Hauptversammlung
Eine kleine Kiste – darin das gesamte Hab und Gut der Familie: Wie es sich anfühlt, hierzulande ganz neu Fuß fassen zu müssen, weiß der NRW-Landtagsabgeordnete Josef Neumann. Er kam als kleiner Junge mit seiner Familie aus Polen und lebte zunächst mit acht Personen in einer Zweizimmerwohnung in Bochum. "Zum Duschen ging es für 20 Pfennig in die Badeanstalt." In den vergangenen Monaten erlebte Neumann, wie hunderttausende Geflüchtete neu anfangen mussten: "Als am 24. Februar der Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, war mir klar: Die Welt wird nicht mehr so sein wie bisher", erzählte Neumann bei der Hauptversammlung der Diakonie RWL in Dortmund.
Zehn Tage nach Kriegsausbruch habe er an der polnisch-ukrainischen Grenze gesehen, was er bisher nur aus Erzählungen seiner Großeltern kannte: "Tausende Menschen mit Kindern an der Hand auf der Flucht. Das sind Bilder, die man so schnell nicht vergisst." Umso mehr dankte er Bethel und anderen diakonischen Einrichtungen, die schnell und unkompliziert auch schwerstbehinderte Menschen aufgenommen haben.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst dankte in einer Videobotschaft ebenfalls der Diakonie RWL und ihren Mitgliedern. In den vergangenen Monaten seien Energie- und Lebensmittelpreise gestiegen, in Gesundheits- und Pflegeberufen herrsche akuter Fachkräftemangel. "Bei diesen Herausforderungen helfen Sie tatkräftig mit – Tag für Tag. Wir müssen jetzt alles tun, damit die Menschen und sozialen Einrichtungen gut durch den Winter kommen."
Die Krise als Ausrede
Josef Neumann bestätigte, man sei sich über alle Parteigrenzen hinweg der Verantwortung bewusst: "Wir müssen die sozialen Strukturen sichern. Einrichtungen, die jetzt schließen, kommen nicht zurück!" In seiner Impulsrede sprach er drängende sozialpolitische Themen an – die Krankenhausreform beispielsweise, das Bürgergeld, die Situation in der Pflege oder das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Vor dem Hintergrund des internationalen Tages der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember mahnte er, die Teilhabe aller Menschen im Blick zu behalten, nicht nur derer mit einer Behinderung. "Dazu gehören auch arme Menschen oder solche, die Angehörige pflegen müssen." Neumann betonte, die Krise dürfe – etwa bei der Umsetzung des BTHG – nicht als Ausrede benutzt werden, um all das zurückzufahren, was Geld koste. "Sozialleistungen und Standards müssen erhalten bleiben."
Der NRW-Landtagsabgeordnete Josef Neumann rief die Diakonie dazu auf, sich weiterhin für Menschen stark zu machen, die keine Stimme haben.
Würde aller Menschen bewahren
An der Debatte zum Bürgergeld kritisierte Neumann den Gedanken "Leistung muss sich lohnen." "Und was ist mit denen, die scheinbar keine Leistung erbringen können – Kranke, Behinderte oder Alleinerziehende ohne Kitaplatz? Erbringen die keine gesellschaftliche Leistung?" Aufgabe des Sozialstaates sei es, die Würde aller Menschen zu bewahren. Man dürfe nicht zulassen, dass sich die gesellschaftliche Debatte in die falsche Richtung bewege. Neumann appellierte an die Delegierten: "Bringen Sie sich weiterhin politisch ein, erheben Sie Ihre Stimme und stehen Sie an der Seite der Menschen, die selbst keine Stimme haben!"
Die Diakonie RWL und ihr Vorstand treiben sozialpolitische Themen voran, unter anderem in vielen Treffen mit Vertreter*innen der demokratischen Parteien.
Mehr als 20 Treffen mit der Politik
Wie die Diakonie RWL dies in ihrer politischen Lobbyarbeit macht, legten Kirsten Schwenke und Christian Heine-Göttelmann im Vorstandsbericht dar: In mehr als 20 Treffen mit den demokratischen Parteien wurden sozialpolitische Themen vorangetrieben – unter anderem mit Ministerpräsident Hendrik Wüst, Lorenz Bahr-Hedemann (Staatssekretär im Familienministerium) und Vize-Landtagspräsident Rainer Schmeltzer. Zu einem parlamentarischen Frühstück zum Thema OGS kamen zudem rund 20 Gäste aus den Fraktionen im NRW-Landtag.
Zur NRW-Landtagswahl im Frühjahr startete die Diakonie RWL den Sozial-O-Mat, in dem 23 Parteien ihre Haltungen zu sozialpolitischen Thesen erläutert hatten. Mehr als 44.000 Nutzer*innen spielten das Tool durch, über 204.000 Menschen erreichte der Sozial-O-Mat in den Social-Media-Kanälen. Auch im Vorfeld der Landtagswahl im Saarland informierte die Diakonie RWL und bewarb den Liga-Wahl-Check mit Forderungen und Antworten der Parteien.
Lobbyarbeit Energiekrise
In der aktuellen Energiekrise hat die Diakonie RWL ihre Forderungen in direkten Gesprächen und Briefen an die entsprechenden Minister*innen, Fraktionsspitzen und fachpolitischen Sprecher*innen adressiert. Auch mit der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW und der Bundesdiakonie besteht eine enge Zusammenarbeit. Kürzlich wurden bestehende Informationen in einem Dossier für die Mitglieder zusammengefasst: https://www.diakonie-rwl.de/hohe-energiepreise
Wirtschaftlich steht der Landesverband gesund da: So konnte das Jahr 2021 mit einem Überschuss von rund 112.500 Euro abgeschlossen werden. Die Delegierten in der Hauptversammlung bestätigten den Jahresabschluss sowie die Entlastung des Vorstandes und Verwaltungsrates. Sie beschlossen ebenfalls den Wirtschaftsplan für das Jahr 2023.
Text und Fotos: Ilka Hahn