Aktionswoche gegen Gewalt an Frauen
Eine Frau läuft nachts durch den Park. Sie ist allein, es ist dunkel und verlassen. Plötzlich taucht ein fremder Mann vor ihr auf und überfällt sie. Dieses Bild haben viele Menschen vor Augen, wenn sie von Gewalt und sexualisierter Gewalt gegen Frauen hören. Dabei ist eben nicht der nächtliche Park oder die dunkle Seitenstraße der gefährlichste Ort für eine Frau – sondern ihr Zuhause.
Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, jeden dritten Tag gelingt es einem. Die Zahlen des Bundeskriminalamtes bleiben seit Jahren hoch. Während der Corona-Pandemie hat häusliche Gewalt sogar noch zugenommen. Die Auswirkungen der Pandemie spüren Beratende noch immer.
Pandemie erschwert Hilfe
"Die große Welle kam erst nach den Lockdowns", sagt Ulrike Martin, Diakonie-Referentin im Geschäftsfeld Familie und junge Menschen, zu deren Arbeitsbereich auch der Gewaltschutz für Frauen und deren Kinder gehört. Während der Lockdowns 2020 und 2021 sei es für viele betroffene Frauen schwierig gewesen, sich Hilfe zu suchen. Gewalttätige Partner seien rund um die Uhr mit zu Hause gewesen. Hinzu kam die Angst vor Ansteckung bei der Beratungsstelle oder im Frauenhaus. Deshalb wurde erst mit Verspätung deutlich, unter welchen Umständen manche Frauen die Zeit des Rückzugs erleben mussten.
Doch obwohl die Zahl der Betroffenen nicht zurückgeht, bleibt das Angebot in vielen Regionen hinter dem Bedarf zurück. So war es auch im Kreis Soest, bis dort im Dezember 2020 eine neue Frauenberatungsstelle die Arbeit aufgenommen hat. Pfarrerin Birgit Reiche ist Geschäftsführerin der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen, zu der Beratungsstellen zu Menschenhandel, Prostitution und Ausstieg aus dieser, genau wie ein Frauenhaus und die neue, allgemeine Beratungsstelle gehören. Sie sagt, dass es dort von Anfang an eine große Zahl von Anfragen gab. Anfangs waren dafür nur anderthalb Stellen vorgesehen, mittlerweile sind es drei volle.
Die Gewalt breitet sich auch im Internet aus. Viele Männer kontrollieren das Handy ihrer Partnerin und installieren Apps, um ihre Bewegungen zu kontrollieren.
75 Prozent der Ratsuchenden erfahren Gewalt
2021 besuchten 183 Frauen aus Soest, Lippstadt, Werl, Warstein und der Umgebung die neue Beratungsstelle auf. Ihre Gründe waren sehr unterschiedlich, etwa psychische Probleme, Stalking, Belästigung oder Mobbing, belastende und scheinbar aussichtslose Lebenssituationen – und natürlich das Thema Gewalt. Sie wurden zu Gerichtsverhandlungen, zu Vernehmungen bei der Polizei oder zu Terminen bei Ärzt*innen oder Anwält*innen begleitet. Mehr als 75 Prozent von ihnen waren von Gewalt betroffen – körperlich, psychisch, sexuell oder digital.
Gerade die digitale Gewalt habe in den vergangenen Jahren zugenommen, sagt Ulrike Martin. Zum einen komme es häufig vor, dass Frauen im Netz aufgrund ihres Geschlechts beleidigt oder angegriffen werden – immer wieder auch sexuell aufgeladen. Zum anderen sei das Digitale auch im Zusammenhang mit partnerschaftlicher Gewalt immer öfter Thema, etwa wenn sich die Täterstrategien durch den Einsatz von digitalen Tools verändern. "Eine der ersten Fragen, die die Beraterinnen Frauen stellen, ist die, ob ihr Ex-Partner digitale Fähigkeiten hat", sagt die Diakonie-Referentin. Immer wieder installieren diese Tracking-Apps, um so jeden Schritt der Ex-Partnerin verfolgen zu können.
Online-Beratung soll Hürden abbauen
Die Anliegen, mit denen Frauen in die Beratungsstelle in Soest kommen, unterscheiden sich kaum von denen in größeren Städten. Der ländlichere Raum bringt aber dennoch eine zusätzliche Herausforderung: Angebote brauchen eine andere Zugänglichkeit. "Hier im Kreis gibt es Orte, aus denen nur zweimal am Tag ein Bus nach Soest fährt", sagt Birgit Reiche. Nicht jede Frau könne sich einen Fahrschein leisten. Deshalb bieten die Mitarbeiterinnen auch in anderen Kommunen im Kreis regelmäßige Sprechstunden an. Dabei hilft eine gute Vernetzung mit den dortigen Gleichstellungsbeauftragten. Zudem haben sich zwei der Beraterinnen in der Online-Beratung weitergebildet. Die Diakonie stellt dafür ein eigenes, datensicheres Online-Portal.
Obwohl die Beratungsstelle in Soest schon im Dezember 2020 die Arbeit aufgenommen hat, konnte bisher noch keine offizielle Eröffnung gefeiert werden. In dieser Woche – am Donnerstag, 24. November – ist es nun aber endlich so weit. Der Termin ist nicht zufällig gewählt. In dieser Woche findet rund um den von der UNO ausgerufenen Internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen die entsprechende Aktionswoche statt.
Angebote für Kinder gehören für Diakonie RWL-Expertin Ulrike Martin in jedem Frauenhaus unbedingt dazu.
Gesellschaft zum Handeln aufgefordert
Die sei wichtig, besonders um das Thema ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. "Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein gesellschaftliches Problem", sagt Ulrike Martin, die hofft, dass die vielen Aktionen, die Städte und Kommunen in ganz Deutschland in dieser Woche durchführen, dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen davon mitbekommen – und keine*r um das Thema herumkommt. "Wir müssen immer wieder dafür sensibilisieren. Das Thema Gewalt gegen Frauen ist eines, bei dem wir als Gesellschaft hingucken müssen", sagt Birgit Reiche.
Auch, weil Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen nach wie vor immer wieder Problemen bei der Finanzierung gegenüberstehen. Selbst in der Zeit rund um die Corona-Lockdowns, als klar war, dass viele Plätze in Frauenhäusern gebraucht werden. Frauen, die einen Platz im Frauenhaus brauchen, müssen zum Teil viele Einrichtungen abtelefonieren, bis sie Schutz finden. Auch die Beratungsstelle in Soest, die mit drei Stellen für einen Kreis dieser Größe – mit immerhin mehr als 300.000 Einwohner*innen – zuständig ist, sei eigentlich zu klein, sind sich die Expertinnen einig. Dabei seien Bund, Länder und Kommunen angehalten, das Hilfesystem für Frauen auszubauen – denn dazu haben sie sich mit Ratifizierung der Istanbul-Konvention verpflichtet.
Text: Carolin Scholz, Fotos: Pixabay, Diakonie RWL
Eine Auswahl an Veranstaltungen rund um die Aktionswoche gegen Gewalt an Frauen:
Datum | Ort | Uhrzeit | Veranstalter | Thema | Zugang |
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21.11.2011 |
Kulturbahnhof Werl |
19 - 21 Uhr |
Barbara Batzik, Allg. Frauenberatungsstelle im Kreis Soest Maike Schöne, Frauenhaus Soest In Kooperation mit Beate Meyer, Gleichstellungsstelle der Stadt Werl sowie dem Werler Club Soroptimist International (SI) |
Psychische Gewalt |
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich |
23.11.2022 |
Barocksaal im Schloss Herten der LWL-Klinik Herten; ggfs. auch online |
17:15 bis 19:00 Uhr |
Diakonie Herten |
Vom Trauma durch Gewalt zu chronischen Schmerzen |
Eintritt frei. Anmeldung erbeten unter 02366 106735/68 oder bff@diakonie-kreis-re.de |
24.11.2022 |
Rheiner Wochenmarkt (Höhe Hotel Freye) |
ab 09.30 Uhr |
Runde Tisch gegen Gewalt |
Infostand zum Thema Häusliche Gewalt |
|
25.11.2022 |
VHS-Haus, Kaminraum, Resser Weg 1, 45699 Herten |
18:00 bis 20:15 Uhr |
Karin Hester, Frauenhaus Herten |
Kampf gegen Gewalt an Frauen und Kindern: Gestern, heute und wie lange noch? |
Anmeldung unter 02366 106768 oder k.hester@diakonie-kreis-re.de |
25.11.2022 |
Online-Vortrag |
15 - 17 Uhr |
Lena Sauerland, Allg. Frauenberatungsstelle im Kreis Soest Maike Schöne, Frauenhaus Soest |
Psychische Gewalt |
Anmeldung digital bis zum 14. November 2022 über folgenden Link |
26.11.2022 |
Haus des Gastes Bad Waldliesborn Waldliesborn |
15:30 - 17:30 Uhr |
Sawina Kordistos, Allg. Frauenberatungsstelle im Kreis Soest In Kooperation mit dem Soroptimist International (SI) Club Bad |
Psychische Gewalt |
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich |
Beratungsstellen online finden
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