Hilfe für gestresste Familien
Marie nässt in der Kita ein, Kevin schwänzt die Schule und Max ist seit der Trennung der Eltern ständig aggressiv. Das sind nur drei Beispiele von vielen, die Familien in die Beratungsstellen von Diakonie und Kirche führen. „Der Großteil kommt mit Erziehungsproblemen zu uns“, erzählt Edwin Jabs, Leiter der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung in Düsseldorf. „Doch oft stellen wir dann fest, dass es eine Vielzahl von Schwierigkeiten in den Familien gibt, bei deren Bewältigung wir beraten und helfen.“ Dazu gehören Konflikte mit dem Partner, Probleme am Arbeitsplatz, Sucht, Überschuldung oder auch Traumata.
Beratung aus einer Hand
Schon seit Gründung der ersten Beratungsstellen in Wuppertal und Köln 1949 legen die Beratungsstellen laut Jabs Wert auf eine integrierte Beratung. Kurz nach dem Krieg waren es vor allem die Kirchengemeinden, die den Bedarf an professioneller Beratung erkannten. Zum ersten Mal seien damals viele Ehen an der Herausforderung zerbrochen, die aus dem Krieg heimgekehrten, traumatisierten Väter wieder ins Familienleben zu integrieren, erzählt der Theologe und Therapeut.
Schnell entstand an flächendeckendes Netz an Beratungsstellen, in denen vor allem Mediziner und Pfarrfrauen arbeiteten. Heute sind es überwiegend Psychologinnen und Psychologen, aber auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit therapeutischer Zusatzausbildung. An die Stellen, in denen die Beratung für Ratsuchende immer kostenfrei ist, sind die Schwangerschaftskonfliktberatungstellen angegliedert. Mit ihnen arbeite man eng zusammen, so Jabs. Entscheide sich eine betroffene Frau für ihr Kind, könne sie später in Fragen der Erziehung ebenfalls in den evangelischen Beratungsstellen Hilfe suchen. „Es besteht ja bereits ein Vertrauensverhältnis, so dass es den Ratsuchenden leichter fällt, noch einmal zu uns zu kommen.“
Hoher Beratungsbedarf bei Zuwanderern
82 Erziehungs-, Ehe- und Familienberatungsstellen bieten Diakonie und Kirche in Rheinland, Westfalen und Lippe insgesamt für Familien in NRW an. Im vergangenen Jahr wurden sie von rund 34.000 Familien, Paaren und Einzelnen aufgesucht. Zusätzlich haben fast 40.000 Menschen an Veranstaltungen der Beratungsstellen, etwa an Elternabenden oder Elternkursen teilgenommen. Der Beratungsbedarf ist also konstant hoch, was Jan Wingert, Leiter der Hauptstelle in Münster, nicht wundert. „Familien stehen vor großen Herausforderungen“, sagt er. Die Formen des Zusammenlebens seien vielfältiger und erforderten mehr Absprachen. Die Arbeitgeber verlangten heute mehr Mobilität und Flexibilität, gleichzeitig gebe es immer weniger sichere Arbeitsplätze. Hinzu komme viel Unsicherheit in Erziehungsfragen.
Doch genau in diesem Bereich holen sich Familien zunehmend Unterstützung. Die niederschwellige Beratung in den Familienzentren der Kitas in NRW und die bessere Vernetzung mit den Schulen hat laut Jabs dazu beigetragen, dass Beratung selbstbewusster in Anspruch genommen wird und längst kein Tabu mehr ist. Dies gilt nicht nur für Familien in Trennungssituationen und Alleinerziehende, die rund 40 Prozent der Klienten ausmachen, sondern auch für Familien mit Migrationshintergrund. „Viele kommen bewusst in unsere Beratungsstellen, weil sie sich hier mit ihrer Religion und ihren Wertvorstellungen gut aufgehoben fühlen.“
Kein Sparkurs auf dem Rücken der Familien
Personell haben sich die Beratungsstellen auf die Gruppe der Einwandererfamilien noch nicht eingestellt. Unter den Beratern gibt es noch wenige Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Die Leiter der Hauptstellen in Düsseldorf und Münster bedauern dies. Sie wünschen sich nicht nur multiprofessionelle, sondern auch multikulturelle Teams.
Vor allem aber hoffen sie darauf, dass die Beratungsstellen personell nicht ausgedünnt werden. Denn für die Finanzierung sind Land, Kommunen und Kirchen zuständig – und alle wollen und müssen sparen. Daher gebe es derzeit die Tendenz, Beratungsstellen personell zu verkleinern, kritisiert Jabs. „Um gute und vor allem schnelle Beratung ohne lange Wartelisten leisten zu können, brauchen wir genügend professionelle Mitarbeiter“, betont der Therapeut. „Die Unterstützung von Familien ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, aus der sich Politik und Kirche nicht schrittweise zurückziehen darf.“
Jan Wingert