6. Oktober 2020

Diakonenausbildung

Ein sozialer Beruf fernab von Klischees

Häubchen und kirchliche Tracht? Fehlanzeige. Tattoos und hippe Kleidung. So sehen Diakone und Diakoninnen heute aus. Alte Klischees sind längst überholt. Doch immer weniger junge Leute entscheiden sich für eine Diakonenausbildung. Miriam Bröderhausen und Jean Pierre Reitmeier sind trotzdem in die Gemeinschaft der Brüder- und Schwesternschaft Wittekindshof eingetreten.

  • Diakonenschülerin und angehende Heilerziehungspflegerin Miriam Bröderhausen im Einsatz: Gemeinsam mit Patrick Böttcher, der ein Wittekindshofer Wohnangebot in Bünde an der Wehmstraße nutzt, malt und klebt die 34-Jährige. (Foto: Patzer/Wittekindshof)

"Diakonisch? Kann ich nicht", dachte sich Miriam Bröderhausen, als ihr eine ehemalige Klassenkameradin von ihrem Abschluss am Evangelischen Berufskolleg Wittekindshof berichtete und Bröderhausen aufforderte: "Mach' das doch auch." Die heute 34-jährige Löhnerin arbeitete zu diesem Zeitpunkt in ihrem erlernten Beruf der Bäckereifachverkäuferin.

"Eine Notausbildung", wie sie heute nüchtern feststellt. Doch der Kontakt zu Kunden mit Behinderung und die Erkenntnis, dass ihr die Arbeit mit Menschen mit Behinderung Freude bereitet, bekräftigte ihre Idee, eine weitere Ausbildung im sozialen Bereich zu machen.

Zwei Ausbildungen parallel

Sie informierte sich, was möglich ist: "Aber ich war einfach zu alt für einen Bundesfreiwilligendienst oder ein Freiwilliges Soziales Jahr, um den Bereich kennenzulernen. Beim Wittekindshof bekam ich die Möglichkeit, eine Ausbildung als Heilerziehungspflegerin zu absolvieren in Kombination mit einer Diakonenausbildung. Ich glaube zwar, gehe aber fast nie in die Kirche. Mehr als das 'Vater Unser' beten ging damals nicht. Ich habe gezweifelt."

Die Zweifel schwinden beim Vorstellungsgespräch. "Ich habe mich als Ich vorgestellt, so wie ich bin. Nicht verstellt, nichts anderes angezogen. Ich dachte mir: 'Du bist nicht der gläubigste Mensch, sei einfach du. Die werden das anerkennen.'" Es funktionierte. Bröderhausen, die derzeit im Wittekindshofer Wohnhaus an der Wehmstraße in Bünde arbeitet, absolvierte zunächst den Unterkurs der Diakonenausbildung und ist nun im zweiten Jahr der Fachausbildung und absolut glücklich über ihre Entscheidung.

Jean Pierre "Jonny" Reitmeier ist Jugendreferent der evangelischen Kirchengemeinde Bergkirchen. Der Diakonenschüler und angehende Erzieher unterstützt während der Nachmittagsbetreuung Jungen und Mädchen bei den Hausaufgaben. (Foto: Lüke/Wittekindshof)

Jean Pierre "Jonny" Reitmeier ist Jugendreferent der evangelischen Kirchengemeinde Bergkirchen. Der Diakonenschüler und angehende Erzieher unterstützt während der Nachmittagsbetreuung Jungen und Mädchen bei den Hausaufgaben.

Diakon und Erzieher

Ebenso wie Jean Pierre "Jonny" Reitmeier. Der 27-jährige Bad Oeynhausener ist Jugendreferent der evangelischen Kirchengemeinde Bergkirchen. Er absolviert eine Erzieher- plus Diakonenausbildung. Auch Reitmeier ging zunächst einen anderen Weg. Er fing eine Ausbildung zum Technischen Assistenten in der Informationstechnik an. "Das war mir aber nicht menschennah genug."

Reitmeier engagierte sich bereits ehrenamtlich in seiner Kirchengemeinde. Doch der "toxische Gedanke", wie er es nennt, "Männer werden keine Erzieher", kreiste in seinem Kopf. Er absolvierte ein FSJ in einer Grundschule, machte ein Praktikum in der Gemeinde. Als er die Praxisstelle von der Kirchengemeinde Bergkirchen angeboten bekam, stand sein Entschluss fest: "Ich werde Diakon. Und Erzieher." Auch wenn er dafür teilweise belächelt wurde und wird."Ich stehe zu meinem Glauben. Er ist mir wichtig und ich möchte das weitergeben", betont Reitmeier. Bröderhausen und Reitmeier möchten Kirche ein neues Gesicht geben."Kirche, wie sie früher verstanden wurde, funktioniert nicht mehr. Wir müssen flexibler und individueller sein", betont er.

Über 1.200 Diakoninnen und Diakone arbeiten derzeit in Einrichtungen und Diensten von Kirche und Diakonie. 2015 trafen sich viele Diakone und Diakoninnen in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel/Stiftung Nazareth zum Austausch.

Über 1.200 Diakoninnen und Diakone arbeiten derzeit in Einrichtungen und Diensten von Kirche und Diakonie. 2015 trafen sich viele Diakone und Diakoninnen in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel/Stiftung Nazareth zum Austausch.

Zweifel gehören dazu

Dazu gehörten natürlich auch Zweifel. Damit sei niemand allein und dürfe sie auch aussprechen. "Die Diakonenausbildung ist eine intensive Zeit, in der man viel über sich selbst lernt. An manchen Tagen habe ich mich gefragt, was ich hier eigentlich mache. Andere machen Work-and-Travel-Trips, um sich selbst kennen und verstehen zu lernen. Aber im Unterkurs habe ich so viel über mich gelernt, das geht auf keiner Weltreise", sagt Reitmeier. Er sei im einjährigen Unterkurs gewachsen. Am meisten in diesen Phasen des Zweifelns.

"Dort habe ich dann auch endgültig festgestellt: Hier bin ich richtig", berichtet der angehende Diakon. Im Kurs stehe man sich sehr nahe. "Es schwingt ein gewisser Vibe mit, das spüre auch ich als jemand, der nicht beim Wittekindshof arbeitet", versucht Reitmeier die besondere Gemeinschaft der Brüder- und Schwesternschaft, in die die beiden Auszubildenden zu Beginn ihrer Einsegnung aufgenommen wurden, in Worte zu fassen. "Die Gemeinschaft ist das Sahnehäubchen zu dem an sich schon erfüllenden sozialen Beruf."

Text: Jaqueline Patzer/ Diakonische Stiftung Wittekindshof,
Fotos: Jaqueline Patzer/ Diakonische Stiftung Wittekindshof und Ann-Christin Lüke/ Diakonische Stiftung Wittekindshof.

Weitere Informationen
Ein Artikel zum Thema:
Diakonische Identität

Diakonenausbildung
Diakoninnen und Diakone gelten als doppelt qualifiziert. Entweder wird eine staatlich anerkannte Ausbildung in einem sozialen Beruf oder ein Bachelorstudium Soziale Arbeit an der Fachhochschule (FH) der Diakonie mit theologisch-diakonischer Kompetenz verknüpft. Theologische, soziale, pflegerische, musische und kreative Elemente werden angeboten, immer in Kombination mit beruflicher Praxiserfahrung. Im Verlauf der Ausbildung und daran anschließend können die eigenen Stärken ausprobiert und vertieft werden, beispielsweise in Richtung Anleitung und Beratung oder Führen und Leiten (Management oder Mentoring in sozialen Organisationen). Quereinsteiger sind immer willkommen. Weitere Informationen zur Ausbildung im Wittekindshof gibt es bei Diakonin Nicole Schnepel, Telefon (05734) 61-24 63, E-Mail: nicole.schnepel@wittekindshof.de.