Armut
Gleich beim Hereinkommen wird es weihnachtlich. Ein geschmückter Baum steht bereit, drumherum Christbaumkugeln, Fondue-Topf und Leuchtbogen aus Holz. An der Kasse kauft eine Kundin zwei Lichterketten. "Einmal die volle Erleuchtung?", scherzt der Mitarbeiter, während er beide Sachen abrechnet.
Auch im Fairhaus an der Fichtenstraße im Düsseldorfer Stadtteil Flingern ist man auf die aktuelle Saison eingestellt. "Wir sind ja wie ein normales Kaufhaus", sagt Stephan Ambaum, Teamleitung und Koordination Fachbereich Fairhaus bei "renatec", einer Tochtergesellschaft der Diakonie Düsseldorf.
Im Gebrauchtwarenhaus in Velbert sieht es aus wie in einem "normalen" Kaufhaus.
Offen für alle
Denn auch im Fairhaus darf prinzipiell einkaufen, wer möchte. Das Konzept der Sozialkaufhäuser funktioniert auf drei Ebenen. Die offensichtlichste: Menschen können hier günstig Dinge kaufen – von Möbeln und Haushaltsgegenständen über Kleidung bis hin zu Spielzeug. Menschen, die bedürftig sind – etwa weil sie nur eine kleine Rente haben, alleinerziehend sind oder Leistungen empfangen – können noch etwas günstiger einkaufen als andere. Sie bekommen eine Kundenkarte, über die ihnen ein zusätzlicher Rabatt gewährt wird.
Die zweite Ebene ist die der Nachhaltigkeit. Weil in den Häusern gespendete Second Hand-, Muster- oder B-Ware verkauft wird, wird Müll vermieden und Dinge werden länger genutzt. Die dritte Ebene ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Die Menschen, die dort arbeiten, sind oder waren zum Teil langzeitarbeitslos und bekommen im Sozialkaufhaus eine Chance, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Im gesamten Fairhaus-Bereich gibt es außerdem eine Inklusionsabteilung, also auch Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap.
Obwohl das Geschäft in den Sozialkaufhäusern im Grunde gut läuft, hatten auch sie keine leichte Zeit in den vergangenen Jahren. Während der Corona-Lockdowns mussten sie lange geschlossen bleiben, sodass die Einnahmen zur Finanzierung der fixen Kosten wie Miete und Strom fehlten. Seit dem Krieg in der Ukraine und der daraus folgenden Energiekrise hat sich auch die Kundschaft in den Sozialkaufhäusern verändert und ist gewachsen. Zum einen kommen mehr Geflüchtete aus der Ukraine, besonders, seit sie in eigene Wohnungen ziehen und diese ausstatten müssen. Zum anderen: "Wir haben schon den Eindruck, dass mittlerweile auch die Mittelschicht mehr in Erscheinung tritt", sagt Lisa Lilienthal vom Verein Bepro Velbert, der das dortige Gebrauchtwarenhaus betreibt.
"Wir sind wie ein normales Kaufhaus", sagt Stephan Ambaum, Teamleitung und Koordination Fachbereich Fairhaus bei "renatec", einer Tochtergesellschaft der Diakonie Düsseldorf.
Bewusst konsumieren
Zwar habe es schon in den vergangenen paar Jahren immer wieder Menschen gegeben, die dort nicht wegen eines kleinen Einkommens eingekauft haben, sondern um bewusster zu konsumieren und nachhaltiger zu leben. Jetzt fürchten aber immer mehr Menschen auch die hohen Energie- und Heizkostenabrechnungen und versuchen bereits jetzt, weniger Geld auszugeben, so Lilienthal weiter.
Diesen Eindruck hat auch Stephan Ambaum. Noch immer seien es viele Kunden mit Faircard, also mit Anspruch auf Extra-Rabatt, immer mehr jedoch auch ohne – also immer mehr Kunden, die auf dem Papier nicht als bedürftig gelten.
Lisa Lilienthal sagt, auch an den Spenden mache sich in Velbert die aktuelle Situation bemerkbar. "Viele zögern vor größeren Investitionen – behalten zum Beispiel das Sofa etwas länger, bevor sie ein neues kaufen." Vor allem bei Haushaltswaren und Möbeln seien die Spenden deshalb zurückgegangen. Trotzdem werde nach wie vor reichlich gespendet – besonders Kleidung. Die sei bei den Kundinnen und Kunden immer beliebt. Vor allem jetzt im Winter, denn ein paar warme Stiefel oder eine dicke Jacke sind im Gebrauchtwarenhaus günstig zu haben.
Das Konzept der Sozialkaufhäuser: Menschen können hier günstig Dinge kaufen – von Möbeln und Haushaltsgegenständen über Kleidung bis hin zu Spielzeug.
Steigende Nachfrage
Von innen sehen die Häuser nicht anders aus als andere Geschäfte – außer vielleicht, dass es so viele verschiedene Produkte unter einem Dach gibt. Die Verkaufsräume sind einladend und klar nach Produktgruppen sortiert. "Den Mitarbeitenden und der Filialleitung macht es Spaß, alles schön herzurichten", sagt Stephan Ambaum. Auch das könne helfen, sich später auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bewerben. Durch ein modernes Kassensystem und den neuen Online-Shop lernen die Mitarbeitenden Fähigkeiten, die ihnen bei einer Bewerbung bei anderen Firmen zugutekommen können.
Ina Heythausen, Referentin im Geschäftsbereich Berufliche und soziale Integration der Diakonie RWL, hofft, dass diese wichtige Infrastruktur auch in Zukunft aufrechterhalten werden kann. Im kommenden Jahr erhalten die Jobcenter – trotz der Inflationsrate von derzeit rund zehn Prozent – weniger Finanzmittel. Viele Jobcenter haben daher bereits angekündigt, dass sie die öffentlich geförderte Beschäftigung reduzieren werden. Dann fehlen in den Sozialkaufhäusern Mitarbeitende, die Spenden annehmen, sortieren, einräumen und verkaufen können. "Gerade jetzt brauchen die Sozialkaufhäuser aber genügend Mitarbeitende, um auf die steigende Nachfrage reagieren zu können", sagt die Expertin. Es sei durchaus zu erwarten, dass durch die steigenden Kosten mehr Menschen in Armut rutschten und daher froh seien, wenn sie die Angebote der Sozialkaufhäuser nutzen können.
In der Adventszeit haben viele Kunden im Sozialkaufhaus Weihnachtsgeschenke und festliche Dekorationsartikel gekauft.
Festliche Stimmung
Dass jetzt bald Weihnachten ist, sieht man in den sozialen Kaufhäusern nicht nur an der Dekoration. In Velbert etwa gibt es seit einigen Wochen ein Adventsprogramm – mit Lesungen, Bastelnachmittagen oder gemeinsamem Weihnachtsliedersingen. Auch einen Tisch mit besonders gut erhaltenen Produkten haben die Mitarbeitenden aufgebaut. "Wir haben mitbekommen, dass viele dieses Jahr an den Weihnachtsgeschenken sparen", sagt Lisa Lilienthal. Hier im Gebrauchtwarenhaus sollen sie trotzdem etwas finden, das Kinderaugen leuchten lässt.
Text: Carolin Scholz, Fotos: Carolin Scholz, Ravi Sejk