Diakonie-Präsident
Seit fast vier Jahren sind Sie Beauftragter der evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. In dieser Funktion leiten Sie das Evangelische Büro. Woran denken Sie gern zurück?
Rüdiger Schuch: Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich ein vertrauensvolles und konstruktives Arbeitsverhältnis zu den demokratischen Fraktionen, ihren Vorsitzenden, dem Landtagspräsidium sowie den beiden Landesregierungen und für uns zuständigen Ministerien und der Staatskanzlei aufbauen konnte. Ich erlebe das Evangelische Büro als höchst wirksame Einrichtung der Landeskirchen in die Landespolitik hinein. Dessen Bedeutung wird in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen. Auch die Zusammenarbeit mit dem Katholischen Büro, insbesondere mit meinem Pendant Dr. Antonius Hamers, war exzellent.
Was war besonders schwierig?
Schuch: Eine Herausforderung waren die Corona-Jahre. Es ist uns gelungen, die unterschiedlichen Fragestellungen und Interessen der Kirchen und Diakonie an das Land zeitnah und effektiv zu vermitteln sowie auch umgekehrt an Lösungen mitzuwirken. Diese Zeit war sehr intensiv und aufwändig.
Angesichts der enormen Vertrauenskrise der Kirchen durch die Fälle von sexualisierter Gewalt in den Kirchen und der Diakonie war es eine weitere Herausforderung, für Vertrauen in die kirchliche Arbeit zu werben.
Corona-Pandemie, Klimawandel, die Flutkatastrophe 2021 und der Angriffskrieg auf die Ukraine: Die dichte Abfolge und Überlappung von Krisen stellen die Politik vor enorme Herausforderungen. Das spüren die Kirchen und die Diakonie in ihren Arbeitsfeldern unmittelbar. Natürlich ist dies auch Gegenstand unzähliger Gespräche gewesen.
Rüdiger Schuch im Gespräch mit Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann (re.).
Sie haben sich eng mit der Diakonie RWL ausgetauscht. Was sind Faktoren für gelingende politische Kommunikation?
Schuch: Es ist von großer Bedeutung, wenn sich die Diakonie RWL und das Evangelische Büro gut abstimmen, Fragestellungen reflektieren, einander die Strategien vorstellen und gemeinsame Projekte entwickeln. Dabei müssen die Rollen klar sein: Wer ist für welche Themenbereiche Ansprechpartner für die Politik und welche Schwerpunkte besetzen jeweils die Landeskirchen oder die Diakonie? Entscheidend ist, dass die Kommunikation kohärent und wirksam wird, zum Wohle der uns anvertrauten Menschen und Themen.
Wie eng stehen aus Ihrer Sicht Kirche und Diakonie zusammen?
Schuch: Die Diakonie ist mit ihrer Arbeit in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft in der Gesellschaft höchst anerkannt. Von diesem Ansehen profitiert die Kirche in hohem Maße. Umgekehrt ist die Diakonie auf allen Ebenen gut beraten, die Nähe und enge Verbindung zu Gemeinde, Kirchenkreis und Landeskirche zu pflegen. Diakonie ist mehr als Wesen- oder Lebensäußerung der Kirche, sie vermag Kirche selbst abzubilden.
Um es kurz zu sagen: Diakonie und Kirche sollten eng zusammenstehen und die jeweiligen Transformationsprozesse konstruktiv begleiten.
"Wir müssen alles daransetzen, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken", betont Rüdiger Schuch, hier vor dem NRW-Landtag in Düsseldorf.
Die aktuelle Zeit gilt als besonders krisenhaft. Die Corona-Nachwirkungen, der russische Krieg, Inflation und Klima verunsichern viele Menschen. Teilen Sie diesen Befund?
Schuch: Unbedingt. Die Herausforderungen für die Politik und Institutionen, für jede und jeden von uns sind enorm. Und seien wir ehrlich: Die nächsten Jahre werden schwierig, und zwar eigentlich in allen Feldern. Hinzu kommt, dass mit populistischer Agitation versucht wird, das Vertrauen in unsere demokratische Grundordnung zu erschüttern.
Nun sagen uns die Regierungen im Bund und in den Ländern, dass sie sparen müssen. Viele soziale Errungenschaften stehen zur Disposition. Wie sollte sich die Diakonie in dieser Zeit positionieren?
Schuch: Die Aufgabe der Diakonie ist es, an der Seite der Menschen zu stehen und deren Interessen in schwierigen Zeiten mit Nachdruck zu vertreten. Damit die Diakonie vor Ort für die ihr anvertrauten Menschen wirksam bleiben kann, müssen die Landesverbände und die Diakonie Deutschland gegenüber der Politik die Anliegen und Bedarfe der diakonischen Unternehmen, Träger und Einrichtungen vertreten. Die Politik muss an die enorme Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Freien Wohlfahrtspflege für die Daseinsvorsorge immer wieder erinnert werden.
Rüdiger Schuch setzt auf transparente Kommunikation. Hier spricht er mit Christian Heine-Göttelmann, theologischer Vorstand der Diakonie RWL.
Was ist aktuell Ihre größte Sorge mit Blick auf unser Land und die Gesellschaft?
Schuch Meine größte Sorge gilt unserer demokratischen Grundordnung. Ich sehe unser politisches System zunehmend unter Druck von populistischen Strömungen, die immer mehr an Einfluss gewinnen. Zudem verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen, dass eine demokratisch gewählte Regierung und ein demokratisch gewähltes Parlament den Herausforderungen gewachsen sind. Wir müssen alles daransetzen, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken.
Und was würden Sie den Bundes- und Landesregierungen mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt raten?
Schuch: Ich werbe dafür, dass die Starken in der Gesellschaft wieder mehr Verantwortung für die Gesellschaft, insbesondere für die Schwächeren, übernehmen. Im Land und im Bund muss es gelingen, den Menschen zu vermitteln, dass die Krisen bewältigt werden können. Die Politik, aber auch die Kirche muss Ängsten entgegenwirken und dafür eintreten, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse nachvollziehbar, verstehbar und mitzugestalten sind. Ein Schlüssel dazu liegt in der Bildung. Es wird darauf ankommen, dass Landes- und Bundesregierung bereit sind, unser Bildungssystem nachhaltig zu stärken, zu reformieren und mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten. Auch die Kirchen sollten in der Bildungsarbeit weiterhin einen Schwerpunkt ihres Wirkens erkennen und möglichst nicht zurückbauen.
Was halten Sie vom Begriff des "Sozial-Lobbyisten"?
Schuch: Ich stehe ihm nicht kritisch gegenüber. Die Diakonie Deutschland ist Lobbyistin, und es ist von großer Bedeutung, dass sie sich unter Einbeziehung der Menschen, die Hilfe und Unterstützung benötigen, für deren Interessen einsetzt. Zudem ist es notwendig, dass die Interessen der diakonischen Unternehmen mit Nachdruck an die Politik getragen werden. Auch dies sollte unter Einbeziehung der Träger und Einrichtungen geschehen.
"Die Aufgabe der Diakonie ist es, an der Seite der Menschen zu stehen und deren Interessen in schwierigen Zeiten mit Nachdruck zu vertreten", sagt Rüdiger Schuch.
Worauf freuen Sie sich mit Blick auf Ihre neue Aufgabe?
Schuch: Die Diakonie Deutschland und das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung stehen vor großen Herausforderungen. Allerdings sehe ich, dass die drei Marken Diakonie Deutschland, Brot für Welt und Diakonie Katastrophenhilfe höchst anerkannte Arbeit leisten. Zudem sind sie frühzeitig in strategische Überlegungen eingetreten, wie die Transformationsprozesse in der Gesellschaft sowie in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft verantwortlich gestaltet werden können. Ich freue mich darauf, mich in diese Arbeit einbringen zu können.
Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen Umbruch – ich will nur die Stichworte Klimawandel, Digitalisierung und Demografie nennen oder den Mangel an Fachkräften, von dem auch die Diakonie stark betroffen ist. Die Diakonie steht mitten im Leben und will für das Leben mitgestalten. Daran will ich gern mitarbeiten und Verantwortung übernehmen an der Spitze einer großen Organisation, in der mehr als 600.000 Menschen beschäftigt sind und in der sich rund 700.000 Ehrenamtliche engagieren – in über 30.000 Einrichtungen in den Landes- und Fachverbänden.
Wovor haben Sie Respekt?
Schuch: Landes- und Bundesregierung sind zu Sparmaßnahmen gezwungen: Der Bundeshaushalt 2024 sieht in seiner vorläufigen Aufstellung Kürzungen in gleich mehreren Arbeitsfeldern der Diakonie vor. Natürlich erfüllt mich das mit Sorge. Der Sozialstaat darf nicht durch kurzsichtige Sparmaßnahmen gefährdet werden. Er ist ein stabilisierender Grundpfeiler dieser Gesellschaft.
Respekt im Sinne von Furcht empfinde ich derzeit nicht. Jedoch habe ich großen Respekt vor der Leistung derer, die sich in und für die Diakonie seit vielen Jahren einsetzen. Unzählig viele müsste ich aufzählen. Präsident Ulrich Lilie hat es sehr gut verstanden, sowohl die Interessen der Diakonie gut in die Politik und Öffentlichkeit zu vertreten als auch in den Verband hinein wichtige Impulse zu geben und zu moderieren. Das ist eine gute Basis, auf der ich meine Tätigkeit aufbauen kann.
Rüdiger Schuch (li.) und Christian Heine-Göttelmann haben sich in Düsseldorf getroffen und miteinander gesprochen.
Ihr Abschied aus NRW steht bevor, da Sie mit Präsident Ulrich Lilie den Übergang gut gestalten wollen. Was wünschen Sie Kirche und Diakonie in Nordrhein-Westfalen?
Schuch: Ich hoffe, dass sie in den notwendigen Veränderungsprozessen die Menschen nicht aus den Augen verlieren. Ich wünsche mir eine Diakonie und Kirche, die mitten in der Gesellschaft zu finden und den Randständigen nahe sind.
Ich wünsche den Kirchen in NRW, dass die Zuversicht den Verdruss verdrängt, und zum Vorschein kommt, wie sinnerfüllend ein Leben im christlichen Glauben und mit Kirche sein kann. Dabei hilft es, regelmäßig die Fenster zu öffnen und durchzulüften.
Ich wünsche den Landeskirchen und der Diakonie RWL, dass sie den Kurs der ehrlichen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt nicht verlassen, sich für das Leid der Opfer weiterhin und immer neu öffnen, so dass strukturelle Veränderungen nachhaltig implementiert und weiterentwickelt werden können. Ebenso, dass in der präventiven Arbeit nicht nachgelassen wird. Hier ist es wichtig, dass auch die diakonischen Träger sich dieser Aufgabe verstärkt widmen.
Die Fragen stellten Ilka Hahn und Franz Werfel; Fotos: Lars Heidrich
Diakonie RWL
Zur Person
Oberkirchenrat Rüdiger Schuch ist seit 2020 Beauftragter bei Landtag und Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und Leiter des Evangelischen Büros NRW in Düsseldorf. Zuvor war er Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Perthes-Stiftung e.V. in Münster.
Von 2006 bis 2013 stand er als Superintendent an der Spitze des Evangelischen Kirchenkreises Hamm und gehörte in dieser Zeit mehreren diakonischen Aufsichtsgremien an.