150 Jahre Bethel
Pförtnerhaus als Symbol der Hoffnung
Das Pförtnerhäuschen am Anfang der Ortschaft Bethel war für viele Menschen ein Hoffnungsschimmer. Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnten Kranke, Flüchtlinge oder Wohnungslose an die Tür klopfen. In Bethel erhielten sie dann eine warme Mahlzeit, ein Bett oder medizinische Hilfe. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Haus auch Anlaufstelle für Menschen auf der Suche nach vermissten Familienmitgliedern.
"Dass ihr mir niemanden abweist!", hatte Bethel-Leiter Friedrich von Bodelschwingh seinen Mitarbeitern eingeschärft. Ihre Gründung vor 150 Jahren feiern die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in diesem Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen und Projekten. Als einer der Höhepunkte gilt die Übertragung des Gottesdienstes in der ARD am Ostermontag.
Angelika Schmieder arbeitet gern in Bethel
Auf eigenen Füßen stehen
Mit großer Sorgfalt rollt Angelika Schmieder Messer und Gabel in eine Serviette ein, dann deckt sie die Tische für die Gäste. Schmieder, die als Kind bereits epileptische Anfälle bekam, arbeitet fünf Tage in der Woche vier Stunden in Bethels Freizeit- und Kulturzentrum "Neue Schmiede". Die 62-Jährige liebt ihre Arbeit: "Ich brauche Menschen um mich."
Sie ist seit über 30 Jahren in Bethel. "Ich wollte auf eigenen Füßen stehen, deshalb bin ich hierher gekommen", erzählt sie. In Bethel lebt sie selbstständig in einer Wohnung. Wenn sie Hilfe braucht, kann sie Pflegekräfte herbeirufen.
Schmieder ist es wichtig, über ihren Alltag mit Epilepsie zu berichten. "Nur so kann doch Inklusion gelingen", ist sie überzeugt. "Wenn ich sage, dass ich Epileptikerin bin, geht oft eine Wand aus Glas runter."
Ontje Schulz ist stolz auf seine Selbstständigkeit
Auch der 26-jährige Ontje Schulz, der in einer Werkstatt für behinderte Menschen gerade Verpackungskartons zusammenfaltet, fühlt sich wohl in Bethel. "Aufstehen und zur Arbeit gehen - das mache ich alles allein", berichtet der junge Mann mit geistiger Behinderung stolz, der in einem Bethel-Wohnheim lebt. Höhepunkt seiner Woche ist es, wenn er mit seiner Betreuung zum Bowling gehen kann.
Neue Heimat für Kinder mit Epilepsie
Ziel war es bei der Gründung, Kindern mit Epilepsie eine Heimat zu bieten. Deswegen kam vor 150 Jahren, am 2. April 1867, der Verwaltungsrat der "Rheinisch-Westfälischen Anstalt für Epileptische" zusammen. Dort wurde auch der erste Leiter, Pastor Friedrich Simon, gewählt. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von der Inneren Mission, dem Vorläufer der heutigen Diakonie. Am 14. Oktober konnten dann die ersten Jungen mit Epilepsie in ein ehemaliges Bauernhaus am Rande Bielefelds einziehen.
Bethel-Chef Pfarrer Ulrich Pohl
"Am Beginn stand die Frage des beschützten Lebensortes angesichts einer sich industrialisierenden Welt", sagt der heutige Bethel-Chef, Pfarrer Ulrich Pohl. "Da gab es keinen Platz mehr für Menschen, die mit Einschränkungen leben müssen." An Therapie oder Heilung war bei der bislang wenig erforschten Epilepsie damals noch nicht zu denken.
Schon bald fanden auch verarmte Wanderarbeiter, behinderte und psychisch kranke Menschen in Bethel Unterkunft und Hilfe. Bethel wuchs zu einer Ortschaft mit Werkstätten, Handwerksbetrieben, Schulen und einer Kirche. Prägende Persönlichkeit war der evangelische Sozialreformer Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910), der die Einrichtung fünf Jahre nach der Gründung übernahm. Sein Motto: "Große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken." Er gab den Anstalten auch den biblischen Namen Bethel (Haus Gottes).
Gab Bethel seinen Namen: Sozialreformer Friedrich von Bodelschwingh
Als die Nationalsozialisten behinderte Menschen systematisch töteten, gelang es Bethel, das zu verhindern. Der Leiter der zu Bethel gehörenden Hoffnungstaler Anstalten, Gerhard Braune, veröffentlichte Beweise für die staatlich verordneten, aber geheimen Taten. Für drei Monate wurde er von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Der damalige Bethel-Leiter, Bodelschwinghs Sohn Fritz, verweigerte die Einstufung von behinderten Menschen nach den sogenannten Meldebögen. "So konnten fast alle Menschen in Bethel vor der Euthanasie bewahrt werden", berichtet Pohl.
Weltbekannt: Briefmarkenstelle und Recyclingbörse
Unter den Nationalsozialisten wurden auch in Bethel rund 1.200 Menschen zwangssterilisiert, im Krieg gab es Zwangsarbeiter. Diese dunkleren Kapitel hat Bethel gemeinsam mit Betroffenen öffentlich aufgearbeitet und Zeichen der Versöhnung gesetzt. An die Zwangssterilisationen erinnert ein Mahnmal.
Heute engagieren sich die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel jährlich für rund 230.000 kranke, behinderte, sozial benachteiligte, und pflegebedürftige Menschen. Dazu gehören Wohngruppen, ambulante Dienste, Hospize, Pflege- und Seniorenzentren, Werkstätten, Schulen und Krankenhäuser. Weltweit bekannt sind die Briefmarkenstelle Bethel, in der entwertete Briefmarken gesammelt und verkauft werden, sowie die Recyclingbörse "Brockensammlung".
Text: Holger Spierig (epd), Fotos: von Bodelschwinghsche Stiftungen