Diversität in der Diakonie
Mehr als 20 Regenbogenfahnen hängen seit Juli 2021 als Zeichen für Toleranz und Vielfalt an den Standorten der Diakonie An Sieg und Rhein. "Wir konnten direkt alle Fachbereiche dafür gewinnen", freut sich Flüchtlingsberaterin Jana Mathes. Für sie ist das auch ein Zeichen dafür, dass intern etwas in Bewegung kommt. "In unserer sozialen Arbeit haben wir den Anspruch, offen für alle zu sein. Aber was ist eigentlich bei uns selbst los?", formuliert sie eine Frage, die mehrere Kolleginnen und Kollegen beschäftigt. Vor einem Jahr gründeten sie deshalb - unterstützt vom Chef - die Arbeitsgemeinschaft Vielfalt, um eigene Strukturen unter die Lupe zu nehmen und das Thema Diversität nach vorne zu bringen.
Patrick Ehmann, Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein, berichtet, dass der Vielfalts-Check bei den Mitarbeitenden für so manches Aha-Erlebnis gesorgt habe.
Impulse zum Nachdenken
Die Siegburger nutzen dafür den "Vielfalts-Check" der Diakonie Deutschland und checken damit gerade das Werk durch: Fachbereich für Fachbereich. "Etwa die Hälfte ist geschafft", sagt Maria Neuschaefer-Rube, AG-Mitglied und Leiterin der Integrationsagentur.
Der Check diene vor allem dazu, ins Gespräch zu kommen und für die verschiedenen Facetten von Diversität zu sensibilisieren. Alter, Geschlecht, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Herkunft oder Rassismuserfahrungen, Religion und Weltanschauung, Beeinträchtigung, Behinderung und Barrierefreiheit – ein Fragenkatalog mit sechs Oberthemen gibt Impulse zum Nachdenken. "Es geht nicht um eine Bewertung, sondern darum, Reflexionsprozesse auszulösen", erklärt Jana Mathes.
Dabei gibt es so manches Aha-Erlebnis, bestätigt Geschäftsführer Patrick Ehmann und nennt als Beispiel eine einfache Kleider-Frage: Können sich bei uns alle so anziehen, wie sie es wollen? Spontane Antwort: Na klar. Ehmann: "Im Gespräch haben wir dann aber schnell gemerkt: So klar ist es doch nicht. "Was wäre etwa, wenn jemand voll verschleiert zur Arbeit käme? Oder ein männlicher Mitarbeiter im Rock erscheinen würde? "Schon an dieser banalen Frage entzündete sich eine rege Diskussion, und wir merken, dass vermeintliche Selbstverständlichkeiten gar nicht so sicher sind", berichtet er.
Sind wir im Arbeitsalltag wirklich offen und vorurteilsfrei? Wo gibt es Denkblockaden? All das diskutieren Mitarbeitende und Führungskräfte der Diakonie An Sieg und Rhein gemeinsam.
Vorreiter im Landesverband
Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten, das findet auch Maria Neuschaefer-Rube wertvoll. "Wir sind ja sehr darauf trainiert, diskriminierungssensibel auf unsere Klienten zu schauen. Jetzt geht der Blick nach innen, und wir fragen uns: Wie diskriminierungssensibel gehen wir selbst miteinander um?" Gibt es Ausgrenzung im eigenen Team? Sind wir wirklich offen und vorurteilsfrei? Warum haben wir in einigen Arbeitsbereichen eine sehr homogene Besucherschaft? Wo gibt es Denkblockaden und Barrieren? All das wird diskutiert, von Mitarbeitenden und Führungskräften gemeinsam.
Noch stehen die Siegburger am Anfang des Prozesses, und doch sind sie Vorreiter im Landesverband. Christiane Grabe, Referentin für Integration bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, wünscht sich, dass das Beispiel Schule macht und andere Einrichtungen nachziehen. "Insgesamt wird das Thema interkulturelle Öffnung und Diversität in Kirche und Diakonie noch eher zögerlich angegangen", stellt die Expertin fest. Dabei sei gerade die Diakonie gefordert. Respekt vor allen Menschen, Nächsten- und Fremdenliebe – "wenn wir unsere Werte glaubhaft vertreten wollen", so Grabe, "müssen wir die Aufgabe annehmen und die Vielfalt in der Gesellschaft in den eigenen Strukturen abbilden."
Sarah Vecera, Bildungsreferentin bei der Vereinten Evangelischen Mission, beschäftigte sich in ihrem Vortrag auf der Mitgliederversammlung des Fachverbands Flucht und Migration Ende April in Düsseldorf mit Rassismuserfahrungen in Kirche und Diakonie.
Langfristiger Prozess
Dieses Signal geht auch von der Mitgliederversammlung des Fachverbands Flucht und Migration aus, Schwerpunktthema war die sogenannte diversitätsorientierte Organisations- und Personalentwicklung. "Die Tagung soll Auftakt für einen langfristigen Prozess sein", kündigt Grabe an und macht deutlich: Um Vielfalt in der Diakonie zur Normalität zu machen, brauche es strukturelle Veränderungen. Grabe: "Das ist eine Managementaufgabe und muss zur Chefinnen- und Chefsache werden." Viele Dinge können nur von oben angestoßen werden, von der Geschäftsführung oder Personalleitung, bestätigt die AG der Diakonie An Rhein und Sieg, egal ob es um Stellenausschreibungen geht oder den Internetauftritt, der in Siegburg gerade unter dem Aspekt der Vielfalt überarbeitet wird.
Dabei ist es in der Praxis nicht immer einfach, den Diversitäts-Anspruch umzusetzen, weiß Christiane Grabe. Sie hat etwa erlebt, dass sich auf Stellenangebote in der Antidiskriminierungsarbeit kaum Menschen mit Diskriminierungserfahrung beworben haben. "Weil uns die Menschen mit Kirche verbinden und diese als Arbeitgeber als wenig diversitätsorientiert einschätzen." Mit Rassismuserfahrungen in Kirche und Diakonie beschäftigte sich entsprechend auch der Einstiegsvortrag von Sarah Vecera, Bildungsreferentin bei der Vereinten Evangelischen Mission auf der Mitgliederversammlung.
Das Diakonische Werk An Sieg und Rhein will mit der Regenbogenfahne zeigen: Bei uns sind alle willkommen.
Veränderungen fallen schwer
Patrick Ehmann nennt einen weiteren Aspekt: Soziale Arbeit sei weiblich geprägt. Drei Viertel der Angestellten in der Diakonie An Sieg und Rhein sind Frauen. "An der Spitze stehen dann Männer." Es gebe also noch viel zu tun. Ehmann will sich davon nicht abschrecken lassen und macht sich mit den rund 100 Mitarbeitenden auf den Weg. Er ist überzeugt, dass die Einrichtung davon profitiere. Ehmann: "Bei der Personalauswahl achten wir mittlerweile stark auf gemischte Teams, denn das hilft uns, auf die Vielfalt unserer Klientinnen und Klienten zu reagieren und macht die Arbeit besser."
Trotzdem: Veränderungen fallen schwer. "Als die Regenbogenfahne aufgehängt werden sollte, habe ich erst gezögert und hatte Sorge, dass wir Klientinnen und Klienten abschrecken könnten", erzählt Ehmann. Heute ist er froh, dass sein Diakonisches Werk sichtbar macht: Bei uns sind alle willkommen.
Text: Silke Tornede, Fotos: Maria Neuschaefer-Rube, Jutta Huberti-Post, Hanna Zängerling, Shutterstock