14. Mai 2021

Tag der Familie

Die Angst, alleingelassen zu sein

Schwangerschaft und Geburt finden in der Pandemie unter erschwerten Bedingungen statt. Wohin mit all den Ängsten vor Virus, Geburt und Babykoller - und vor allem davor, dass das Geld nicht reicht? Zum "Tag der Familie" am 15. Mai berichten Schwangerenberatungsstellen der Diakonie und die "Babylotsen" der Kaiserswerther Diakonie, wie sie werdende Mütter unterstützen.

  • Schwangere Frau sitzt gebeugt vor einem Haufen Münzen (Foto: Shutterstock)
  • Wegweiser zum Kreißsaal des Florence-Nigthingale-Krankenhauses (Foto: Damaschke/Diakonie RWL)
  • Neugeborenes Baby (Foto: pixabay)
  • Mutter mit Maske und Baby im Tragetuch (Foto: pixabay)

Im siebten Monat schwanger und endlich eine eigene, kleine Wohnung. Das Paar aus Syrien hatte sich gefreut, aus der Flüchtlingsunterkunft ausziehen zu können. Doch dann kam der Schock: Außer zwei Matratzen befanden sich keinerlei Möbel in der Wohnung. "Dafür hatte sich niemand zuständig gefühlt", erzählt Kirstin Dinse-Yildiz. "Und erreichbar war bei den Behörden auch niemand." 

Alleingelassen auf zwei Matratzen – die Mitarbeiterin der Evangelischen Beratungsstelle Duisburg/Moers kann viele Geschichten von werdenden Müttern erzählen, die in der Pandemie auf sich alleine gestellt sind. "Behörden sind im Lockdown oft schwer erreichbar, und das ist vor allem dann eine Katastrophe, wenn finanzielle Hilfen nicht ankommen", sagt die Diplom-Pädagogin. 

Kirstin Dinse-Yildiz von der Ev. Schwangerenberatungsstelle Duisburg/Moers (Foto: privat)

In der Pandemie verschärfen sich die Probleme vieler Frauen, stellt Kirstin Dinse-Yildiz von der Ev. Schwangerenberatungsstelle Duisburg/Moers fest. 

Wovon sollen wir leben?

In ihrer Beratungsstelle in Duisburg hat Kirstin Dinse-Yildiz oft mit schwangeren Frauen zu tun, bei denen das Familieneinkommen knapp ist. Die meisten sind dringend auf Kinder- und Elterngeld, ergänzende Sozialleistungen und Mittel aus der Bundesstiftung Mutter und Kind angewiesen, weil sie in schlecht bezahlten Jobs arbeiten oder Hartz IV beziehen, oder weil ihnen der Job weggebrochen ist.

"Die größte Sorge dieser Frauen ist die existentielle Sicherung ihrer Familie." Kirstin Dinse-Yildiz und ihre drei Kolleginnen helfen dabei, Anträge auf finanzielle Unterstützung, Mutterschutz, Kinder- und Elterngeld zu stellen. Sie schalten sich ein, wenn Behörden schlecht erreichbar sind und Gelder nicht ankommen. Rund 1.000 Frauen wenden sich pro Jahr an die Beratungsstelle, die auch in Moers tätig ist. "In der Pandemie kommen sie mit mehr Fragen und größeren Zukunftsängsten." Die Pädagogin hilft meist per Telefon und Video, denn Schwangerenberatung darf derzeit nur in begründeten Einzelfällen in Präsenz stattfinden.

Diakonin Kerstin Stute

Gefahr zu vereinsamen: Kerstin Stute von der Ev. Schwangerenberatungsstelle in Herford wird in der Corona-Pandemie zur Vertrauensperson für viele Schwangere.

Beraterinnen als Vertrauenspersonen

Das beeinflusst die Arbeit. "Es ist oft schwieriger, Vertrauen aufzubauen", sagt Kerstin Stute von der Evangelischen Schwangerenberatungsstelle in Herford.

Sie berät mit ihren fünf Kolleginnen etwa 1.500 Frauen pro Jahr. Finanzielle Hilfen seien oft der "Türöffner", um über andere Probleme, etwa die Angst vor der Geburt, einer Ansteckung, Nebenwirkungen der Impfung zu sprechen oder über Verhütung, Konflikte mit dem Partner und die Kinderbetreuung. "Den Frauen fehlen Ansprechpartnerinnen, die sie sonst in Geburtsvorbereitungs- und Babykursen gefunden haben. Wir sind zu Vertrauenspersonen geworden, die ihre Fragen beantworten und ihnen Mut machen."

Unsicherheit gibt es laut Stute vor allem in allen Fragen rund um die Geburt. "Die Frauen haben Angst, ihr Kind alleine zur Welt zu bringen, denn in manchen Kliniken herrscht striktes Besuchsverbot." Auch die Nachsorge sei schwieriger geworden, weil so manche Hebamme sie lieber in ihrer Praxis anbiete als einen Hausbesuch zu machen. "Doch unsere Klientinnen haben oft kein Auto." Gruppen für junge Mütter und ihre Babys fielen coronabedingt aus. Die Angst, zuhause mit Baby zu vereinsamen, sei groß, erzählt Stute.

Martina Engelen ist "Babylotsin" im Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie. (Foto: Kaiserswerther Diakonie/Frank Elschner)

Martina Engelen ist Hebamme und arbeitet als "Babylotsin" im Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie. 

Informationen aus erster Hand

"Es gibt eine Menge Gerüchte rund um die Geburt in Corona-Zeiten, die wir erstmal entkräften müssen", erzählt auch Martina Engelen. Die Hebamme arbeitet mit zwei Kolleginnen als "Babylotsin" im Florence-Nightingale-Krankenhaus der Kaiserswerther Diakonie. Die "Babylotsen" sind ein Präventionsprogramm zur Unterstützung von werdenden und frisch gebackenen Eltern sowie zum vorbeugenden Kinderschutz.  Angst vor einer Geburt ohne Partner und mit Maske während der Presswehen kann Martina Engelen den Frauen nehmen. "Beides trifft für unsere Geburtshilfe nicht zu."

Allerdings sind die Besuche im Krankenhaus auf den Partner beschränkt, Verwandte und Freunde dürfen ebenso wenig kommen wie Geschwisterkinder. Martina Engelen sieht das positiv: "Die Frauen haben mehr Ruhe und Zeit für sich und ihr Neugeborenes." Wenn die Geburt unkompliziert verläuft, können die Frauen bereits sechs Stunden später nach Hause gehen und zum Stoffwechsel- und Hörtest des Babys wiederkommen. Ein besonderer Service des Krankenhauses, der von vielen Familien genutzt wird.

Junge Frau schaut ihr neugeborenes Baby an (Foto: Ev. Schwangerenberatungsstelle Duisburg)

Auch nach der Geburt unterstützen die "Babylotsen". In der Pandemie nehmen mehr Frauen das Angebot wahr.

Belastete Frauen brauchen mehr Hilfe

Dort, wo mehr Unterstützung gewünscht und gebraucht wird, sind die "Babylotsen" für die Frauen und ihre Familien in der Schwangerschaft und nach der Geburt da. Oft reichen wenige Gespräche. Doch in der Pandemie klingelt das Telefon bei den Babylotsinnen häufiger. "Frauen, die schon vor der Pandemie psychisch belastet waren oder in prekären sozialen Verhältnissen leben, benötigen jetzt deutlich mehr Begleitung", beobachtet Martina Engelen. 

Die 2007 in Hamburg gegründeten "Babylotsen" müsste es ihrer Ansicht nach bundesweit an allen deutschen Kliniken mit Geburtshilfe und Neugeborenen-Intensivstation geben. Doch mit Ausnahme von Berlin sind sie wie in der Kaiserswerther Diakonie als Pilotprojekte auf Fördergelder und Spenden angewiesen. 

Gerade in schwierigen Zeiten wie der Pandemie brauche es niederschwellige und gut vernetzte Hilfen für Frauen und ihre Familien, meint auch Kirstin Dinse-Yildiz. "Schwanger und alleine gelassen auf zwei Matratzen – das sollte es in unserem Sozialstaat nicht geben", mahnt sie. Mit Geldern aus dem landeskirchlichen Härtefonds hat sie dem jungen Paar Möbel gekauft – und dafür gesorgt, dass die Behörden Geld zum Leben überwiesen.

Text: Sabine Damaschke.
Fotos: Shutterstock, Damaschke, Pixabay, privat, Andreas Boueke, Kaiserswerther Diakonie/Frank Elschner, Ev. Schwangerenberatungsstelle Duisburg/Moers.