschen, gegenseitig Tipps geben oder einfach nur mit Gleichgesinnten reden. "Es ist gut zu wissen, dass man als Alleinerziehende nicht allein ist", bringt es eine Mutter auf den Punkt. Sonja Kadura und Marion Arens schenken derweil Kaffee nach, fragen, wie es im neuen Job oder in der Kita läuft. "Es ist sehr liebevoll hier", lobt eine andere junge Frau, der die freundliche Ansprache guttut. "Gerade wenn man so kämpfen muss." Die Lotsenstelle habe ihr in einer schwierigen Situation "Stabilität, Halt und Sicherheit" gegeben. 

Sonja Kadura

Kennt die vielschichtigen und komplexen Probleme von Alleinerziehenden: Lotsin Sonja Kadura.

Beraten, informieren, vernetzen

Kindesunterhalt, rechtliche Fragen, flexible Kinderbetreuung, aber auch persönliche Erschöpfung, Erziehungsfragen und berufliche Weiterentwicklung – Marion Arens und Sonja Kadura wissen, wie vielschichtig die Themen sind, die Alleinerziehende beschäftigen. Manche Fragen können die Sozialarbeiterinnen direkt bei den Treffen klären, für größere Probleme bieten sie individuelle Beratungstermine an, nachmittags, abends, wann es am besten passt. Allein im vergangenen Jahr gab es rund 440 Kontakte, bei komplexen Themen kommen die Frauen oft mehrfach. Und auch hier gilt: flexibel und pragmatisch sein. 

Das bedeutet auch, dass die Lotsinnen nicht jede Frage selbst klären, sondern an geeignete Ansprechpartner vermitteln und nach passenden Hilfsangeboten suchen. "Wir wollen in Bielefeld keine Doppelstrukturen schaffen und sind untereinander gut vernetzt", sagt Marion Arens. Von der Familien-, Paar- und Lebensberatung der Diakonie über die AWO bis hin zum Jugendamt, Kinderschutzbund oder Jobcenter. "Es gibt ein konkurrenzfreies Miteinander, um möglichst viel für die Alleinerziehenden herauszuholen." Schnell die richtige Hilfe finden, dazu dient auch die gemeinsame Homepage www.alleinerziehend-bielefeld.de, auf der alle wichtigen Informationen gebündelt sind.

Vernetzt zu arbeiten gehört zum diakonischen Profil, sagt Deane Heumann, Diakonie RWL-Referentin im Geschäftsfeld Familie und junge Menschen. Die evangelischen Beratungsstellen arbeiten in der Regel integriert. So verfügen sie neben Paar-, Familien-, und Lebensberatung in unterschiedlichen Kombinationen auch über andere Fachberatungen wie etwa Schwangerschafts(konflikt)beratung, Sozialberatung, Schuldnerberatung oder Erziehungsberatung. "Damit sind die Wege von einem Beratungsschwerpunkt zum nächsten kurz und der Zugang ist besonders niederschwellig", sagt Deane Heumann. So auch in Bielefeld: Die Lotsenstelle ist gemeinsam mit der MutWerkstatt – Beratung für Kinder, Jugendliche, Familien und Schwangerschaft, in einer Abteilung angesiedelt. 

Mitleid ist nicht gefragt

In ihrer täglichen Arbeit stellen Marion Arens und Sonja Kadura dabei immer wieder fest: Alleinerziehende wollen kein Mitleid, wollen nicht bedauert werden. "Trotzdem ist es eine besondere Leistung, den Alltag allein zu managen." Anne sieht das ähnlich: "Es ist nicht alles nur Belastung. Mir geht es ohne Partner besser als in einer schlechten Beziehung. Und ich will meinem Kind vorleben, dass ich gut für mich selbst sorge." Eine Freundin neben ihr auf der Decke nickt. Auch Sonja Kadura machte diese Erfahrung: "Es geht darum, das Beste aus der Situation zu machen. Und darin sind Alleinerziehende einfach Expertinnen." 

Text und Fotos: Silke Tornede