11. September 2017

Bundesteilhabegesetz

Noch viele offene Fragen in NRW

Lange wurde um das Bundesteilhabegesetz gerungen. Seit Ende vergangenen Jahres ist es beschlossen. Nun geht es um die Umsetzung in den Bundesländern. Viele Fragen sind noch offen. Der evangelische Fachverband Behindertenhilfe und Psychiatrie in der Diakonie RWL hat jetzt einige im Gespräch mit NRW-Landtagsabgeordneten auf den Tisch gebracht.

Michael Conty und Katja Alfing

Der Ort für den Austausch zum neuen Bundesteilhabegesetz war gut gewählt. Das Gespräch fand im PIKSL-Labor in Düsseldorf statt, einer diakonischen Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Sie möchte mit digitalem Wissen eine immer komplizierter werdende Welt einfacher machen. Genau der richtige Ort, um das komplexe Bundesteilhabegesetz zu beleuchten und zu diskutieren.

Einig war man sich, dass das neu zu gestaltende Ausführungsgesetz – in dem das Bundesteilhabegesetz für NRW konkretisiert wird – Ausgangspunkt für verbesserte Leistungen sein muss. Es darf nicht darum gehen, zu Lasten von Menschen mit Behinderungen zu sparen. Das betonten sowohl die Expertinnen und Experten des evangelischen Fachverbandes Behindertenhilfe und Psychiatrie in der Diakonie RWL als auch die Landtagsabgeordneten der SPD und Grünen. Mit den Parteien der Regierungsfraktionen wird der Fachverband in der kommenden Woche das Gespräch suchen.

Josef Neumann (rechts) von der SPD im Gespräch

Klare Zuständigkeiten

Josef Neumann von der SPD plädierte in der Diskussion dafür, die klare Zuständigkeit für die Leistungen für behinderte Menschen, also die Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe, bei den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe zu belassen. "Es darf zu keiner Zersplitterung kommen mit dem Ergebnis, dass Kämmerer vor Ort über die Eingliederungshilfe bestimmen", warnte er. Das Ziel müssten nachhaltige und transparente Strukturen sein. Die dann auch dafür sorgen, dass Entscheidungen zügig getroffen werden.

Neben den Landschaftsverbänden bleiben die Kommunen vor Ort ein wichtiger Partner beim Thema inklusive Infrastruktur. "Das Leistungsspektrum, das vor Ort notwendig ist, können nicht nur die Landschaftsverbände regeln", betonte Michael Conty, Geschäftsführer in der Stiftung Bethel und Vorsitzender des evangelischen Fachverbandes. Das sollte im Ausführungsgesetz geklärt werden. "Der Sozialdezernent vor Ort muss sich auch weiter für Inklusion verantwortlich fühlen."

Harald Wölter und Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen (v.l.)

Dem Grünen-Politiker Mehrdad Mostofizadeh war es besonders wichtig, dass Menschen mit Behinderungen in den Kommunen weitgehend gleiche Verhältnisse vorfinden. "Es kann nicht sein, dass in Essen ein Mensch im Rollstuhl in den Zug einsteigen kann und in Bochum stehen gelassen wird."

Besonders bei Kindern müsse das Ministerium für einheitliche Standards sorgen, war die einhellige Meinung, denn: "Frühförderung spielt bei Kindern mit Behinderungen eine entscheidende Rolle", sagte Conty.

Wunsch- und Wahlrecht: Behinderte Menschen sollen selbst wählen können, wo sie leben.
Foto: pixelio: Albrecht E. Arnold

Wunsch- und Wahlrecht

Neu gegründet werden soll eine Landesarbeitsgemeinschaft der Rehabilitationsträger, in der Leistungsträger und Leistungserbringer unter der Federführung des Ministeriums zusammenkommen. Es brauche gleiche Lebensverhältnisse in den Landesteilen Rheinland und Westfalen, betonte Josef Neumann. "Das Land muss diesen Prozess steuern und darf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes nicht aus der Hand geben." Der SPD-Politiker forderte Kirchen und Wohlfahrtsverbände auf, dabei ihr Gewicht in die Waagschale zu werfen.

Zentrales Anliegen des Bundesteilhabegesetzes ist ein gesetzlich verankertes Wunsch- und Wahlrecht. Dabei geht es zum Beispiel um den Wohnort eines Menschen mit Behinderung. Er soll selbst wählen können, ob er in einer Einrichtung oder in der eigenen Wohnung leben möchte. Harald Wölter, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grünen-Landtagsfraktion, unterstützte die Position der Diakonie, das Wunsch- und Wahlrecht so weit wie möglich umzusetzen. Es brauche eine sensible Haltung in Einzelfragen, auch wenn das Wahlrecht mehr koste, betonte Wölter.

Vertreter der evangelischen Behindertenhilfe mit Josef Neumann (SPD) und Mehrdad Mostofizadeh (Die Grünen)

Teilhabe am Arbeitsleben

Ein weiterer Baustein des Bundesteilhabegesetzes ist der Arbeitsmarkt. Das Gesetz will mehr Anreize für die Beschäftigung behinderter Menschen auf dem regulären Arbeitsmarkt schaffen. Hierzu gibt es das Budget für Arbeit, das das Land NRW mit zusätzlichen Fördermitteln für aufnahmebereite Betriebe ausstatten solle, so die evangelische Behindertenhilfe.

Zum 1. Januar 2020 sollen alle Probleme bei der Umstellung des Leistungs- und Finanzierungssystems in der Eingliederungshilfe benannt, bearbeitet und - wenn möglich - gelöst werden. Daran beteiligen sich auch die Diakonie-Einrichtungen in NRW. Conty machte klar, dass die Diakonie sich in dem Prozess entschieden für die Interessen der betroffenen behinderten Menschen einsetzt. Und er machte klar: "Wir werden enttäuschte Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen gegebenenfalls nach Düsseldorf begleiten, wenn der Prozess nicht gelingt."

Text und Fotos: Sabine Portmann / pixelio: Albrecht E. Arnold

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