Menschen mit Behinderungen
Frank hat es seinen Mitbewohnern oft nicht einfach gemacht. Sein Verhalten brachte die anderen immer wieder an deren Grenzen. In den verschiedenen Wohngruppen, in denen er in den vergangenen Jahren nach einem Unfall wegen seiner erworbenen Hirnschädigung lebte, war er häufig in Konflikte verwickelt. Bis er eine neue Chance bei "In der Gemeinde leben" (IGL) bekam. Der 50-Jährige konnte ein eigenes Apartment beziehen und kann seitdem eigenverantwortlich entscheiden, wie er seinen Tag gestaltet. Streit? Gibt es nicht mehr. Frank ist glücklich: "Ich will hier nicht mehr weg", sagt er.
Auch Daniel kann sich sein Leben ohne die IGL nicht mehr vorstellen. Er war obdachlos und lebt seit 2010 in einer Wohngruppe im Düsseldorfer Stadtteil Flingern. "Die IGL hilft mir, meinen Tagesablauf zu gestalten und hinzukriegen", berichtet er. "Ich komme jetzt auch besser mit dem Haushalt klar, was vorher gar nicht funktionierte."
Von links nach rechts: Andreas Diederichs (Geschäftsführer "In der Gemeinde leben"), Maren Weiner (Leitung Ambulante Dienste/Partizipation und Teilhabe), Christoph Wiche und Elisabeth Hermanns (beide Klientenvertretung IGL) stellen eines der Plakate vor.
Eigenverantwortung stärken
So viel Eigenverantwortung wie möglich – dieser Ansatz galt bereits, als die IGL vor mittlerweile zwei Jahrzehnten mit ihrer Arbeit startete. "Das war damals ein Paradigmenwechsel in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen", sagt IGL-Geschäftsführer Andreas Diederichs. "Wir haben außerdem bewusst von Anfang an Wert auf eine dezentrale, individuelle Unterstützung gelegt."
Heißt: Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf leben in der Regel in eigenen Wohnungen oder in kleineren Wohngruppen mitten im Stadtteil und nicht – wie früher üblich – in einer speziellen und von außen als solche identifizierbare Einrichtung "weit ab vom Schuss" und ohne Kontakt zur Nachbarschaft.
Das Konzept ist erfolgreich: Am 11. August feiert die IGL, ein Projekt der Diakonie Düsseldorf und der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, ihr 20-jähriges Bestehen mit einem inklusiven Sommerfest im Zakk in Düsseldorf.
Das PIKSL-Labor ist ein offener Begegnungsort für Menschen mit und ohne Behinderungen.
Labor als Begegnungsort
Inzwischen unterstützen bei der IGL 190 fest angestellte Mitarbeitende und 50 Ehrenamtliche an 15 Standorten in Düsseldorf rund 200 Menschen mit Lernschwierigkeiten, kognitiven Beeinträchtigungen, herausforderndem Verhalten oder erworbenen Hirnschädigungen – etwa 120 von ihnen in einer "Rund-um-die-Uhr-Betreuung". Hauptaufgabenfeld ist die Eingliederungshilfe, der Schwerpunkt liegt dabei auf den Bereichen Wohnen, Soziale Teilhabe und Beschäftigung.
Um digitale Teilhabe und Beschäftigung geht es im PIKSL-Labor der IGL. An diesem offenen Begegnungsort kommen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, um Ideen zu verwirklichen. Das Team von "PIKSL mobil" besucht außerdem Wohngruppen, um den Menschen dort digitale Medien zu zeigen und näher zu bringen. Eine der PIKSL-Expertinnen ist Elisabeth. Sie sagt: "Ich habe durch meine Arbeit im PIKSL-Labor viele neue Leute kennen gelernt und habe jetzt keine Angst mehr, auf Menschen zuzugehen."
Für seine inklusive Arbeit wurde das Labor mehrfach ausgezeichnet und ist Partner für Forschungsprojekte. Derzeit arbeitet PIKSL gemeinsam mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW an einer inklusiven Lernplattform, die Menschen mit Lernschwierigkeiten das digitale Lernen erleichtern soll. "Mit dieser innovativen Haltung sind PIKSL-Labore so erfolgreich, dass sie nun bundesweit expandieren", sagt IGL-Geschäftsführerin Catrin Dreyer: Die Idee, einst in Düsseldorf von der IGL initiiert, umfasst mittlerweile ein bundesweites Netzwerk von elf weiteren Standorten.
Die Plakate zum IGL-Jubiläum hängen überall im Düsseldorfer Stadtgebiet, hier am Bahnhof in Reisholz.
Plakate in der Stadt
Zum Jubiläum hat "In der Gemeinde leben" auch eine Plakatkampagne gestartet. Sie soll in der Öffentlichkeit die Belange von Menschen mit Behinderungen stärker in den Vordergrund rücken. Die Klientinnen und Klienten der IGL haben die Kampagne mit entwickelt. Auf den Motiven – einige hängen schon im Stadtgebiet - sind sie selbst in verschiedenen Situationen in ihrem ganz normalen Alltag in der Mitte der Gesellschaft zu sehen. Ganz nach dem Motto der IGL "Jeder Mensch ist anders. Darin sind alle gleich."
Hans-Jakob Matthes, Leiter Zentrum Eingliederungshilfe, bezeichnet die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes als "große Herausforderung".
Große Herausforderung
Das Jubiläum der IGL ist für Hans-Jakob Matthes, Leiter Zentrum Eingliederungshilfe des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL), auch Anlass zu mahnen: "Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes ist eine große Herausforderung. Sie stockt in allen Bundesländern mehr oder weniger. Die Einrichtungen und Dienste wollen und müssen bedarfsgerechte Leistungen erbringen für Menschen mit Behinderungen. Und die Landschaftsverbände haben Sorge, dass es teurer wird als bisher."
Text: Anne Wolf und Verena Bretz; Fotos: Kurt Heuvens und Dennis Weinbörner für "In der Gemeinde leben", Privat
Behinderung und Teilhabe
Standorte in Düsseldorf
Die IGL ("In der Gemeinde leben") hat derzeit in der Landeshauptstadt 15 Standorte in den Stadtteilen Flingern, Stadtmitte, Oberbilk, Lierenfeld, Vennhausen, Wersten, Hassels und Holthausen.