Bahnhofsmissionen in der Pandemie
Wenn Barbara Kempnich in diesen Tagen den Raum der Bahnhofsmission am Düsseldorfer Hauptbahnhof betritt, vermisst sie den "typisch warmen, muffeligen Geruch" und das Stimmengewirr. "Im November und Dezember hatten wir in den letzten Jahren rund 140 Gäste am Tag", erzählt sie. "Für viele war unsere Bahnhofsmission ein warmer, sicherer Schutzort, in dem sie auftanken konnten." Ein Schutzort vor Kälte und Einsamkeit, vor Erinnerungen an eine glücklichere Vorweihnachtszeit, an ein Zuhause, das es einmal gab.
"Diese Monate sind für wohnungslose Menschen oft die schlimmste Zeit des Jahres", betont die Leiterin der Düsseldorfer Bahnhofsmission. "‚ Und jetzt wird uns allen auch noch ständig gesagt, dass wir besser zuhause bleiben sollen, um uns und andere vor dem Corona-Virus zu schützen. Aber diese Menschen haben kein Zuhause, keinen Rückzugsort‘", zitiert Kempnich die Aussage eines Wohnungslosen.
Beratung hinter Plexiglas – in der Pandemie haben viele Menschen ihren Hilfsjob verloren. Sie bitten um Unterstützung bei der Beantragung von staatlichen Geldern. (Foto: Diakonie Düsseldorf)
Anklopfen statt Eintreten
Sich in die Räume der Bahnhofsmission zurückzuziehen, um sich dort aufzuwärmen an heißen Getränken und Worten, ist in diesen Tagen nur bedingt möglich. Die Räume sind wie bei den meisten der 24 Bahnhofsmissionen im Bereich der Diakonie RWL klein und schlecht zu belüften. Einzelgespräche könnten hinter Plexiglas stattfinden, erzählt Barbara Kempnich. Das lasse das Hygienekonzept zu.
"Ansonsten klopfen die Menschen und wir gehen mit ihnen im Bahnhof spazieren." Mindestens 50 Frauen und Männer suchen die Bahnhofsmission täglich auf. Fünf bis acht längere Gespräche und Beratungen finden derzeit in den kleinen Räumen statt. Es kommen mehr Menschen als sonst, die um Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen bitten – für das Jobcenter, für Bildungsgutscheine, Wohngeld oder Ratenzahlungen. "Wir begegnen vielen, die sich bislang mit kleinen Hilfsjobs über Wasser gehalten haben, aber in der Pandemie keine Arbeit mehr finden", erzählt die Leiterin der Bahnhofsmission.
Barbara Kempnich, Leiterin der Bahnhofsmission Düsseldorf, bietet jetzt auch eine Telefon-Hotline an. (Foto: Sabine Damaschke)
Warme Worte in kalter Jahreszeit
Reisehilfen gibt es deutlich weniger. Dafür haben die "intensiven Einzelbesprechungen" zugenommen. Viele wohnungslose, alte und einsame Menschen suchen das Gespräch mit den insgesamt 22 Mitarbeitenden der Bahnhofsmission Düsseldorf. Manche von ihnen nutzen dafür auch die neue Telefon-Hotline "Kontakt: Nähe trotz Distanz".
Der Leidensdruck sei hoch, berichtet Barbara Kempnich. "Alltagsroutinen, die Halt gegeben haben, sind nicht mehr möglich. Viele empfinden sich als besonders gefährdet, einsam und verlassen. Das persönliche Nicht-Hineinpassen in diese Gesellschaft und die Kälte in der dunklen Jahreszeit wird als besonders bedrohlich erlebt." Daher gehe es in diesen Tagen viel ums Zuhören, Mut machen, Perspektiven aufzeigen, wie neue Routinen entwickelt werden könnten, aus denen sich Kraft schöpfen ließe.
Nicht überall gibt es noch heißen Kaffee, aber Zeit für Gespräche und Lunchpakete. (Foto: Deutsche Bahnhofsmission)
Für Essen und Kleidung sorgen
Die Mitarbeitenden arbeiten derzeit in fünf Teams, die sich nicht begegnen, damit die Öffnungszeiten in der Pandemie garantiert werden können. Sie verteilen Joghurt, Obst, Masken, Hygieneartikel und Lebensmittelgutscheine. Auf warme Getränke verzichtet die Düsseldorfer Bahnhofsmission in der Pandemie. Die Ausgabe ist im engen Flur vor den Räumen schwierig.
Die Aachener Bahnhofsmission dagegen versorgt wohnungslose und bedürftige Menschen durch ein Fenster ihres Aufenthaltsraumes mit Kaffee, Tee, Lunchpaketen und bei Bedarf auch mit Decken und Schlafsäcken. "Die Ehrenamtlichen und unsere Besucher sind gut geschützt durch ein Plexiglasmobil, das vor das Ausgabefenster geschoben werden kann", erzählt Leiterin Elke Schreiber.
In Paderborn verteilt die Bahnhofsmission sogar an vier Tagen ein warmes Mittagessen zum Mitnehmen. In einer Kleiderkammer können sich die Menschen dort direkt mit warmer Winterkleidung versorgen.
Diakonie RWL-Referentin Karen Sommer-Loeffen hat an der Handreichung mitgeschrieben.
Dringend gesucht: Größere Räume
"Die Bahnhofsmissionen sind für diesen zweiten Teil-Lockdown gut gerüstet", beobachtet Karen Sommer-Loeffen, die bei der Diakonie RWL für die Bahnhofsmissionen zuständig ist. "Es gibt gute Hygienekonzepte, die Teams haben sich neu aufgestellt und ihre aufsuchende Arbeit verstärkt, so dass viel im und am Bahnhof stattfinden kann."
Die Bahnhofsleitungen unterstützten die Arbeit der Bahnhofsmissionen häufig, indem sie Essensausgaben genehmigten und Sitzplätze für Gespräche zur Verfügung stellten. Für die kalte Jahreszeit reicht das aber meist nicht aus. Einige Bahnhofsmissionen suchten daher dringend größere Räumlichkeiten in der Nähe des Bahnhofs und seien dafür mit Kirchengemeinden im Gespräch, erzählt Karen Sommer-Loeffen.
Alleine unterwegs statt im Team – in der Bahnhofsmission Essen pausieren coronabedingt 50 Prozent der Ehrenamtlichen. (Foto: Bahnhofsmission Essen)
Viel Arbeit, weniger Ehrenamtliche
Es ist also genug zu tun. Doch es fehlen Mitarbeitende. "Wir haben weiterhin normal geöffnet, aber durch Corona pausieren etwa 50 Prozent unserer Ehrenamtlichen", berichtet die Leiterin der Essener Bahnhofsmission, Nadine Wittmann. In Wuppertal halfen langzeitarbeitslose Menschen mit, die in Arbeitsgelegenheiten beschäftigt waren. Ihre Zahl sei um mehr die Hälfte zurückgegangen, bedauert Leiterin Bogmila Sporin.
Die Bahnhofsmission Krefeld musste ihre Öffnungszeiten sogar verkürzen, weil viele Ehrenamtliche aus Angst vor einer Infektion derzeit zu Hause bleiben. Doch Leiterin Sophia Bollman sieht wie ihre Kolleginnen und Kollegen gerade jetzt die Notwendigkeit, für die Menschen da zu sein: "Wir machen verstärkt Außendienst und versuchen in allen möglichen Notlagen zu helfen."
Text: Sabine Damaschke, Sliderfotos: Bahnhofsmission Düsseldorf, Teaserfoto: Bahnhofsmission Essen