Diversität
Als Postdoktorandin hat Sylvia Nienhaus sich in verschiedenen Projekten beispielsweise mit frühkindlicher Bildung beschäftigt, in Sachen Bildungsungleichheit geforscht und in der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" mitgearbeitet. Im Laufe der Zeit sei ihr immer klarer geworden, wie viel Freude ihr auch die Lehre bereite, und dass sie künftig gerne noch mehr mitgestalten und Einfluss nehmen würde, sagt die 39-Jährige, deren Fokus auf den Bereichen Kindheit/Bildung/Erziehung liegt. Was ihr auf dem Weg zu einer möglichen HAW-Professur, also zu einem Ruf an eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), aber noch fehlte, war die nötige Praxiserfahrung.
Duales Programm
An dieser Stelle kommt der K-Weg – die Abkürzung steht für Karriere-Weg – ins Spiel: Das Programm der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe (EvH RWL) richtet sich an ausgewählte Nachwuchswissenschaftler*innen, die sich für eine HAW-Professur im Sozial-, Gesundheits- oder Pflegewesen qualifizieren möchten. Die Teilnehmenden sind dafür drei Jahre lang zu 50 Prozent als wissenschaftlich Mitarbeitende mit Lehrverpflichtung an der EvH RWL im Einsatz und zu 50 Prozent bei einem Praxispartner.
Im Fall von Dr. Sylvia Nienhaus ist dies das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL). Innerhalb der Diakonie RWL sind die beiden Geschäftsfelder Familie und junge Menschen sowie Tageseinrichtungen für Kinder ihre Andock-Stationen.
"Ich war beeindruckt, wie gut die Netzwerkarbeit und die Kontaktpflege innerhalb der Diakonie RWL funktionieren", sagt Wissenschaftlerin Dr. Sylvia Nienhaus.
Vielfalt im Alltag
Das Forschungsprojekt, das Sylvia Nienhaus während ihrer K-Weg-Zeit betreibt, trägt den Titel "Diversitätssensibles Handeln in Kita und OGS". Seit Mai sammelt sie dafür entsprechende Daten in zwei Einrichtungen der Diakonie Düsseldorf. Heißt: Sie führte Gruppendiskussionen mit Fach- und Leitungskräften und begleitet aktuell als teilnehmende Beobachterin den Alltag in den Einrichtungen.
"Ich bewege mich frei, schaue zu und mache meine Notizen. Ich kann mich aber auch einschalten, mitmachen und Fragen stellen", erklärt sie. Entsprechende Beobachtungen können etwa sein: Werden alle Kinder zum Sport aufgefordert? Wird es kommentiert, wenn ein Junge sich schminkt oder ein Kleid anzieht? In welchen Situationen werden Unterschiede gemacht und warum? Wie sieht es aus mit Statussymbolen: Ärgern sich die Kinder untereinander wegen "falscher" Kleidermarken? Hat die Einrichtung möglicherweise schon gewisse Diversitätsstandards, die jedoch im Alltag wegen Zeitdruck und Personalmangel untergehen?
"Wir als Diakonie RWL schätzen beim Karriere-Weg-Programm besonders den Theorie-Praxis-Transfer", sagt Tim Rietzke.
Barrieren abbauen, Teilhabe ermöglichen
Hintergrund des Projekts: "Unsere Mitglieder nehmen wahr, dass die Alterskohorte der Null- bis Zehnjährigen zusehends diverser wird. Sei es in Bezug auf das Herkunftsland, die religiöse und kulturelle Zugehörigkeit, den sozio-ökonomischen Status oder die Familienformen wie etwa Einelternfamilien, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Großfamilien und so weiter", berichtet Tim Rietzke, Leitung Geschäftsfeld Familie und junge Menschen bei der Diakonie RWL.
Im Sinne einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe gelte es zudem, die Teilhabe von Kindern mit Behinderungen sicherzustellen. Darüber hinaus träfen Fachkräfte in Kitas und OGS auf unterschiedliche Erziehungsvorstellungen der Eltern. "Es bedarf Fachwissen sowie Beobachtungs- und Reflexionskompetenzen, um Stereotype und Vorurteile, aber auch eigene subtile Ausgrenzungen und Diskriminierungen zu erkennen", so Rietzke.
Diversitätssensibles Handeln sei ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit in der frühkindlichen Bildung, sagt Sabine Prott, Leitung Geschäftsfeld Tageseinrichtungen für Kinder bei der Diakonie RWL.
Chancengerechtigkeit
Sabine Prott, Leiterin des Geschäftsfelds Tageseinrichtungen für Kinder der Diakonie RWL, ergänzt: "Wenn Fachkräfte Stigmatisierungs- und Ausgrenzungsmechanismen erkennen und vermeiden, leisten sie einen wichtigen Beitrag, Zugangsbarrieren für die Teilhabe von Kindern zu beseitigen. Neben der Bearbeitung konkreter Herausforderungen im Alltag der Einrichtungen stellt diversitätssensibles Handeln also auch einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit in der frühkindlichen Bildung dar."
Netzwerkarbeit und Kontaktpflege werden innerhalb der Diakonie RWL groß geschrieben.
Vorbildliche Netzwerkarbeit
Aus ihrer bisherigen Forschungsarbeit berichtet Sylvia Nienhaus: Normalerweise sei es zeitaufwendig, Feldforschung anzubahnen, wenn man an einer Hochschule arbeite und noch keine oder kaum Praxiskontakte habe. "Umso mehr war ich beeindruckt, wie gut die Netzwerkarbeit und die Kontaktpflege innerhalb der Diakonie RWL funktionieren." Entsprechend positiv fällt ihr Fazit aus: "So leicht wie diesmal bin ich tatsächlich noch nie ins Feld, sprich in die Einrichtung gekommen."
Auch die Entstehung ihres Projekts habe sie als unkompliziert empfunden. Für die Wissenschaftlerin besonders attraktiv: "Zum ersten Mal kann ich meine Forschungsergebnisse in der Praxis anwenden und mit den Problemen weiterarbeiten, sodass letztlich viele Menschen etwas davon haben."
Angewandte Forschung
Denn die Ergebnisse sollen gemeinsam mit allen Beteiligten ausgewertet und in die Einrichtungen implementiert werden, sodass sie einen wechselseitigen und vor allen Dingen nachhaltigen Nutzen haben: "Für die Diakonie und für mich", so Nienhaus.
Auch die beiden Geschäftsfeldleitungen Sabine Prott und Tim Rietzke sagen: "Dank der K-Weg-Stelle und der Erfahrung und Expertise von Frau Dr. Nienhaus hat die Diakonie RWL die Möglichkeit erhalten, gemeinsam mit ihren Mitgliedseinrichtungen ein wichtiges Thema zu bewegen."
Ihnen ist es wichtig, dass diversitätssensibles Handeln nicht nur während der Projektlaufzeit in den beteiligten Einrichtungen eine Rolle spielt. Deshalb sollen im Projekt Formate entwickelt und erprobt werden, die auch nach Abschluss weitergeführt und anderen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden können.
Die Einrichtungen sollen unmittelbar von den Forschungsergebnissen profitieren.
Wie es weitergeht
Nach der Vorstudie werden im zweiten Projektjahr die Ergebnisse der Gruppendiskussionen und die Beobachtungen aus den Einrichtungen gemeinsam mit Fachkräften in Workshops ausgewertet sowie bestehende Konzepte erweitert oder neu entwickelt. Das dritte Jahr ist dafür da, um das Projekt zu publizieren. Darüber hinaus sollen dann die erweiterten oder neuen Konzepte erprobt, evaluiert und – wenn nötig – angepasst werden.
In ihrer parallelen Funktion als wissenschaftliche Mitarbeiterin hofft Sylvia Nienhaus darauf, Ideen aus ihrem Projekt unmittelbar in die Lehre tragen zu können. "Gleichzeitig können die Studierenden bereits während des Projekts ihre Anregungen und Änderungsvorschläge einbringen", so Nienhaus.
Darauf setzt auch Tim Rietzke: "Wir als Diakonie RWL schätzen beim K-Weg-Programm besonders den Theorie-Praxis-Transfer." Sabine Prott ergänzt: "Außerdem hoffen wir, dass Frau Dr. Nienhaus – eben weil sie gleichzeitig in die Lehre eingebunden ist – Studierende frühzeitig für 'unsere' Themen und Einrichtungen begeistern kann."
Text: Verena Bretz, Fotos: Andreas Endermann/Diakonie RWL, Lena Manteuffel, Pixabay, Pixelio, Shutterstock