125 Jahre Bahnhofsmission
Das magentafarbene Kreuz mit gelber Schärpe auf blauem Grund der Bahnhofsmission Essen ist am Hauptbahnhof der Ruhrgebietsstadt bekannt. Eine behinderten-gerechte Auffahrt aus Metall führt zum Eingang der Mission. Sie liegt neben dem Haupteingang, gleich neben der Radstation. Ein Wohnungsloser mit langen Haaren und weit ausgebeulter Jacke sitzt bei kaltem herbstlichen Wetter mit einer heißen Tasse Tee in der Bahnhofsmission. In den verwinkelten Innenräumen der Mission finden sich zwei Vollzeitkräfte, drei studentische Mitarbeitende, eine Honorarkraft – mit insgesamt 55 Ehrenamtlichen.
Jean und Marco bei Sonnenschein im Hauptbahnhof Essen unterwegs.
Marco und Jean sind mit ihren blauen Westen gut zu erkennen
Marco Padberg und Jean Carol Hüffmann sind als Team einmal im Monat an einem Samstag für zwei Stunden ehrenamtlich im Hauptbahnhof Essen unterwegs. Die Besonderheit: Sie machen bei der "Bahnhofsmission Inklusiv" mit. Ein Projekt, bei dem ein Tandem bestehend aus einem Menschen mit Behinderung mit einem Partner zusammen anderen Menschen rund um den Hauptbahnhof hilft. Jeder in den Tandems ist gleichberechtigt. Sie kümmern sich um alle, die am Bahnhof Hilfe brauchen. Und sind mit ihren blauen Westen gut zu erkennen. Meistens geben sie Auskunft, wo sich welches Gleis befindet oder die Busse abfahren. Von den Hauptamtlichen der Bahnhofsmission bekommen sie gesagt, wem sie beim Umsteigen helfen können, so dass sie zur entsprechenden Zeit am richtigen Ort sind. Dabei arbeiten sie eng mit der Deutschen Bahn zusammen.
„Das Ehrenamt gibt mir in meinem Leben Kraft“
Durch eine Freundin ist Jean vor zweieinhalb Jahren auf die Bahnhofsmission aufmerksam geworden. "Das Ehrenamt ist ein Ausgleich für mich", sagt die 29-jährige Juristin für Medizinrecht. "In meinem Leben ist das Ehrenamt ein fester Bestandteil, das mir Kraft gibt, und ich bin den Menschen näher, als ich es beruflich sein kann." Im April 2018 hat sich dann Marco beim Projekt "Bahnhofsmission inklusiv" gemeldet und Jean ist sein Tandempartner geworden. "Wir ergänzen uns gut. Marco geht gerne auf die Menschen zu und fragt, ob sie Hilfe brauchen", erzählt Jean. "Und ich versuche, die Ruhe zu bewahren. Es kann auch mal brenzlig werden." Beispielsweise bei einem Erste-Hilfefall vor einigen Wochen. Jean hat den Überblick behalten, die Lage eingeschätzt und den Notarzt gerufen. "Wir beide passen aufeinander auf", sagt sie, die zusätzlich zu ihrem Tandemeinsatz am Wochenende einmal wöchentlich für sieben Stunden bei der Bahnhofsmission Essen unterwegs ist.
"Ich mag es Menschen zu helfen, rumzugehen und zu erklären, wo was ist"
Jeans Tandempartner ist Marco. Er wohnt mit seiner Frau und acht weiteren Menschen mit Behinderung in einer Wohngemeinschaft in Essen-Kray. Zum Ehrenamt bei der Bahnhofsmission Essen ist Marco über eine Betreuerin aus seinem Haus gekommen. Sie hat viel über ihre freiwillige Arbeit erzählt. Das motivierte Marco, sich auch für das Ehrenamt zu engagieren. Dann musste nur noch ein Tandempartner gefunden werden – und das war dann Jean. "Ich mag es Menschen zu helfen, rumzugehen und zu erklären, was wo ist, zum Beispiel wo der Zug oder der Bus abfährt", sagt Marco. "Es macht Spaß, ich fühle mich wohl dabei und begegne im Bahnhof Freunden aus der Stadt. Das Team ist gut, vor allem gefällt es mir mit Jean zusammenzuarbeiten." Neben seinem Ehrenamt arbeitet Marco in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Bochum Dahlhausen. Dort stellt er unter anderem Schlösser und Schrauben her, die nach China gehen und in LKWs verbaut werden.
Hauptbahnhof garantiert Leben durch Mobilität
Der Bahnhof ist ein Transitraum, der Menschen Mobilität und damit Leben bietet. Neben den Pendlern gibt es viele, die das erste Mal am Hauptbahnhof in Essen sind. Sie kommen von allen möglichen anderen Bahnhöfen Deutschlands oder kennen schlicht den Hauptbahnhof nicht oder nicht mehr. Ältere Menschen, die nicht mehr Auto fahren und nach Jahrzehnten die Bahn wieder nutzen, müssen sich neu orientieren. "Die Menschen werden immer älter. Damit sie mobil bleiben können, brauchen sie im Bahnhof Hilfe. Und dafür sind wir da", sagt Nadine Wittmann, stellvertretende Leitung der Mission. Im Projekt "60plus" können Seniorinnen und Senioren eine Führung im Hauptbahnhof mitmachen, um diesen neu zu erkunden.
Die Bahnhofsmission ist für jeden offen: "Unabhängig von der Hautfarbe, dem Alter, dem Geschlecht, der Religion und dem Problem des Hilfesuchenden", betont Nadine Wittmann. Hier kann man sein Kind wickeln und stillen, es kann hier spielen und findet eine Leseecke, Reisenden bietet sich ein Aufenthaltsraum. Menschen mit Behinderung und Kinder, die ohne Eltern unterwegs sind, werden auf ihrer Reise über den Hauptbahnhof von Gleis zu Gleis begleitet.
Nadine Wittmann, stellvertretende Leitung der Bahnhofsmission Essen.
"Es gibt immer mehr arme Menschen!"
Obdachlose setzen sich im Herbst und Winter in den warmen Vorraum der Bahnhofsmission auf die Bank. Die Bahnhofsmission ist ein Zufluchtsort. Sie berät, vermittelt und man bleibt anonym, so dass man keine Angst haben muss. Die größte Stärke der Mission ist ihre Anpassungsfähigkeit. "Wir sind sehr flexibel auf den Bedarf der Gesellschaft einzugehen, darin liegt die besondere Stärke der Bahnhofsmission Essen", betont Nadine Wittmann, die seit 13 Jahren bei der Mission arbeitet. "Die Deutsche Bahn ist unser wichtigster Partner." Dieser stellt die Räumlichkeiten deutschlandweit. Die Zusammenarbeit zwischen Mission und Hauptbahnhof geht Hand in Hand. Caritas und Diakonie sind Träger und finanzieren die Bahnhofsmission Essen. Spenden und Kollekten sind gern gesehen.
Text, Videos und Fotos: Christoph Bürgener
Ehrenamt / Freiwilliges Engagement
Um neue Ehrenamtliche zu erreichen, ist die Bahnhofsmission per Social Media aktiv, um Schüler und Studenten für das Engagement zu begeistern. Um ein Ehrenamt zu machen, kann man sich eine der 104 Bahnhofsmissionen in Deutschland heraussuchen, sich per E-Mail melden und sich dort persönlich vorstellen. In Essen gibt es Probedienste und eine Einarbeitungsphase, um jedem zu helfen, der Hilfe braucht. Schüler*innen (2 bis 3 Wochen) und Studierende können in der Bahnhofsmission ihre Pflichtpraktika machen.
Hier geht es zur gesamten Serie "125 Jahre Bahnhofsmission".