8. März 2021

Fachtag zum Weltfrauentag

Frauen leben länger, aber wovon?

Sie verdienen durchschnittlich 19 Prozent weniger als Männer, leisten 80 Prozent der Care-Arbeit und bekommen im Alter eine Rente, die um 53 Prozent niedriger liegt als die von Männern. Zum Weltfrauentag macht die Diakonie RWL bei einem digitalen Fachtag auf die prekäre Situation von Frauen aufmerksam. Trotz besserer Jobchancen ist das Armutsrisiko hoch und in der Pandemie noch gestiegen.

  • Frau mit Maske und leerem Portemonnaie (Foto: Shutterstock)

Dass Frauen die Hauptlast der Pandemie tragen und finanziell die Verliererinnen der Corona-Krise sind, ist statistisch noch nicht eindeutig belegt. Doch viele Beratungsstellen und Hilfsangebote der Diakonie haben keinen Zweifel daran. Sie sind täglich mit den Existenznöten, Ängsten und Gewalterfahrungen von Frauen konfrontiert. "In unsere Schuldnerberatung kommen immer mehr Frauen, die in Kurzarbeit sind oder als Soloselbstständige ihr Einkommen verloren haben und nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen", sagt Schuldnerberaterin Maike Cohrs.

Allein in der diakonischen Schuldnerberatung in Brühl hat sie seit Anfang 2021 gemeinsam mit ihren zwei Kolleginnen schon 218 überschuldete Menschen beraten – im vergangenen Jahr waren es insgesamt 312. In den Bahnhofsmissionen suchen deutlich mehr Frauen als sonst Gespräche und Unterstützung, beobachtet Karen Sommer-Loeffen, die bei der Diakonie RWL für 24 Bahnhofsmissionen zuständig ist. In den diakonischen Frauenhäusern bitten mehr Frauen um Aufnahme, ebenso in den Angeboten für wohnungslose Frauen.

Heike Moerland von der Diakonie RWL (Foto: Ann-Kristin Herbst/Diakonie RWL)

Diakonie RWL-Armutsexpertin Heike Moerland will eine öffentliche Refinanzierung der Allgemeinen Sozialberatung.

Krisen verstärken Ungleichheiten

"Krisen verstärken soziale Ungleichheiten, und Frauen werden auch 2021 noch benachteiligt", sagt Heike Moerland, Leiterin des Geschäftsfeldes Berufliche und soziale Integration der Diakonie RWL, die zum digitalen Fachtag über Frauenarmut eingeladen hat.

"Frauen arbeiten dreimal häufiger als Männer in Teilzeit. Während ihres Lebens sind sie fast doppelt so lang ohne bezahlte Arbeit und ihre Rentenansprüche fallen entsprechend gering aus. Sie haben ein höheres Armutsrisiko."

Im aktuellen zweiten Lockdown hat sich die Beschäftigungsentwicklung der Frauen laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung weiter verschlechtert. Danach reduzierten 24 Prozent der Mütter ihre Arbeitszeit, um Job, Homeschooling und Haushalt unter einen Hut zu bekommen. In Branchen mit besonders vielen weiblichen Angestellten wie Einzelhandel und Gastronomie fielen Jobs weg oder Kurzarbeit war angesagt. Wegen der Bemessung am Nettoeinkommen lag die staatliche Unterstützung deutlich niedriger als bei Männern.

Birgit Reiche leitet die Evangelische Frauenhilfe Westfalen (Foto: Ev. Frauenhilfe Westfalen)

Soziale Arbeit  muss vernünftig honoriert werden – auch in den unteren Gehaltsgruppen, fordert Birgit Reiche von der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen.

Care-Arbeit besser absichern

"80 Prozent der Fürsorgearbeit wird in unserem Land von Frauen geleistet. Gleichzeitig mangelt es an Wertschätzung für die Care-Arbeit", kritisiert Birgit Reiche, Pfarrerin und Einrichtungsleiterin bei der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen. "Wenn wir Frauenarmut verhindern wollen, muss soziale Arbeit vernünftig honoriert werden – auch in den unteren Gehaltsgruppen." Doch das wird von den Kostenträgern nicht refinanziert, weiß die Theologin. Sie arbeitet bei einem Mitgliedsverband mit 45.000 Frauen, der auch Träger von Einrichtungen in der Altenpflegeausbildung, Alten- und Behindertenhilfe sowie Anti-Gewalt-Arbeit ist.

In die Beratung von Opfern von Menschenhandel und Prostituierten habe ihr Verband in den letzten zwei Jahrzehnten mindestens eine Million Euro an Eigenmitteln, Spenden, Kollekten und kirchliche Zuschüsse gesteckt, erzählt sie. Ihr Fazit: "Man muss viel Geld mitbringen, wenn man Frauen helfen will. Das muss sich ändern!"

Münzen, Taschenrechner und Kartoffel (Foto: pixabay)

Nicht nur wenn es um den eigenen Haushalt geht, sollte Geld für Frauen ein wichtiges Thema sein.

Mehr über Geld reden – privat und politisch

Überhaupt meint Birgit Reiche, dass Frauen mehr über Geld reden sollten – nicht nur, wenn es um soziales Engagement geht, sondern auch um Partnerschaften, Verdienstmöglichkeiten, Kinderbetreuung, Steuern, Rente. Sie appelliert an die Eigenverantwortung von Frauen, sich nicht mehr auf ein "Versorgermodell" durch einen Partner zu verlassen, mehr zu vernetzen und für politische und gesellschaftliche Reformen zu kämpfen. Etwa für ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine bessere und anders finanzierte staatliche Rente.

Die Absenkung des Rentenniveaus in den letzten Jahrzehnten und die Forderung, privat vorzusorgen, habe die soziale Spaltung im Alter vorangetrieben, meint auch Heike Moerland. "Wir brauchen dringend eine Rentenreform, die Frauen besser stellt, gerade im Hinblick auf die große Gruppe der Babyboomer, die jetzt älter als 50 Jahre sind und von denen viele in Teilzeit gearbeitet haben."

Angelika Zwering auf dem Balkon ihrer Wohnung (Foto Freie Wohlfahrtspflege NRW)

Angelika Zwering  ist selbst von Armut betroffen. Gerade deshalb setzt sie sich für die Gleichstellung von Frauen ein. (Foto: Freie Wohlfahrtspflege NRW)

Weiterkämpfen für Gleichstellung

Angelika Zwering kann aus eigener Erfahrung berichten, was es heißt, im Alter arm zu sein. Fast 70 Jahre ist sie alt, hat zehn Jahre als Personalsachbearbeiterin Geld verdient und dann zwei Kinder groß gezogen. Seit ihr Ehemann tot ist, bleiben ihr 300 Euro im Monat zum Leben. Heute engagiert sich für von Armut betroffene Frauen und hält Vorträge auf Fachtagen wie der Veranstaltung der Diakonie RWL.

"Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als Frauen ohne die Erlaubnis ihrer Männer nicht arbeiten durften und schief angesehen wurden, wenn sie auf der Straße rauchten. Da hat sich einiges geändert", meint sie, "aber vieles ist noch wert, geändert zu werden. Wir dürfen nicht aufgeben und sollten unbedingt weiterkämpfen, damit sich das Leben der Frauen weiter verbessert."

Text: Sabine Damaschke