Live-Diskussion zur Bundestagswahl 2021
"Oft hört man das Vorurteil, die großen Parteien seien alle gleich und auch ihre Programme würden sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Aber wann man sie aufmerksam liest, merkt man ganz schnell: Das stimmt nicht", erklärte Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann zu Beginn der Veranstaltung. Um mehr über die unterschiedlichen Standpunkte zu erfahren, diskutierten vier Gäste von vier Parteien über fünf konkrete Themen der Sozialpolitik. "Es sind die Themen, von denen wir glauben, dass sie große Auswirkungen auf den Wahlausgang haben", so Heine-Göttelmann.
Die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion waren: Bärbel Bas (für die SPD seit 2009 im Bundestag für den Wahlkreis Duisburg I), Max Lucks (Direktkandidat der Grünen im Wahlkreis Bochum I), Nicole Westig (seit 2017 für die FDP im Bundestag und Direktkandidatin im Wahlkreis Rhein-Sieg-Kreis II) und Dennis Radtke (seit 2017 für die CDU Mitglied des Europäischen Parlaments). Bei den Themen herrschte zwar bei diversen Punkten Einigkeit – trotzdem gab es auch immer wieder Reibungspunkte. Besonders zwischen Max Lucks und Dennis Radtke wurde es gelegentlich hitziger. Beim Livestream der Debatte ruckelte leider die Technik, der hier hinterlegte Zusammenschnitt läuft jedoch reibungsfrei.
Pflege und Gesundheitssystem stärken
Beim Thema Pflege und Gesundheitssystem gibt es viel Handlungsbedarf – da waren sich alle einig. Dennis Radtke (CDU) und Nicole Westig (FDP) nahmen die Ausbildung in Pflegeberufen in den Blick. Die müsse dringend verbessert werden und vor allem kostenlos sein. Bärbel Bas (SPD) und Max Lucks (Bündnis 90/Die Grünen) sprachen sich für eine Reform des Pflege- und Krankenkassensystems aus. Beide sind für eine Bürgerversicherung, die die Trennung in private und gesetzliche Versicherung ersetzt. Auch der Mangel an Arbeitskräften in der Pflege war Thema – und die Notwendigkeit, Arbeitsbedingungen zu verbessern, um mehr Nachwuchs zu motivieren: Nicht nur durch eine bessere Bezahlung, sondern auch durch das Reduzieren der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden (Lucks/Grüne), Entlastungen im Alltag durch mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie (Westig/FDP).
Für mehr Fachkräfte in den Berufen der Kinderbetreuung möchte Dennis Radtke (CDU) die Bürokratie reduzieren.
Familien und Frauen unterstützen
Bei diesem Thema stand das Betreuungsangebot für Kinder im Vordergrund. Auch hier sahen alle Gäste den Fachkräftemangel als Problem. Doch wie kann man die Attraktivität des Berufs steigern? "Zum Beispiel durch das Reduzieren von Bürokratie und überbordender Dokumentationspflicht" (Radtke/CDU) oder dadurch, dass Vor- und Nachbereitung sowie Fortbildungen in der Arbeits- und nicht der Freizeit erledigt werden können (Lucks/Grüne). Um Chancengerechtigkeit zu schaffen, müsse man auch bei den Kita-Kosten ansetzen, so Bärbel Bas (SPD). "Besonders ärmere Kommunen müssen das Angebot häufig durch Elternbeiträge finanzieren" – hier müsse der Bund mehr unterstützen. Nicole Westig (FDP) will für Kinder aus finanziell benachteiligten Familien mit Bildungsgutscheinen und dem „German Dream-Zuschuss“ arbeiten: Demnach soll ein Prozent aus den Mehrwertsteuereinnahmen für Bildung investiert werden.
Um mit arbeitslosen Menschen besser umzugehen, müsse der Staat Bärbel Bas (SPD) zufolge Chancen fördern, statt zu sanktionieren.
Existenzminimum sichern
Wie umgehen mit arbeitslosen Menschen? Darauf gab es von den Gästen unterschiedliche Antworten. Bärbel Bas (SPD) forderte, der Staat müsse eher Chancen geben und fördern, statt durch Sanktionen zu drangsalieren. Dennis Radtke (CDU) wies das zurück und appellierte an die Eigenverantwortung der Betroffenen, sich um eine neue Arbeit zu bemühen. "Die Weiterbildung niedrigqualifizierter Menschen muss wichtiger sein, als sie nach dem Verlust der Arbeit wieder in eine Helfertätigkeit zu vermitteln." Max Lucks (Grüne) fehlt die Perspektive von Kindern aus Familien, die von Hartz IV leben müssen – sie könnten sich durch Grenzen beim Hinzuverdienst kein Taschengeld dazuverdienen, ohne dass die Eltern mit Kürzungen rechnen müssen. "Das zementiert Armut." Dem stimmte Nicole Westig (FDP) zu: "Die Hinzuverdienstgrenzen müssen fallen, damit sich Armut nicht vererbt."
Max Lucks (Grüne) hob das Konzept der CO2-Bepreisung hervor. Von den Einnahmen könnten Geringverdienende profitieren.
Klimaschutz sozial gestalten
In einem kurzen Film-Einspieler meldete sich Markus Eisele, Vorstand der Graf-Recke-Stiftung in Düsseldorf, zu Wort: Er beschrieb, wie schwierig es für soziale Einrichtungen und finanziell benachteiligte Menschen ist, den Schritt zu mehr Nachhaltigkeit mitzugehen – denn die sei schlicht zu teuer. Nicole Westig (FDP) und Dennis Radtke (CDU) kritisierten ebenfalls, dass der Strompreis durch Stromsteuer und EEG-Umlage für viele aktuell zu teuer sei. Max Lucks (Grüne) brachte das Konzept der CO2-Bepreisung ins Spiel: "Das ist sozial gestaltet, denn die, die viel verbrauchen, sind oft Höherverdienende." Einnahmen aus diesem CO2-Preis sollten an die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden – davon profitierten besonders Geringverdienende.
Nicole Westig (FDP) könnte sich vorstellen, zukünftige Käufer eines Eigenheims bei der Grunderwerbssteuer zu entlasten.
Wohnraum schaffen
Letztes Thema des Abends war der soziale Wohnungsbau. Besonders bezahlbare Sozialwohnungen seien Mangelware und für Familien mit niedrigem Einkommen immer schwieriger zu finden. Bärbel Bas (SPD) sieht die Lösung darin, mehr neue Wohnungen zu bauen, sowie eine Mietpreisbremse nochmal in den Blick zu nehmen und weiter auszuarbeiten. Dennis Radtke (CDU) setzt darauf, die Eigentumsquote zu erhöhen – und auch Menschen mit kleineren Einkommen zu ermöglichen, sich Wohneigentum leisten zu können. "Bauen muss günstiger werden." Er und auch Nicole Westig (FDP) könnten sich vorstellen, Menschen, die ein Eigenheim für den eigenen Bedarf kaufen wollen, bei der Grunderwerbssteuer zu entlasten. Das gleiche gelte für soziale Einrichtungen, die Wohnraum für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen erwerben.
Text: Carolin Scholz, Fotos: Christoph Bürgener, FDP NRW/Laurence Chaperon.