1. Oktober 2024

Haupt- und Ehrenamtliche im Justizvollzug

Hand in Hand für die Straffälligenhilfe

In den Gefängnissen sind viele Ehrenamtliche im Einsatz, die den Inhaftierten mit ihren Angeboten den Knast-Alltag erleichtern wollen. Der Kontakt zwischen ihnen und den Personen, die dort hauptamtlich beschäftigt sind, läuft nicht immer reibungslos. Wie ein Perspektivwechsel das gegenseitige Verständnis stärken kann. 

  • Fachtagung für Haupt- und Ehrenamtliche im Justizvollzug NRW in Wuppertal.
  • Die Teilnehmenden der Fachtagung für Haupt- und Ehrenamtliche im Justizvollzug NRW stimmen ab.
  • Dr. Benjamin Limbach, Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit Heike Moerland von der Landeskoordinierungsstelle für das Ehrenamt in der Straffälligenhilfe NRW bei der Diakonie RWL.

Marion Knabbe ist regelmäßig in der Justizvollzuganstalt (JVA) in Remscheid im Einsatz. Die Ehrenamtliche besucht straffällig gewordene Menschen, singt mit ihrem Chor für sie und bietet in der JVA auch Gruppenangebote an. "Und natürlich nimmt man als Ehrenamtliche auch die Distanz mancher Beamte wahr", erzählt sie. Sie selbst geht "mit offenem Herzen" in die JVA und möchte den Menschen dort Wertschätzung und ein offenes Ohr schenken. Mit viel Engagement sind auch die fest Angestellten in der JVA im Einsatz - aber eben hauptamtlich. "Wir haben verschiedene Aufgaben", stellt Marion Knabbe fest, "und es ist gut, wenn wir auch die Perspektive der anderen verstehen." 

Miteinander sprechen 

Diesen Wunsch hatte auch das Vorbereitungsteam der Fachtagung für Haupt- und Ehrenamtliche im Justizvollzug NRW.  "Der Justizvollzug hat seine eigenen Regeln", sagt Heike Moerland von der Landeskoordinierungsstelle für das Ehrenamt in der Straffälligenhilfe NRW bei der Diakonie RWL. Sie weiß um die Irritation vieler Ehrenamtlicher, die zum ersten Mal in einer JVA zu Gast sind. Sicherheitsregeln, viele verschiedene Berufsgruppen, unzählige Türen: "Wir möchten Haupt- und Ehrenamtliche regelmäßig ins Gespräch bringen", erklärt Heike Moerland die Einladung zur Fachtagung. Und in diesem Jahr habe man sich genau dieser interdisziplinären Zusammenarbeit gewidmet: "Um das Verständnis für die Arbeit des jeweiligen anderen zu stärken", so die Gastgeberin weiter. 

Dr. Simone Brandstädter, Arbeits- und Organisationsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg.

"Die interdisziplinäre Zusammenarbeit bringt immer Herausforderungen mit sich", sagt Dr. Simone Brandstädter, Arbeits- und Organisationsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg.

Unterschiedlichkeit als Chance 

Dr. Simone Brandstädter, Arbeits- und Organisationsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg, spricht während des Impulsvortrags zum Start in das Wochenende im Wuppertaler Tagungszentrum "Auf dem heiligen Berg" über wichtige Faktoren für eine gute Zusammenarbeit. Und sie macht klar: "Die interdisziplinäre Zusammenarbeit bringt immer Herausforderungen mit sich."

Sie fragt die Haupt- und Ehrenamtlichen nach ihren Erfahrungen und freut sich über eine Mehrheit, die die Zusammenarbeit positiv bewertet. Die größte Herausforderung sei die Kommunikation, bekunden die Tagungsbesucher. Und die Referentin erklärt, was dahintersteckt: Jede Fachrichtung habe ihre eigenen Methoden, ihre eigene Sprache und auch ihre eigenen Grundeinstellungen. Diese würden durch Ausbildung, Studium und Arbeitsalltag geformt. "Diese Unterschiedlichkeit führt zu einem hohen Potential, um etwas richtig Gutes aufzubauen", erklärt Dr. Brandstädter, "gleichzeitig werden aber fast unausweichlich Konflikte ausgelöst."

Die eine Person schickt eine Botschaft auf den Weg, während das Gegenüber eine andere Botschaft empfängt. Jemand sendet eine Mail und hofft auf baldige Antwort, der oder die nächste muss erst Hierarchien und Abläufe beachten, bevor eine Antworten erfolgen kann. "Wer diese Faktoren im Hinterkopf hat, kann anders agieren", sagt die Psychologin. 

In Workshops entwickeln die Teilnehmenden Ideen für eine gute Zusammenarbeit.

Die Teilnehmenden beschäftigen sich in Workshops mit dem Thema Rollenklarheit: Wo lassen sich beispielsweise Grenzen abstecken?

Frust vermeiden 

Viele der Zuhörenden holt sie damit bei der Fachtagung ab. "Das rüstet mich gut für den Alltag", sagt Marion Knabbe nach dem Vortrag. Sie nehme viele Gedanken mit zu ihrem nächsten Besuch in die JVA. Und auch Melanie Palm, die in der JVA Köln als Ehrenamtskoordinatorin arbeitet, und ihre Essener Kollegin Katrin Rogalla haben im Vortrag gleich einige Fragestellungen wieder erkannt, die auch ihnen im Alltag begegnen.

"Von den Abläufen in der JVA sind viele Ehrenamtliche überrascht, wenn sie zu uns kommen", sagt Katrin Rogalla, "vielleicht müssen wir an dieser Stelle noch mehr informieren und erklären." Das bringe dann auch eine Sensibilisierung für die Berufsgruppen mit sich, die an vielen verschiedenen Stellen in der JVA im Einsatz sind. "Wer am Empfang jeden Tag so vielen verschiedenen Menschen gegenübersteht und mit verschiedenen Herausforderungen umzugehen hat, der hat am Nachmittag dann vielleicht auch mal kein 'Herzlich Willkommen' mehr auf den Lippen", sagt Melanie Palm. Es sei aber wichtig, dass Ehrenamtliche das nie persönlich nähmen. 

Dasselbe gelte für den E-Mail-Verkehr: "Wir müssen wahrscheinlich noch klarer kommunizieren, dass manche Antworten bei uns einfach Zeit brauchen", sagt Katrin Rogalla, "damit an den Schreibtischen der Ehrenamtlichen kein Frust entsteht, weil eine Reaktion ausbleibt."

Perspektivwechsel wagen 

Während des Wochenendes vertiefen Haupt- und Ehrenamtliche dann ihren Blick auf die Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit: mit Coaching bei der Fachfrau aus Heidelberg, der Vorstellung verschiedener Arbeits- und Engagementfelder und mit Best-Practice-Beispielen. Auch am Rande – beim Mittagessen und in gemütlicher Runde am Abend – kommen die vielen verschiedenen Akteure ins Gespräch und wagen immer mal wieder den Perspektivwechsel. 

Dr. Benjamin Limbach, Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen

Dr. Benjamin Limbach, Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, dankt den Ehrenamtlichen in seinem Grußwort für deren "unverzichtbaren Beitrag zu der erfolgreichen Resozialisierungsarbeit des Justizvollzugs".

Wichtiges Bindeglied 

Das hohe Engagement der Ehrenamtlichen in der Straffälligenhilfe weiß auch Dr. Benjamin Limbach, Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, zu schätzen: "Die Ehrenamtlichen sind ein wichtiges Bindeglied zwischen der Gesellschaft draußen und den Gefangenen drinnen." In seinem Grußwort zur Fachtagung in Wuppertal dankte der Minister allen Beteiligten für deren Einsatz: "Fast 2.000 Bürgerinnen und Bürger aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft engagieren sich ehrenamtlich im nordrhein-westfälischen Justizvollzug. Sie bringen sich mit ihren Ideen ein, geben neue Denkanstöße und machen den Justizvollzug dadurch vielfältiger und bunter." 

Indem die Ehrenamtlichen ein zunehmendes Verständnis für den Justizvollzug und die Belange der Inhaftierten entwickelten, seien sie auch wichtige Botschafter des Vollzugs in der Zivilgesellschaft. In die andere Richtung sendeten sie ein Signal der Zuversicht an die Gefangenen, nämlich dass die Gesellschaft sie nicht vergessen hat. Limbach weiter: "Dadurch leisten die Ehrenamtlichen einen unverzichtbaren Beitrag zu der erfolgreichen Resozialisierungsarbeit des Justizvollzugs, für den ich jeder und jedem Einzelnen sehr dankbar bin." 
 
Text: Theresa Demski, Fotos: Theresa Demski, Julian Engelmann, Heike Moerland 

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Heike Moerland
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration
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