27. Juni 2018

Studie zur Kinderarmut

"Kinder brauchen mehr als finanzielle Hilfen"

Wenn Mütter ihre Arbeit verlieren oder aufgeben, steigt das Armutsrisiko für Kinder. Das gilt auch für Familien, in denen nur der Vater berufstätig ist. Ein Gehalt reicht oft nicht mehr aus, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Doch das Problem lässt sich nicht allein mit finanziellen Hilfen lösen, erklärt die sozialpolitische Beauftragte der Diakonie RWL, Helga Siemens-Weibring, im epd-Gespräch.

Portrait

Helga Siemens-Weibring ist Familienexpertin und sozialpolitische Beauftragte der Diakonie RWL.

Nach der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung droht Kindern Armut, wenn die Mutter keine Arbeit hat. Was muss getan werden?

Die Studie zeigt, dass die Einkommen eines Alleinverdieners häufig nicht ausreichen, um eine Familie zu ernähren. Die Arbeitsmöglichkeiten für Mütter müssen noch deutlich verbessert werden.

Das bedeutet flexiblere Arbeitszeiten, ausreichend Kita-Plätze und bessere Möglichkeiten für Mütter, nach der Geburt eines Kindes wieder in den Job einsteigen zu können.

Was halten Sie von dem Vorschlag, Hilfen für Kinder in einem Teilhabegeld zu bündeln?

Kindergeld muss vernünftig aufgestockt werden und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets müssten einfacher zu bekommen sein. Auch müssen die Leistungen aus den unterschiedlichen Töpfen wirklich bei den Kindern und Familien ankommen. Wenn ein Teilhabegeld leistet, dass alles aus einer Hand kommt und nicht noch mehr bürokratische Systeme aufbaut werden, dann wäre es auf jeden Fall sinnvoll.

Die Evangelische Kirche im Rheinland hat in einem Beschluss eine Kindergrundsicherung gefordert. Wir brauchen eine Grundsicherung, damit nicht ständig unterschiedliche Anträge nötig werden. Die unterschiedlichen Systeme überfordern Familien. Die bisherigen Hilfen sind noch zu schwierig abzufordern. Da gibt es einfach zu viele bürokratische Hürden.

Was ist neben einer besseren finanziellen Unterstützung nötig, um Stigmatisierung und den Ausschluss von ärmeren Kindern zu verhindern?

Kinder brauchen nicht nur Unterstützung in finanzieller Hinsicht, sondern auch dafür, am öffentlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von der finanziellen Situation der Familie, sollten zum Beispiel freien Eintritt in Museen oder einmal im Monat einen freien Theaterbesuch erhalten. So würde auch eine Stigmatisierung vermieden. In Frankreich kommt beispielsweise jedes Kind umsonst in ein Museum. Damit eine Familie nicht für jede Aktivität einzeln Anträge stellen muss, sollten Museen, Theater und Sportvereine so gefördert werden, dass sie allen Kindern offenstehen.

Das Gespräch führte Holger Spierig (epd).

Ihr/e Ansprechpartner/in
Helga Siemens-Weibring
Geschäftsfeld Sozialpolitik u. Quartiersarbeit
Weitere Informationen

Nach der neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung ist das Armutsrisiko von Kindern maßgeblich davon bestimmt, ob ihre Mütter arbeiten. Demnach wachsen in Familien mit einem Elternteil beinahe alle Kinder (96 Prozent) in dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslagen auf, wenn die Mutter nicht arbeitet. Bei Elternpaaren sind in diesem Fall 32 Prozent der Kinder armutsgefährdet. Als arm gelten in der Studie Kinder, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens auskommen müssen oder staatliche Grundsicherungsleistungen wie Hartz IV beziehen. Grundlage für die Studie sind Daten von fast 3.200 Kindern, die über einen Zeitraum von fünf Jahren ausgewertet wurden.