9. Mai 2019

Europawahl und Diakonie

Für ein soziales und vielfältiges Europa

Vom 23. bis zum 26. Mai finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Zum heutigen Europatag schaltet die Diakonie ihren Sozial-O-Mat frei. Damit können Interessierte ihre Positionen zu sozialen Themen mit denen der großen Parteien vergleichen. Mit gutem Grund will die Diakonie Einfluss auf das nehmen, was in der EU passiert. Es gilt, die soziale Dimension des Projekts Europas zu stärken.

Hier geht's zum Sozial-O-Mat der Diakonie für die Europawahl.

Schon zur Bundestagswahl 2017 hat der Diakonie-Bundesverband ihren Sozial-O-Mat erfolgreich eingesetzt. Denn die Web-Wahlhilfe zeigt anschaulich, mit welchen sozialpolitischen Konzepten sich die deutschen Parteien am 26. Mai zur Wahl stellen und welche Auswirkungen ihre Politik konkret auf die EU-Bürgerinnen und -Bürger hat.

Der Sozial-O-Mat fördert online die Meinungsbildung zu zwölf diakonisch-sozialen Europa-Themen von Mindestlohn über Jugendaustausch bis zur Verteilung von Flüchtlingen. "Europa muss mehr sein als ein großer Binnenmarkt mit einer Währung", fordert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Er beklagt, dass die Armutsschere zwischen den Mitgliedstaaten immer weiter auseinandergegangen sei. Aktuell leiden 22 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung unter Armut und Ausgrenzung. Lilie setzt sich dafür ein, dass "die sozialen Themen endlich einen anderen politischen Stellenwert in Europa bekommen".

London mit Brexit-Schild

Herber Schlag für die Europäische Union: der Austritt der Briten.

Europa schwächelt

Das Projekt Europa ist zurzeit in keiner guten Verfassung. Nach den Verwüstungen zweier Weltkriege erwuchs die Europa-Idee in den 1950er Jahren aus dem Geist der Versöhnung und der Völkerfreundschaft. Wirtschaftliches Wachstum, politische Integration und gute Nachbarschaft sollten die Grundpfeiler eines länderübergreifenden Demokratieprojekts sein. Aus dem Kerneuropa der sechs Gründerstaaten von 1958 wurde das Großeuropa der 28 Mitgliedstaaten.

Es muss jetzt zum ersten Mal erleben, dass mit Großbritannien ein starkes und bedeutendes Mitglied aussteigen will. Zum Zeitpunkt der Europawahl 2019 gefährden autoritär-nationalistische Strömungen und Regierungen die europäische Demokratie-Idee. Die desolate wirtschaftliche Lage im EU-Gründerstaat Italien bedroht die ökonomische Stabilität in ganz Europa. Andere Volkswirtschaften wie die spanische sind zwar wieder auf einem guten Weg, aber hier wie in anderen Ländern Südeuropas grassiert eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Aktenschrank

Die EU-Verwaltung wird immer wieder für ihre "überbordende Bürokratie" gescholten.

Wirtschaftskrisen, Wohlstandslücken

Insgesamt klaffen zwischen dem Europa des Nordens und der Mitte und dem des Südens und Südostens riesige Wohlstandslücken. So kommt es kaum zur Angleichung der Lebensverhältnisse. Die Brüsseler Bürokratie ist Gegenstand des Volkszorns – dabei arbeitet "Brüssel" gar nicht mit einem aufgeblähten Apparat, denn allein in Hamburg sind deutlich mehr "Bürokraten" als in Brüssel tätig.

Dass ein florierendes und funktionierendes Gemeinwesen eine effektive Verwaltung braucht, haben die europäischen Entscheider und Politiker allerdings bis heute nicht vermitteln können. Das größte europäische Demokratie-Defizit sehen Europa-Kenner wie Tagesspiegel-Redakteur Harald Schumann in den antidemokratischen Praktiken im Rat der EU, auch Ministerrat genannt. Fest zusammen steht Europa nur in der Abwehr von Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen, um Leib und Leben zu retten.

Straßenschild

Auch kirchliche Initiativen rufen zur Wahl auf, weil sie die Demokratie in Europa gefährdet sehen.

Neustart für Europa – demokratisch und sozial

Das demokratische Europa braucht einen politischen Neustart. Und die soziale Zukunft Europas muss energisch weiterentwickelt werden. "Europa nicht den Rechtspopulisten überlassen" – unter dieser Überschrift ruft die Evangelische Kirche von Westfalen zur Europawahl auf. Sie will "Zeichen setzen für Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden in Europa". Kirchliche Initiativen sind Teil eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses, das am 19. Mai in Köln für Ein Europa für alle demonstrieren will.

Mehr Inklusion, gute Arbeitsbedingungen und angemessene Mindestsicherung – das sind Grundpfeiler der „Europäischen Säule sozialer Rechte“, die 2017 in Kraft getreten ist. Auf der Linie dieser Säule und des Europäischen Sozialgipfels im gleichen Jahr macht sich die Diakonie dafür stark, dass gemeinnützige Sozialunternehmen sich auch in Zukunft verlässlich in der Daseinsvorsorge engagieren können.

Schwimmwesten am Strand

Wie umgehen mit den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen? Europa streitet über den Flüchtlingsschutz.

Pro Flüchtlingsschutz

Die Diakonie plädiert für einen menschenrechtlich grundierten, menschenfreundlichen Flüchtlingsschutz und für ein inklusives Europa, in dem Vielfalt, Freiheit und Solidarität lebendig sind und von allen EU-Bürgern positiv erlebt werden können.

Auch wenn sich über die sozial-politischen Defizite Real-Europas vielstimmig lamentieren lässt – die Europawahl ist eine Richtungsentscheidung über die Zukunft der Europäischen Union. Der international renommierte Sozialphilosoph Ivan Krastev bringt das in der Wochenzeitung "Freitag" so auf den Punkt: "Zum ersten Mal bieten die Wahlen zum EU-Parlament die Dramen, die bisher nationalen Bühnen vorbehalten waren. Vier Wochen vor der Wahl teilt eine Mehrheit der Europäer das Gefühl, dass etwas Wichtiges passieren wird – und dass, wer es nicht für nötig hält wählen zu gehen, in der Hölle einen Sonderplatz sicher hat."

Ankreuzen, mitwählen - Postkarte der Diakonie

Mit der Wahl ein proeuropäisches Zeichen setzen

In ihrem Positionspapier zur Europawahl weist die Diakonie Deutschland darauf hin, dass mehr als 70 Prozent der nationalen Gesetze auf europäischen Richtlinien und Verordnungen beruhen. Das europäische Parlament kann sich für ein sozialeres Europa wirksam einsetzen.

Das gelingt aber nur, wenn die EU-Wahlbürger mit einer hohen Wahlbeteiligung ein deutliches pro-europäisches Zeichen setzen. Wählen können am 26. Mai in Deutschland erstmal auch mehr als 80.000 Neu-Wahlberechtigte, die, so hat es das Bundesverfassungsgericht jetzt entschieden, endlich das diakonisch lang erwartete Wahlrecht erhalten: Menschen mit psychischen Krankheiten oder Behinderungen können sich mit eigener Wählerstimme für ein inklusives Europa einsetzen.

Text: Reinhard van Spankeren