15. September 2016

Neuer Wegweiser für Ehrenamtsarbeit

Hilfe für ausgebrannte Helfer

Rund 31 Millionen Bürger setzen sich in Deutschland für Menschen ein, die Hilfe benötigen. Doch nicht immer tut diese Hilfe gut. Welche Strategien es gegen das Ausbrennen im Ehrenamt gibt, das zeigt eine neue Broschüre der Diakonie RWL, Rheinland-Pfalz und Hessen. Sie erscheint in der Woche des bürgerschaftlichen Engagements, die am 16. September beginnt.

Portrait

Karen Sommer-Loeffen

Frau Sommer-Loeffen, Sie betreuen schon seit vielen Jahren die Ehrenamtsarbeit bei der Diakonie RWL und haben an der neuen Broschüre mitgeschrieben. Kommt es oft vor, dass - entsprechend dem Titel Ihres Wegweisers – Helfen nicht mehr gut tut?

Über ausgebrannte Ehrenamtliche und Konflikte rund um das freiwillige Engagement wird nicht gerne geredet. Aber natürlich gibt es das Problem schon lange, und es beschäftigt viele unserer Einrichtungen. Dort, wo Aufgabenfelder nicht klar benannt werden, Strukturen fehlen und das Hilfeverständnis nicht reflektiert wird, kann es leicht zur Überforderung von Ehrenamtlichen, aber auch Hauptamtlichen kommen, die mit den Freiwilligen zusammenarbeiten. Ehrenamt ist auch nicht gleich Ehrenamt. Die Betreuung von Flüchtlingen etwa ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Da brauchen Ehrenamtliche eine gute Begleitung, damit es nicht zu einer Überforderung kommt. Insofern richtet sich unsere Broschüre natürlich auch an diese große Gruppe der freiwilligen Helfer, von denen viele zum ersten Mal für Kirche und Diakonie arbeiten. Die Flüchtlingshilfe steht übrigens auch im Fokus der diesjährigen Woche für das bürgerschaftliche Engagement.

Woran merken Helfende und Hauptamtliche denn, dass das Helfen nicht mehr gut tut?

Anzeichen einer Überforderung bei Ehrenamtlichen können Aggressivität, Lustlosigkeit, Ungeduld, häufiges Zuspätkommen oder auch Unzuverlässigkeit sein. Es gibt aber auch das Phänomen des "Überengagements". Wenn das Ehrenamt zum alleinigen Lebensinhalt wird, dann ist ein soziales, körperliches und emotionales Burnout zu befürchten. Kritisch wird es vor allem, wenn sich die Nutzer, also die Menschen, die Unterstützung erhalten, beschweren. Das kommt nicht nur vor, wenn Helfer unzuverlässig sind, sondern auch, wenn sie übergriffig und bevormundend auftreten, also keine andere Meinung als ihre eigene akzeptieren oder Hilfe aufdrängen und permanente Dankbarkeit erwarten. Hinter diesem Verhalten der Helfer stecken häufig persönliche Probleme. Manchmal ist es die veränderte Lebenssituation etwa durch Tod und Trauer oder Krankheit. Manchmal liegt es auch daran, dass Ehrenamtliche mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Haltung einfach nicht in bestimmte Arbeitsfelder passen.

Wie können die hauptamtlich Mitarbeitenden in den Organisationen darauf reagieren?

Sie sollten in jedem Fall das Gespräch suchen. Dafür haben wir in der Broschüre einen Leitfaden entwickelt, denn mit diesen Gesprächen tun sich viele Mitarbeitende schwer. Es gibt auch eine Checkliste, mit der die freiwilligen Helfer selbst feststellen können, ob sie am richtigen Platz arbeiten und ihre Ressourcen für das Ehrenamt überprüfen können. Diese Selbstreflexion ist sehr wichtig. Darin sollten Einrichtungen ihre freiwilligen Helfer meines Erachtens stärker unterstützen, indem sie ihnen regelmäßig Mitarbeitergespräche, aber auch Fortbildungen anbieten.

In der Broschüre plädieren Sie dafür, dass Grenzen geachtet werden – und zwar von allen Beteiligten: den freiwilligen Helfern, den Nutzern und den hauptamtlich Mitarbeitenden der Einrichtungen. Ist das nicht selbstverständlich?

Leider nicht. Es fällt sowohl den Ehrenamtlichen als auch den Einrichtungen oft unglaublich schwer, "Nein" zu sagen. Wenn wir zu diesem Thema eine Veranstaltung anbieten, ist das Haus immer voll. Ich beobachte, dass sich insbesondere Kirchengemeinden damit schwer tun, sich von freiwilligen Helfern zu verabschieden, die ihre Aufgaben nicht im Sinne der Gemeinde erfüllen. Stattdessen werden sie von einem Arbeitsfeld ins nächste weitergereicht. Aber es gibt auch viele Ehrenamtliche, die sich nicht trauen, "Nein" zu sagen, wenn ihnen immer mehr Aufgaben übertragen werden.

Was sind denn Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit, in der auch ein "Nein" akzeptiert wird?

Helfen sollte allen Beteiligten gut tun und deshalb ist ein Rahmen für die Zusammenarbeit so wichtig. Es muss klar sein, wo und in welchem Umfang Ehrenamtliche eingesetzt werden. Sie stehen zwar nicht in einem Arbeits-, aber in einem Auftragsverhältnis zu der Einrichtung, für die sie tätig werden. Insofern sollten sie die Ziele der Organisation mittragen und sich an bestehende Standards halten.

Die Hauptamtlichen sind für den Ehrenamtlichen verantwortlich. Zu ihren Aufgaben gehört es, Antworten zu geben, aber die freiwilligen Helfer auch so zu unterstützen, dass sie ihre Tätigkeit gut ausüben können, ohne sich überfordert zu fühlen. Regelmäßige Gespräche, Fortbildungen und Supervisionen gehören je nach Arbeitsfeld dazu. Außerdem haben Ehrenamtliche ein Recht auf Versicherungsschutz. Auch Fragen wie die Erstattung von Fahrkosten oder Aufwandsentschädigungen sollten im Vorfeld geklärt werden.

Warum engagieren sich heute so viele Menschen freiwillig?

Die meisten sagen, dass sie etwas Gutes tun und ihrem Leben einen Sinn geben möchten. Viele wollen die Gesellschaft mit ihrem Engagement sozialer und „menschlicher“ machen. Aber sie erwarten auch etwas für ihren Einsatz, denn er ist nicht – wie es früher häufig der Fall war – selbstverständlich oder "familiär vererbt". Sie möchten mit ihren Fähigkeiten anerkannt und auf Augenhöhe behandelt werden. Sie wollen sich durch die Tätigkeit entweder beruflich oder auch persönlich weiterentwickeln. Das sind klare und hohe Erwartungen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dem Ehrenamt einen Rahmen zu geben und es zu gestalten. Sonst kommt man recht schnell an den Punkt, wo Helfen nicht mehr gut tut.

Die "Woche des bürgerschaftlichen Engagements" findet bundesweit vom 16. bis 23. September statt. Sie wurde erstmals 2004 vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und mit Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführt. Die Diakonie beteiligt sich mit verschiedenen regionalen Aktionen. 

Die Broschüre "Wenn Helfen nicht mehr gut tut…" kann bei Karen Sommer-Loeffen bestellt werden: k.sommer-loeffen@diakonie-rwl.de

Wir danken dem Land Rheinland-Pfalz. Die Broschüre wurde gefördert durch die Landesmittel zur Förderung des freiwilligen ehrenamtlichen Engagements in der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland- Pfalz.