17. Mai 2018

Hochzeit mit Handicap

"Die Liebe ist uns wichtig"

Eine Hochzeit in weißem Brautkleid mit vielen Gästen und schöner Deko – Yasmine hat sich diesen Wunsch erfüllt. Vor drei Jahren heiratete sie Manfred, den sie in der Evangelischen Stiftung Hephata kennengelernt hat. Obwohl es längst üblich ist, dass Menschen mit geistiger Behinderung in einer Partnerschaft leben, sind Ehen eher selten. Noch immer gibt es viele Vorbehalte.

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Glückliches Brautpaar: Yasmine und Manfred

Wenn Yasmine von ihrer Hochzeit erzählt, gerät sie ins Schwärmen. "Das Wetter war toll, das ganze Haus und der Garten schön geschmückt und wir hatten viele Gäste", sagt die 34-jährige Frau, die mit ihrem Mann Manfred in einem Appartement der Stiftung Hephata in Mettmann bei Düsseldorf lebt.

Sie hatte ein weißes Brautkleid an. Es gab eine Hochzeitstorte, Blumen, Geschenke, bunte Luftballons und sogar eine Hochzeitsreise. Eben alles, was zu einer romantischen Feier gehört. "Die Liebe ist uns wichtig. Und das Ja sagen. Und die Hochzeitsringe anlegen", betont Yasmine.

Für die Evangelische Stiftung Hephata war die Hochzeit von Yasmine und Manfred ein besonderes Ereignis. An 36 Orten in Nordrhein-Westfalen unterstützt die Stiftung in kleinen Wohngruppen und Häusern für 8 bis 14 Personen knapp 1.500 Menschen mit Lernschwierigkeiten zwischen 18 und über 90 Jahren. Dass sich dabei auch Liebesbeziehungen entwickeln, sei selbstverständlich, berichtet Sabine Hirte, Geschäftsleiterin der Hephata Wohnen ghmbH. "Aber Hochzeiten sind nicht an der Tagesordnung." Und das, so meint sie, habe auch mit gesellschaftlichen Vorbehalten zu tun, auf die Menschen mit Behinderung stoßen, wenn sie eine Ehe schließen wollen.

Portrait

Eltern haben oft Probleme, die Partnerschaften ihrer erwachsenen Kinder zu akzeptieren, beboachtet Sabine Hirte. 

Ein Leben lang Kind

Der Standesbeamte kann ein Gutachten verlangen, in dem ein Arzt prüft, ob das Paar geschäftsfähig ist und die Tragweite der Eheschließung absehen kann. Das allerdings komme nur noch selten vor, beobachtet Sabine Hirte. Vorbehalte gibt es dagegen oft bei den Eltern und Angehörigen. "Viele haben Schwierigkeiten damit, ihre Kinder als Erwachsene mit dem Wunsch nach Sexualität und Partnerschaft wahrzunehmen."

Das bringt die Bewohner, die bei Hephata als "Kundinnen und Kunden" bezeichnet werden, häufig in Konflikte. "Sie haben eigene Sehnsüchte, die sie leben möchten, und wollen gleichzeitig ihre Eltern nicht vor den Kopf stoßen", sagt die Geschäftsleiterin. Nicht selten bäten sie daher die Betreuer, den Eltern zu verschweigen, dass sie verliebt seien oder gar eine Beziehung hätten. Eine schwierige Situation für alle Beteiligten. "Unsere Aufgabe ist es dann, dieses Dreiecksverhältnis so aufzulösen, dass es die Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht zerreißt."

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Yasmine mit ihrer Mutter Marion 

"Natürlich waren da Bedenken"

Auch Yasmine bat ihre Betreuerin Melanie, mit "Mama und Papa zu sprechen, weil wir gerne heiraten wollten". Doch ihre Eltern reagierten mit Verständnis. "Manfred ist viel älter als sie und natürlich waren da Bedenken", gibt Marion Kremerius zu. "Aber Yasmine weiß, was sie will und sie wollte Manfred heiraten." Der 73 Jahre alte Mann ist immerhin fast vierzig Jahre älter als sie. Auch Vater Timo Kremerius legte dem Paar keine Steine in den Weg. "Beruhigend ist für mich, dass sie in einer Umgebung leben, wo sie liebevoll von engagierten Menschen behütet werden und somit ein sorgenfreies Leben führen können", betont er.

Dass es Yasmine mit dem sehr viel älteren Manfred ernst meinte, hatte sie ihrer Familie schon lange vorher bewiesen – und ihnen damit Zeit gegeben, sich daran zu gewöhnen. Nach drei Jahren Freundschaft war sie mit Manfred in ein gemeinsames Appartement gezogen. Ein Jahr später hatte sie sich verlobt, bevor sie 2015 heiratete.

Yasmine küsst Manfred

Der innige Hochzeitskuss nach der Trauung macht klar: Hier lieben sich zwei mit Leib und Seele.

Sex nur mit bunter Bettwäsche

Paare, die sich in den Wohngruppen der Stiftung ein Appartement teilen oder ihre beiden Einzelzimmer als Wohn- und Schlafzimmer einrichten, gibt es häufiger. Und dass die Beziehung sexuell ist, verschweigen die Bewohner meist auch nicht. "Wir haben hier zum Beispiel ein Paar, das sich immer eine bestimmte bunte Bettwäsche holt, wenn es Sex haben möchte", erzählt Sabine Hirte. Solange die Beziehung beiden gut tue, werde das wohlwollend von den Betreuern begleitet und unterstützt.

"Eltern machen sich da viel mehr Sorgen, vor allem, wenn es um das Thema Verhütung geht", beobachtet die Sozialpädagogin. Die Angst, die Tochter könnte schwanger werden, sei sehr groß. "Wir verstehen diese Sorgen. Aber wir können nicht von Selbstbestimmung und Teilhabe reden und das Thema Sexualität, Schwangerschaft und Kinderwunsch dabei ausschließen."

Wenn ein Paar einen Kinderwunsch habe, müsse dies ernst genommen werden, meint Sabine Hirte. Ein Kind zu haben, bedeute viel Verantwortung und das sei den meisten Paaren durchaus zu vermitteln. Es gehe dann in erster Linie um das Wohl des Kindes. „Viele empfinden ihren Alltag schon jetzt als beschwerlich, so dass ein Kinderwunsch selten wirklich ernsthaft verfolgt wird.“ Und wenn doch? Dann, so meint die Geschäftsleiterin, seien Eltern, Betreuer und Fachleute gefordert zu prüfen, ob eine Familiengründung mit Assistenz möglich ist.

Gruppenfoto

Ein Erinnerungsfoto für Yasmine, die gerne aus dem Rahmen fällt: Schwester Cathy Kremerius mit den Eltern Marion und Timo

Partnerschaft – alles ist in Bewegung

"Alles ist aktiv in Bewegung", sagt Sabine Hirte lachend – und meint damit das gesamte Thema Partnerschaft. Denn neben der großen Liebe mit Kinderwunsch gibt es auch die verzweifelte Suche nach "Mister oder Miss Right". Es gibt Streit und Versöhnung, aber auch Trennungen mit viel Herzschmerz.

All das erleben und begleiten die Betreuer täglich. Und wenn es ein Paar gegen alle kleinen und großen Widerstände schafft, seinen Heiratswunsch zu verwirklichen, ist das ein besonderes Ereignis.

"Hätte ich gedacht, dass meine Schwester einmal heiratet?" fragt Cathy Kremerius. "Nein, aber ich habe mich sehr gefreut, dass sie mich, wie so oft, eines Besseren belehrt und allen, die daran teilnehmen durften, ein unvergessliches Erlebnis beschert hat."

Text: Sabine Damaschke, Fotos: Udo Leist/Stiftung Hephata