10. Februar 2020

Safer Internet Day

"Lasst alle Menschen digital teilhaben!"

Cyber-Mobbing, Hasskommentare und Fake-News – aus Angst und Sorge werden manche Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen vom Internet abgeschirmt. Zum "Safer Internet Day" fordert Christoph Krachten vom inklusiven Social Media Team der Evangelischen Stiftung Hephata: Begleitet und unterstützt Menschen mit Behinderung, statt sie digital auszuschließen.

  • Dazugehören, auch digital. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, meint Christoph Krachten, der das inklusive Social Media Team Hephatas unterstützt.

Herr Krachten, Sie haben eine eigene YouTube-Agentur und beraten das Social Media Team der Evangelischen Stiftung Hephata seit Mai. Was haben Sie vom achtköpfigen Team gelernt?

Authentisch zu sein. Unsere acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Social Media Team sind extrem offen und erzählen ganz entspannt aus ihrem Leben. Bei unseren Redaktionskonferenzen kommen richtig gute Ideen bei raus! Geistige oder psychische Behinderungen bedeuten ja nicht, dass jemand blöde ist.

Dating, Mobbing und Behinderten-Witze – bei uns gibt es tatsächlich sehr wenige Tabus bei der Arbeit. Und das ganz bewusst, denn wir wollen in unserem YouTube-Kanal "Behindert – so what" offen über Behinderungen sprechen. Lasst sie selber machen, statt über sie zu sprechen, ist unser Motto.

Gruppenbild

Journalist Christoph Krachten und Hephata-Kommunikationsleiterin Manuela Hannen begleiten das Social-Media-Team.

Heute ist Safer Internet Day. Bei dem Aktionstag geht es auch darum, auf Hasskommentare aufmerksam zu machen und zu zeigen, wie man sich schützen kann. Wie gehen Sie mit negativen und verletzenden Kommentaren um?

Bislang hatten wir fast nur positive Kommentare. Ich habe den Eindruck, dass Menschen mit Behinderung unter einem besonderen gesellschaftlichen Schutz stehen. Trolle existieren in dem Bereich nicht so. Die haben da eine "Beißhemmung", man mobbt keine Menschen mit Einschränkungen.  Aber wir sind auch in erster Linie auf YouTube unterwegs. Das ist ein sehr dankbarer Kanal, weil man da ein sehr gutes Kommentarsystem hat. Im Extremfall können wir Nutzer bannen. So einen Fall hatten wir aber noch nicht.

Ein Shitstorm oder aber eine Reihe von Hasskommentaren könnten kommen. Wie bereiten Sie das Team vor?

Alle Mitglieder unseres Social Media Teams sind zum Teil seit Jahren in den sozialen Netzwerken aktiv. Die einen mehr, die anderen weniger. Auch die Begriffe Hater, Trolle und Hasskommentare sind ihnen absolut nicht fremd. 

Je bekannter unser YouTube Kanal wird, je mehr Klicks die Videos bekommen, desto eher kann diese positive Stimmung auch umschlagen. Deshalb organisieren wir jetzt eine Social Media Schulung, in der auch genau das Thema "Wie reagieren wir …" angesprochen und ein kleiner Leitfaden erarbeitet wird.  Wir machen uns da keine Illusionen. Es wird irgendwann passieren und es wird die eine oder andere Träne geben. Aber dann sind wir eben eine Gruppe, ein Team und keiner muss das alleine durchstehen.

Treffen Sie bestimmte Vorkehrungen?

Vor Kurzem haben wir ein Datingformat gestartet. Menschen mit Behinderung suchen genauso nach Liebe, wie alle anderen Menschen auch. Da waren wir dann etwas vorsichtig. Wir haben die Inhalte der Partnersuche kritisch unter die Lupe genommen. Die Antworten landen zum Schutz unseres Teams auf einer eigens zu diesem Zweck eingerichteten E-Mail-Adresse.

Unterstützung durch Medien-Profis: Das Social Media Team wird von Christoph Krachten (links) und Simon Roehlen beraten und geschult.

Unterstützung durch Medien-Profis: Das Social Media Team wird von Christoph Krachten (links) und Simon Roehlen beraten und geschult.

Im Dezember wurde bekannt, dass die chinesische Videoplattform TikTok die Reichweite von Videos eingeschränkt hatte, die Menschen mit Behinderungen zeigten. Das Unternehmen begründete die Zensur als Schutz gegen mögliches Cyberbullying. Brauchen wir ein sozialeres Internet? Und welche Rolle sollten private Unternehmen dabei spielen?

Was TikTok da gemacht hat, empfinden wir als Zensur, für die es keine Grundlage gibt. Es ist absurd, wenn die Opfer des Cyberbullyings bestraft werden, aber nicht die Täter. Es ist gut, dass Medien wie netzpolitik.org und Der Spiegel darüber berichtet haben. Der Fall zeigt aber wieder einmal, dass private Unternehmen in den sozialen Netzwerken zu wenig reguliert werden.

Wir brauchen eine stärkere öffentlich-rechtliche Regulierung. Wenn ich bei Facebook, Instagram und Co. unterwegs bin, sehe ich fast nur gewinnorientierte Inhalte. Bei 20 Prozent der Inhalte sollten nicht Algorithmen bestimmen, was in meinem Nachrichtenfeed erscheint, sondern stattdessen sollten das kulturelle oder gesellschaftlich relevante Inhalte sein. Auch Posts von Nichtregierungsorganisationen oder Selbstvertretungen von gesellschaftlichen Randgruppen gehören für mich dazu.

Gerade weil wir in Deutschland eine so unrühmliche Vergangenheit haben, müssen wir dafür sorgen, dass jeder gesehen wird. Ein unabhängiger Internetrat, der da feste Richtlinien bestimmt und die Marktführer stärker kontrolliert, wäre ein erster Schritt.

Sich ausprobieren: Auf dem Kirchentag in Dortmund hat das Social Media Team das erste Mal gedreht und Politiker interviewt.

Sich ausprobieren: Auf dem Kirchentag in Dortmund hat das Social Media Team das erste Mal gedreht und Politiker interviewt.

Viele Texte auf Internetseiten und in Posts sind kompliziert und anspruchsvoll geschrieben. Ist Leichte Sprache und die Verständlichkeit bei Facebook, Instagram und Co. ein Thema im Team?

Leichte Sprache wird bei uns definitiv ein Thema sein. Bislang teilt unser Team in den Videos viele Alltagserfahrungen. Da ist die Sprache schon mal aufgrund des Themas einfach. Wenn wir politischer werden, wird die Verständlichkeit von Texten auch ein Thema werden, denn dann geht es ans Recherchieren und Analysieren der Inhalte. Da leisten wir natürlich Hilfestellung. 

Wir werden unsere eigenen Angebote auch selbst barrierefreier gestalten und  die Videos untertiteln und leichte Sprache nutzen, damit unser Kanal für alle Menschen zugänglich ist.

Konzentriert bei der Arbeit: Jeden Tag trifft sich das Team zur Redaktionskonferenz.

Konzentriert bei der Arbeit: Jeden Tag trifft sich das Team zur Redaktionskonferenz.

Was entgegnen Sie Menschen, die Freunde, Angehörige oder Bekannte mit Behinderung aus Angst vorm Internet fernhalten wollen?

Es ist eine absolute Fehlinterpretation zu glauben, dass man die Menschen behüten müsste. Sie nicht in die sozialen Netzwerke zu lassen, ist Ausgrenzung. Wir müssen Menschen mit Behinderungen bestärken. Im Netz müssen wir uns genauso um Inklusion bemühen, wie offline auch. Mein Tipp: Begleitet eure Freunde, Angehörige und Bekannten, statt sie auszuschließen. Unterstützt sie, sodass sie online dabei sein können.

Das Interview führte Ann-Kristin Herbst. Fotos: Evangelische Stiftung Hephata/ Udo Leist

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Ein Artikel zum Thema:
Behinderung und Teilhabe

Safer Internet Day
Seit 2004 findet jährlich im Februar der internationale Safer Internet Day (SID) statt. Der von der Europäischen Union veranstaltete Aktionstag will die Sicherheit im Internet erhöhen. In Deutschland setzt sich dafür die Initiative klicksafe ein. Diesjähriger Schwerpunkt sind Idole im Netz, Influencer und Meinungsmacht.