Inklusion - Gute Beispiele
Konzentriertes Lesen der Texte: Monika Lehnen (vorne), Sascha Hoogwaerts und Irene Stamp
Jetzt also Internet. Ist das ein schwieriger Begriff, der übersetzt werden sollte? Die Kommission diskutiert. "Großes Netz", schlägt Irene Stamp vor. Die anderen schütteln die Köpfe. Keine gute Idee. Eigentlich wissen alle, was es damit auf sich hat. Sascha Hoogwaerts spricht schließlich ein Machtwort: "Internet ist Internet. Das ist überhaupt kein schwieriges Wort. Punkt." Beifälliges Nicken in der Runde. Internet bleibt.
Irene Stamp und Sascha Hoogwaerts sind Mitglieder der Prüfkommission für Leichte Sprache der Diakonie Michaelshoven. Die Kommission entscheidet, ob die ihr vorgelegten Texte den Kriterien der Leichten Sprache genügen. Heute haben sie einen Fragebogen der "dia.Leben Michaelshoven gGmbH" vor sich liegen. Die Tochtergesellschaft der Diakonie Michaelshoven will Menschen mit Behinderungen nach ihrer Zufriedenheit mit den Wohnverhältnissen fragen. Neben Sascha Hoogwaerts und Irene Stamp gehören noch vier weitere Mitglieder zur Prüfkommission, die in dem kleinen Konferenzraum auf dem Gelände der Diakonie tagt. Alle Mitglieder der Kommission sind Menschen mit Lernschwierigkeiten. Einige können lesen und schreiben, einige nicht.
Alexandra Dicks leitet die Prüfkommission
Leichte Sprache überall etablieren
Ausgebildet wurden die Kommissionmitglieder beim "Büro für Leichte Sprache" in Köln. Bundesweit gibt es rund 100 solcher Büros, die Texte in Leichter Sprache für Behörden, Kirchen, Verbände und Parteien verfassen. Seit 2012 arbeitet das Kölner Büro eng mit der Diakonie Michaelshoven zusammen. Es gibt genug zu tun, denn bis 2017 müssen alle Behörden ihre Bescheide für Menschen mit Behinderungen in Leichter Sprache versenden. So sieht es die UN-Behindertenrechtskommission vor, die Deutschland 2009 unterschrieben hat.
"Auch bei der Diakonie Michaelshoven ist es uns ein besonderes Anliegen, das Thema ´Leichte Sprache´ in allen Bereichen zu etablieren", sagt Diplompädagogin Alexandra Dicks. Sie leitet die Prüfkommission, die sich alle vier Wochen trifft. Dort werden dann nicht nur die Texte für Behörden und Verbände geprüft, sondern auch alle Flyer, die die Einrichtungen der Diakonie Michaelshoven herausgeben möchten. Denn: "Nur wer Zugang zu Informationen hat, kann Entscheidungen für sein Leben treffen", betont Alexandra Dicks.
In der Kürze liegt die Würze
Zielgruppe sind neben Menschen mit Lernschwierigkeiten auch solche mit Migrationshintergrund oder Demenz. In Deutschland soll es immerhin rund 20 Millionen Menschen geben, die Schwierigkeiten mit dem Verständnis von Texten haben. Wichtige Regeln für die Leichte Sprache sind: man verwendet kurze Wörter und Sätze. Fremdwörter sind zu vermeiden oder einfach zu erklären. Schwierige Wörter werden in Lautschrift nach dem Motto "So spricht man das" formuliert. Jeder Satz enthält nur eine Information und besteht idealerweise aus Subjekt, Prädikat und Objekt.
Monika Rauch, Sabine Schmitz und Heike Griese (v.l. nach r.) sind strenge Prüferinnen
Schlüsselwörter werden fett geschrieben. Auf Sonderzeichen und Kommata ist zu verzichten, ebenso auf große Zahlen. Abkürzungen werden immer ausgeschrieben und erklärt. "Morgen regnet es vielleicht" ist viel besser als "Morgen könnte es regnen". Konjunktive sind nämlich ebenfalls nicht erwünscht. "Das gilt auch für Redewendungen wie Raben-Eltern, die sich nicht auf Anhieb erschließen", nennt Alexandra Dicks eine weitere Regel für die Leichte Sprache.
Beispiele gibt es viele: "Erlauben" ist besser als "genehmigen", "Bus und Bahn" kann man besser verstehen als "Öffentlicher Nahverkehr". Sascha weist noch auf eine weitere Bedingung für Leichte Sprache hin: "Lange Worte werden immer mit Bindestrichen getrennt." Jedes Wort vor und nach den Bindestrichen muss einen eigenen Sinn ergeben. "Work-Shop" gilt als schwieriges Wort. Verständlicher wäre es wohl, so Alexandra Dicks, wenn man den "Work-Shop" schlicht "Arbeits-Gruppe" nennen würde. Darunter könne sich jeder und jede etwas vorstellen.
Prüfer-Job stärkt Selbstbewusstsein
Aber weiter im Prüfverfahren für den Fragebogen-Text. Statt "Sie haben schwere Themen zu besprechen" soll es auf Vorschlag von Kommissionmitglied Ute Demann heißen: "Sie haben ein schweres Thema zu besprechen". Die anderen Prüfer nicken mit den Köpfen. Schon nach kurzer Zeit ist klar: jeder wird hier mit- und ernstgenommen. Die Mitglieder sind Experten in eigener Sache. Als solche sind auch regelmäßig in Kölner Schulen zu Gast, um Jugendliche in die Regeln der Leichten Sprache einzuführen.
Monika Rauch (ganz links) geht regelmäßig als Expertin für Leichte Sprache in Kölner Schulen
Die Hälfte der Prüferinnen und Prüfer wohnt auf dem Gelände der Diakonie. Die anderen leben in eigenen Wohnungen, arbeiten in Werkstätten und werden betreut. "Je nach Handicap schaut ein Betreuer einmal die Woche oder öfter vorbei und fragt, ob alles in Ordnung ist", erklärt Alexandra Dicks. Alle Kommissionsmitglieder haben sich für die Ausbildung zum Prüfer beworben. Der ehrenamtliche Job macht ihnen nicht nur Spaß, er gibt auch Selbstbewusstsein.
Zum Schluss der Sitzung gibt es noch den Vorschlag, "Arzt" als schwieriges Wort einzustufen und mit einem Bindestrich zu trennen. Doch das lehnt die Runde freundlich, aber bestimmt ab. "Arzt kann man so stehen lassen", findet Irene Stamp. "Da weiß jeder, was damit gemeint ist." Das gilt zur Überraschung des Reporters auch für den Flyer. Noch einmal hat Sascha Hoogwaerts das letzte Wort: "Flyer, das kann man so stehen lassen."
Text und Fotos: Stefan Rahmann