Hauptversammlung
Es war ein düsteres Bild, das der Leiter des Landesjugendamtes Rheinland zeichnete. "Die Arbeit geht uns nicht aus – aber die Fachkräfte", betonte er in seinem Vortrag auf der digitalen Hauptversammlung der Diakonie RWL. "Die Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe wachsen seit Jahrzehnten und werden weiterwachsen müssen, damit junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung gefördert werden", so Bahr-Hedemann.
Dafür aber seien gut ausgebildete und multiprofessionelle Fachkräfte dringend erforderlich. Bereits vor drei Jahren sei berechnet worden, dass allein bei der Kindertagesbetreuung 330.000 Fachkräfte fehlen, um bislang nicht erfüllte Elternwünsche nach einem Betreuungsplatz umzusetzen. Und falls man die Qualität der Angebote durch mehr Personal verbessern wolle, fehlten sogar 600.000 Fachkräfte.
Lorenz Bahr-Hedemann beklagte den Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe und der Offenen Ganztagsschule.
Fachkräfte neu definieren
"Die Kinder- und Jugendhilfe konkurriert mit anderen Arbeitsfeldern wie der Eingliederungshilfe, der schulischen Bildung, der Pflege und Rehabilitation", so Lorenz Bahr-Hedemann weiter. Man habe sich zwar jetzt auf zusätzliche Fachkräfte verständigt. Aber es sei wenig verwunderlich, dass bereits diverse Träger zurückmeldeten, dass die vereinbarten Schlüssel nicht umzusetzen seien. "Wir werden nicht umhinkommen, neu zu definieren, wen wir mit Fachkräften genau meinen." Der Leiter des Landesjugendamtes Rheinland sprach in seiner Rede auch den Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz an. "Er ist immer unter dem Blickwinkel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie diskutiert worden. Aber die OGS muss auch ein Ort der Kinder sein, in dem es um Bildung, Erziehung und Betreuung geht." Das sei in der Debatte bisher zu kurz gekommen.
Eines sei aber klar: Auch hier fehle es an Personal. "Etwa 620.000 Schülerinnen und Schüler gehen in NRW zur Grundschule. In circa 95 Prozent der Schulen halten wir aber nur für die Hälfte der Schülerinnen und Schüler Plätze in der OGS vor", erklärte Bahr-Hedemann. "Wir müssen davon ausgehen, dass ca. 200.000 Plätze neu geschaffen werden müssen. Und das würde einen Bedarf von zusätzlichen 22.000 Stellen in Voll- oder Teilzeit bedeuten."
Mitarbeitende der Diakonie RWL verfolgten den Impulsvortrag von Lorenz Bahr-Hedemann digital - und notierten sich seine Anregungen.
Studierende ansprechen
Deutlich werde, dass ein ganzes Maßnahmenpaket nötig sei, um den Fachkräftebedarf in der Kinder- und Jugendhilfe zu decken. Bahr-Hedemann forderte die Diakonie RWL und ihre Träger auf, sich ein Beispiel an der Wirtschaft zu nehmen: "Die Erstsemester in den Ingenieurstudiengängen werden systematisch von der Industrie angesprochen und mit Praktika versorgt, damit sie nach ihrem Studium den Weg in die Unternehmen finden." Habe die Diakonie ähnliche Programme, um flächendeckend und systematisch Studierende anzusprechen? "So könnte man sie für die unterschiedlichen Arbeitsfelder im sozialen Bereich interessieren, umwerben und später binden", so Bahr-Hedemann.
Im anschließenden Bericht des Vorstands sprachen die Diakonie RWL-Vorstände Kirsten Schwenke und Christian Heine-Göttelmann in der Hauptversammlung über die wichtigsten Themen des Jahres. Eines sei sicher das Hochwasser Mitte Juli gewesen, erklärte Kirsten Schwenke. Sie übernahm im Oktober das Amt von Thomas Oelkers, der in Ruhestand gegangen ist. "Mittlerweile haben wir neun Regionalteams mit insgesamt 25 Mitarbeitenden im Einsatz, die die Betroffenen vor Ort unterstützen und beraten."
Unterwegs für die Menschen in den Flutgebieten: In neun Regionen hat die Diakonie "mobile Teams" im Einsatz.
Hilfe für Opfer des Hochwassers
Weitere 15 Seelsorger, die bei der Evangelischen Kirche im Rheinland angestellt sind, ergänzen die Teams, so Schwenke. Die Diakonie RWL habe die Menschen im Laufe der vergangenen Monate mit unbürokratischer Soforthilfe, Bautrocknern, Wärmegeräten und Haushaltsbeihilfen unterstützt. Auch Gelder für die Wiederaufbauhilfe seien eingeplant. Finanziert würden die unterschiedlichen Maßnahmen aus Spendengeldern.
Christian Heine-Göttelmann berichtete unter anderem über die internen Veränderungen im Landesverband. So seien etwa neue digitale Austauschformate mit den Mitgliedern und der Landespolitik gestartet. "Die strukturierte Themenplatzierung mit der Politik ist uns wichtig." Der große Bereich Freiwilligendienst habe sich nach einem Corona-bedingten Einbruch in den vergangenen Monaten erholt und zeige eine deutliche Aufwärtsbewegung. Das Zentrum Teilhabe, Inklusion und Pflege werde 2022 aufgelöst und in zwei Zentren aufgeteilt: Pflege und Eingliederungshilfe. "So können wir uns noch breiter aufstellen." Dass das Thema Corona für die Mitglieder auch nach vielen Monaten noch prägend sei, zeigten nicht zuletzt die Zugriffszahlen auf die Corona-Infos auf der Diakonie RWL- Website, so Kirsten Schwenke. "In 2021 gab es hier 112.000 Klicks."
Wirtschaftlich steht der Landesverband gesund da: So konnte das Jahr 2020 mit einem Überschuss von rund 1,7 Millionen Euro abgeschlossen werden. Die rund 100 Delegierten in der Hauptversammlung bestätigten den Jahresabschluss sowie die Entlastung des Vorstandes und Verwaltungsrates mit großer Mehrheit. Sie beschlossen ebenfalls den Wirtschaftsplan für das Jahr 2022.
Text: Ilka Hahn, Fotos: Ilka Hahn und Sabine Damaschke