18. Oktober 2016

Inklusion – Gute Beispiele

Wo alle unter einem Dach wohnen

Zusammen feiern, Spielenachmittage veranstalten oder für den Nachbarn den Müll raustragen: Studenten, Senioren und Menschen mit Behinderung leben in Mainz-Gonsenheim zusammen. Das Wohnprojekt der Stiftung Kreuznacher Diakonie gilt auch in der Politik als ein Beispiel gelungener Inklusion.

Wohngebäude von oben aufgenommen

Für die 83-jährige Inge Sturm war ihre alte Wohnung mit 100 Quadratmetern zu groß. "Das ist zu viel, um Ordnung zu halten", sagt sie. "Ich wollte mich gerne verkleinern." Zudem suchte sie ein Haus, in dem sie bis zu ihrem Lebensende bleiben kann.

Gefunden hat sie das Wohnprojekt "Leben in Gemeinschaft" der Stiftung Kreuznacher Diakonie in Mainz-Gonsenheim. Hier lebt Sturm in ihrer eigenen Zweizimmerwohnung - unter einem Dach mit Studenten und Menschen mit Behinderung.

"Unser Ziel ist es, viele verschiedene Personengruppen anzusiedeln", sagt Jutta Weiß, Leiterin des Bereichs Wohnen und ambulante Assistenz bei der Kreuznacher Diakonie. Menschen mit Behinderung sollten in dem Projekt die Möglichkeit erhalten, in der Nähe Angehöriger oder ihres Herkunftsortes zu wohnen. "Weg von Komplexeinrichtungen, hin in den Sozialraum", beschreibt Weiß das Konzept. Insbesondere Menschen mir schweren und mehrfachen Behinderungen sollen so an den Angeboten im Stadtteil teilhaben können.

Günstige Miete für Studenten, die helfen

Für behinderte Menschen gibt es 18 Plätze im stationären Wohnen, für Senioren 22 Wohnungen zwischen 35 und 55 Quadratmetern. "Diese Wohnangebote sind schnell weg gewesen", erklärt Weiß. Mittlerweile leben auch zehn Studenten in dem Haus, drei weitere Plätze sind noch frei. Für sie ist das klassische Angebot "Wohnen gegen Hilfe" vorhanden: ein günstiger Mietpreis gegen Engagement im Alltag. 

Blick auf Gebäude mit Balkonen

Für Familien zu klein? Noch fehlen Kinder in der Wohnanlage

Auch Familien sollten angesiedelt werden, in drei frei stehenden Häusern mit insgesamt 16 Wohnungen, die sich um die Wohnanlage herum befinden. Bislang hat das nicht geklappt. "Es ist schade, dass dort bisher keine Familie mit Kindern eingezogen ist", sagt Weiß. "Das mag vielleicht am Wohnungszuschnitt oder den Preisen liegen."

Auch für diese Häuser sind wie im Haupthaus Assistenzangebote für Menschen mit Behinderung oder Serviceleistungen für Senioren wie Wohnungs- und Wäschereinigung verfügbar.

Gemeinsames Turnen, Tanzen und Basteln

Wie viele solcher Wohnprojekte es bundesweit gibt, wird nicht zentral erfasst. Ein weiteres Beispiel ist das Mehrgenerationenwohnhaus Ledo in Köln-Niehl. Dort leben unter anderem Alleinerziehende und Paare mit Kindern sowie Rollstuhlfahrer zusammen. Die aus drei Häusern bestehende Wohnanlage umfasst 64 Wohneinheiten und steht auch den anderen Menschen im Viertel offen - so wie in Mainz-Gonsenheim. Das "Ledo" war in diesem Jahr sogar für den Inklusionspreis NRW nominiert, weil hier seit Ende 2008 ein aktives Zusammenleben von rund 90 Menschen verschiedener Altersgruppen mit und ohne Behinderungen umgesetzt wird.

Im Außengelände der Wohnanlage in Mainz-Gonsenheim bietet der örtliche Turnverein einmal die Woche ein einstündiges Bewegungsangebot für Jung und Alt an, wie Wohnleiterin Weiß berichtet. "Zurzeit sind wir in Abstimmung über weitere Angebote wie zum Beispiel Tanzen." Auch die Angebote der benachbarten Kirchengemeinden nutzten die Bewohner der Anlage. Es gehe darum, das Wohnprojekt und die Menschen an den Stadtteil anzudocken, betont Weiß.

Senioren spielen Mensch-ärgere-dich-nicht, vor dem Tisch steht Malu Dreyer

Hoher Besuch beim Spielenachmittag:  die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (Mitte) sieht sich das Wohnprojekt an

In der Wohnanlage gibt es zu diesem Zweck ein sogenanntes Inklusionsmanagement, um die restlichen Angebote kümmern sich die Bewohner selbst. "Eine Seniorin organisiert zum Beispiel Bastelstunden", berichtet Weiß. Hinzu kommen Nachbarschaftsfeste, Spielkreise, Kochangebote, gemeinsames Picknicken und Wanderungen.

Gemeinschaftsleben braucht Zeit

Inge Sturm versucht, an so vielen Veranstaltungen wie möglich teilzunehmen: etwa am gemeinsamen Mittagessen, das seit Mai zweimal pro Woche angeboten wird. Schön wäre es, noch etwa mehr Kontakt zu den Bewohnern mit Behinderung zu haben, sagt sie. Das sei mit den stationär untergebrachten Menschen aber schwieriger, da sie häufig abhängig von ihren Betreuern seien. Auch manchen Senioren falle es schwer, Kontakt zu ihnen aufzubauen, berichtet Sturm. Für sie selbst sei das aber kein Problem: "Ich kann so auf sie zugehen."

"Hier entwickelt sich allmählich eine Form von Gemeinschaftsleben", sagt Wohnleiterin Weiß. Das brauche seine Zeit. So würden etwa die Studenten den Senioren den Müll raustragen oder auch mal einen Kasten Wasser besorgen. "Die Senioren hier sind Menschen, die ganz bewusst nicht alleine alt werden wollen und rege Anteil am Leben der Nachbarn nehmen", betont Weiß.

Text: Marc Patzwald (epd), Fotos: Stiftung Kreuznacher Diakonie