Podium auf dem Kirchentag
"Wo geht’s hin mit dem Sozialstaat?" Eine Frage, die angesichts einer stetig steigenden Zahl von Wohnungslosen, einer seit Jahren verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen und zunehmender Kinderarmut mehr als berechtigt ist. Einfache Lösungen gibt es nicht.
Das war wohl auch WDR-Moderator Uwe Schulz bewusst, als er unter diesem Titel Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann sowie die NRW-Landtagsabgeordneten Heike Gebhard (SPD) und Marco Schmitz (CDU) zur Diskussion auf dem Kirchentag einlud. Also wollte er wissen, wo es für seine Podiumsgäste besonders "hakt" und was sie dazu gebracht hat, sich in der Politik beziehungsweise an der Spitze eines Wohlfahrtsverbands für soziale Verbesserungen einzusetzen.
Der Dank eines Kindes führte Marco Schmitz (CDU) in die Landespolitik.
Für Menschen da sein
Sowohl Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann als auch Marco Schmitz erzählten von ihren Erfahrungen in der Jugendarbeit. Während für Heine-Göttelmann der intensive Kontakt mit Menschen mit Behinderungen ein Schlüsselerlebnis war, das ihn letztlich zur Diakonie führte, erzählte Marco Schmitz von einem Sommerlager mit sozial benachteiligten Kindern. Am Ende dieser Ferien, die ihn persönlich oft an seine Grenzen gebracht hätte, habe ihn der Satz eines Kindes besonders berührt, so Schmitz. "Es hat mir gesagt, noch nie habe sich jemand so um es gekümmert wie ich. Das hat mich zutiefst gerührt und motiviert, Sozialpolitiker zu werden."
Auch bei Heike Gebhard war es ein Kind, das am Anfang ihres Weges in die Politik stand. Ein Junge aus einer armen Familie in der Nachbarschaft sollte auf die Förderschule gehen, doch er wollte mehr. Mit ihrer Hilfe schaffte er seinen Hauptschulabschluss, die Ausbildung und arbeitet heute erfolgreich als Kunstschlosser. "Der familiäre Hintergrund ist in Deutschland immer noch entscheidend für den Schulerfolg. Als Sozialpolitikerin will ich dazu beitragen, dass sich das ändert."
SPD-Politikerin Heike Gebhard, Vorsitzende des Landtagsausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales, will mehr für die frühkindliche Bildung tun.
Sozialpolitik in der Zwickmühle
Die SPD-Politikerin bedauerte, dass die frühkindliche Bildung in Deutschland – anders als etwa in Skandinavien – eine untergeordnete Rolle spielt. "Die höchste Bildung bekommt bei uns immer das meiste Geld. Es müsste genau andersherum sein." Doch Politik, räumte sie ein, befinde sich oft in einer Zwickmühle, wenn es darum gehe, langfristige Veränderungen über eine Legislaturperiode hinaus anzustoßen.
Positiv werteten alle drei Podiumsgäste, dass es in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit für soziale Probleme gibt. Über Kinderschutz, Gewalt und Wohnungslosigkeit werde heute mehr als früher debattiert. "Auch wenn wir noch viele Probleme haben, gibt es doch Riesenfortschritte, betonte Gebhard. "Deutlich mehr Menschen können heute eigenständig leben."
Einig waren sie sich, dass der Sozialstaat das Ehrenamt braucht, wenn er die sozialen Verhältnisse in der Gesellschaft verändern und verbessern will. "Doch es darf kein Ersatz für das sein, was der Staat eigentlich leisten muss", betonte Christian Heine-Göttelmann und verwies dabei auf die Bildung und Betreuung durch die Kindertagesstätten, die seit Jahren unterfinanziert sind.
Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann (r.) gestaltete den Gottesdienst zusammen mit Carina Gödecke, Vizepräsidentin des NRW-Landtags, und Diakoniepräsident Ulrich Lilie.
Mut zum Zuhören
Im Diakonie-Gottesdienst auf dem Kirchentag machte der Diakonie RWL-Vorstand Mut, angesichts der vielen Probleme dieser Zeit nicht zu verzweifeln. Er gestaltete die Veranstaltung gemeinsam mit der Vizepräsidentin des NRW-Landtags, Carina Gödecke, und dem Präsidenten der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, unter dem Motto "Unerhört! Dieses Vertrauen".
Klimawandel, Digitalisierung, soziale Ungleichheit, Rechtspopulismus und Flüchtlingsströme – all das ängstige die Menschen und führe zu einer sich hochschaukelnden Empörung, betonte Lilie in seiner Predigt. Doch um sie zu lösen, sei Stille und eine Kultur des Hörens nötig, "auf uns selbst, die anderen und Gott".
Diakoniepräsident Ulrich Lilie predigte über den israelischen König Hiskia und sein Vertrauen zu Gott.
Beten ist zeitlos
Das lehre die biblische Geschichte des israelischen Königs Hiskia, der vor rund 2.800 Jahren die Eroberung des Nordreiches Israel durch die Assyrer miterleben musste, sagte der Diakoniepräsident. Hiskias Rückzug in die Stille des Tempels und sein Gebet zu Gott hätten den Rückzug der Assyrer bewirkt.
"Diese biblische Geschichte ist ein zeitloses Bild für das Beten", betonte Lilie. "Wir brauchen heute dazu keinen Tempel, keine Kirche, keine Meditationsbänke. Wir brauchen nur ein offenes Ohr und Herz für Gott."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: Christoph Bürgener/Sabine Damaschke
Die Diakonie auf dem Kirchentag
Unter dem Motto "Was für ein Vertrauen" präsentiert die Diakonie auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund vom 19. bis 23. Juni ihre vielfältige soziale Arbeit. Unter Federführung der Diakonie RWL bringen über 30 Aussteller - Träger, Einrichtungen, Initiativen und Projekte – und rund 360 Mitwirkende zahlreiche diakonische Impulse und Initiativen ein. Eine Bildergalerie dazu gibt es auf unserer Kirchentagsseite.