Arbeitslosenreport NRW
Die Corona-Krise hat den Arbeitsmarkt auf den Kopf gestellt. Kurzarbeit, Entlassungen und fehlende Neueinstellungen haben viele Menschen in Existenznöte gebracht. Während sich die Arbeitslosenzahlen langsam verbessern und vor allem Menschen, die erst kürzlich ihren Job verloren haben, neue Arbeit finden, bleiben viele Langzeitarbeitslose zurück.
Es ist ein Teufelskreis: Umso länger jemand ohne Job ist, umso schwieriger wird es, eine Anstellung zu finden. Wer länger als ein Jahr ohne Arbeit ist, gilt als langzeitarbeitslos. Im Vergleich zum März 2020 ist in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Langzeitarbeitslosen um 39 Prozent auf über 335.000 Personen im Mai 2021 gestiegen. Das zeigt der aktuelle Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW.
Qualifizieren gegen die Langzeitarbeitslosigkeit
Michael Omsels von der diakonischen Beschäftigungsgesellschaft "low-tec" kennt das Problem: "Wer lange aus dem Arbeitsleben raus ist, verliert wichtige Kompetenzen. Es fehlen die Routinen, oft ist das Fachwissen veraltet oder die Leute bringen keine solide Berufsausbildung mit." Und: Wer jetzt arbeitslos ist, hat heute eine um knapp 25 Prozent geringere Chance, einen Job zu finden als noch vor der Krise.
Viel persönliches Coaching und Online-Lernen: Die low-tec hat in der Corona-Pandemie schnell auf digitales Lernen umgestellt, erzählt Geschäftsführer Michael Omsels.
Menschen ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss sind in NRW am stärksten von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Allerdings hat in der Corona-Krise die Gruppe der Langzeitarbeitslosen mit akademischer Ausbildung den höchsten Zuwachs erfahren. Während im März 2020 noch rund 9.600 Akademiker länger als 12 Monate nach Arbeit suchten, waren es im Mai 2021 14.400.
Lebenslanges Lernen
Dennoch schützt eine gute Qualifizierung noch immer am effektivsten vor Langzeitarbeitslosigkeit, betont Sabine Zander, Referentin für berufliche Integration: "Eine gute Ausbildung ist entscheidend. Lebenslanges Lernen und die kontinuierliche Weiterbildung werden immer wichtiger."
Das ist auch der Ansatz der "low-tec", die bis zu 1.500 Menschen für den Jobmarkt fit macht. Die Devise der Beschäftigungsgesellschaft: Qualifizieren und weiterbilden statt einen schnellen Job zu vermitteln. "Da müssen wir bei vielen Menschen erst einmal Überzeugungsarbeit leisten", so Michael Omsels. "Es dauert einfach lange, Schul- und Berufsabschlüsse nachzuholen. Das schnelle Einkommen erscheint auf den ersten Blick oft leichter und vermeintlich lukrativer."
Digital gehört dazu: Bereits vor der Pandemie hat die low-tec einen starken Fokus auf den Erwerb von Medienkompetenz gesetzt.
Digital durch die Corona-Pandemie
Die Pandemie hat das Lernen in dem Aachener Unternehmen verändert. Statt Schweißen in der Werkstatt stand plötzlich das digitale Lernen in den Berufsausbildungen in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE) im Vordergrund. "Es war eine anstrengende Zeit. Wir haben viel persönliches Coaching angeboten, Pakete per Post nach Hause geschickt und Online-Aufgaben erstellt", erzählt Omsels. Dabei sei deutlich geworden, dass viele der jungen Teilnehmenden Lücken in ihrer digitalen Bildung haben. "Die jungen Frauen und Männer haben alle Smartphones. Damit kennen sie sich aus. Einige spielen in ihrer Freizeit auch mit Spielekonsolen. Aber viele können keinen Laptop bedienen und wissen nicht, wie sie verlässliche Informationen finden, wie sie recherchieren und wie sie sich digital weiterbilden können."
Für rund hundert Teilnehmende hat die "low-tec" kurzfristig Laptops organisiert. "Die ‘Digital Natives’ sind diejenigen, die in Akademiker-Haushalten aufgewachsen sind", meint Michael Omsels. "Die sind es gewohnt, Infos zu finden, sich schnell mit einem neuen Gerät zurechtzufinden. Jugendliche, die aus einkommensschwachen Familien stammen, haben da oft große Probleme und müssen das digitale und hybride Lernen erst lernen."
Geschlossen: Zu Beginn der Corona-Pandemie haben viele jüngere Arbeitnehmer aus der Gastronomie und dem Tourismus ihre Jobs verloren.
Jüngere besonders betroffen
Arbeitgeber erwarteten besonders von jungen Menschen, dass sie sich online zurecht finden und digital unterwegs sind, beobachtet Sabine Zander. Mit Sorge betrachtet sie den rasanten Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit bei Jüngeren. Im Mai 2021 waren in NRW rund 10.000 Menschen im Alter zwischen 15 und unter 25 Jahren und 67.800 zwischen 25 und unter 35 Jahren bereits ein Jahr oder länger arbeitslos.
Die Wohlfahrtsverbände warnen bereits vor einer ‘Generation Corona’. Gerade in diesen Altersgruppen könne man viel erreichen mit Bildungsberatung, Bildungsbegleitung und einer Art ‘Bildungsbonus’ für die, die sich beruflich neu orientieren und eine längere Qualifizierung absolvieren wollen, heißt es von den Wohlfahrtsverbänden. "Gerade jetzt müssen wir besonders in die jungen Menschen investieren", fordert Sabine Zander.
Für viele Schulabgänger könnte es im Aachener Raum schwierig werden, einen Ausbildungsplatz zu finden, meint auch der Geschäftsführer der "low-tec". "Noch ist es aber zu früh für eine abschließende Bewertung. Die Wirtschaft kommt jetzt wieder in Schwung. Ich habe noch alle Hoffnung, dass sich der Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit nicht weiter verfestigt."
Text: Ann-Kristin Herbst, Fotos: low-tec, Shutterstock.